Euro-Hüter ringen um richtigen Kurs
Von Mark Schrörs, FrankfurtWährend so mancher Kollege aus dem EZB-Rat noch im Urlaub weilte, hat Notenbankchef Mario Draghi am vergangenen Wochenende beim Spitzentreffen der Zentralbankerelite in Jackson Hole für einen Paukenschlag gesorgt: Draghi zeigte sich – in kurzerhand eingefügten Ergänzungen zum ursprünglichen Redetext – besorgt über den “signifikanten Rückgang” marktbasierter Inflationserwartungen im August, sagte, der EZB-Rat werde diese Entwicklungen “berücksichtigen”, und betonte überhaupt, der Rat werde “alle zur Verfügung stehenden Instrumente” nutzen, um auf mittlere Sicht stabile Preise sicherzustellen. Solo in Jackson HoleMit seinem Auftritt – der so manchen an Draghis Alleingang im Sommer 2012 denken ließ, als dieser bei einer inzwischen legendären Rede in London den Erhalt des Euro garantierte (“Whatever it takes”) – schürte er Spekulationen, dass die EZB doch noch zum groß angelegten Kauf von Anleihen und insbesondere von Staatspapieren greift (Quantitative Easing, QE). Am Donnerstag versammeln sich nun die Währungshüter wieder im Eurotower in Frankfurt.Die meisten Volkswirte gehen zwar nicht davon aus, dass der EZB-Rat dann die Geldpolitik erneut lockert. Einige aber spekulieren nach Draghis Aussagen doch darauf. Die Deutsche Bank etwa setzt nun darauf, dass die EZB bereits am Donnerstag mit dem direkten Ankauf von Kreditverbriefungen (Asset Backer Securities, ABS) beginnt. Die Commerzbank hält gar eine Entscheidung pro QE nicht für ausgeschlossen, auch wenn es nicht ihr Hauptszenario darstellt. Dass ein solches QE-Programm bis März 2015 kommt, erwarten laut einer aktuellen, nach Draghis Rede durchgeführten Reuters-Umfrage aber nun 32 von 39 Volkswirten – deutlich mehr als zuvor.Für Spannung ist mit Draghis Auftritt in jedem Fall gesorgt – und für reichlich Gesprächsstoff. Denn im EZB-Rat gab es zumindest einige, die bis zuletzt vor allem dem direkten Kauf von Wertpapieren kritisch gegenüberstanden – darunter nicht zuletzt Bundesbankchef Jens Weidmann. Dass Draghi mit seinem Auftritt Erwartungen geschürt und den Rat damit erneut unter Druck gesetzt hat, dürfte nicht allen behagen. Eigentlich schien zuvor die Linie zu sein, erst einmal die Wirkung der Anfang Juni beschlossenen Lockerungsmaßnahmen abwarten zu wollen.Dass wieder verstärkt über ein QE der EZB diskutiert wird, hat mit der ungemütlichen Lage zu tun: Im Frühjahr hat die Wirtschaft überraschend stagniert und die Stimmungsindikatoren lassen fürs dritte Quartal nicht viel Besseres erwarten. Das rüttelt am EZB-Bild einer wenn auch nur allmählichen und fragilen Erholung. Zudem stellt die Ukraine-Krise ein großes Risiko dar. Die gestrige Entwicklung mit Berichten über russische Soldaten auf ukrainischem Boden hat eindrucksvoll gezeigt, wie explosiv die Lage ist. Am heutigen Freitag dürfte Eurostat zudem für August ein neues zyklisches Tief bei der Inflation von 0,3 % vermelden.Vor allem aber sind angesichts dieser Entwicklungen im August die Inflationserwartungen an den Finanzmärkten zeitweise deutlich abgesackt, und zwar auch die längerfristigen, die die EZB besonders im Blick hat. Zeitweise rutschte etwa die Erwartung für die Inflation in fünf Jahren für die nächsten fünf Jahre unter 2 % – das erste Mal seit Ende 2011. Bislang galt der EZB die feste Verankerung dieser Erwartungen als wesentlicher Schutzschild gegen eine deflationäre Spirale im Euroraum.Nun kommt es also darauf an, welche Schlüsse die EZB aus den jüngsten Entwicklungen zieht. Besonders im Fokus stehen dabei die neuen Projektionen der EZB-Volkswirte. Anfang Juni hatten sie für 2014, 2015 und 2016 bei der Teuerung im Mittel 0,7 %, 1,1 % und 1,4 % sowie beim Wachstum 1 %, 1,7 % und 1,8 % vorausgesagt. Viele Ökonomen sehen das nun als viel zu optimistisch an. Tatsächlich spricht vieles für Abwärtsrevisionen. Allerdings gibt es dabei auch dämpfende Effekte: So ist etwa der Euro heute deutlich schwächer als noch im Juni unterstellt.Der Blick der EZB dürfte sich zudem schon auf den 18. September richten: Dann wird das erste der Anfang Juni beschlossenen neuen gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TLTROs) zugeteilt. Bei diesen Geschäften erhalten Banken zusätzliche Liquidität, wenn sie diese nutzen, um Kredite an die Realwirtschaft zu vergeben. Die EZB schätzt, dass bis zu 1 000 Mrd. Euro abgefragt werden könnten, und hofft, dass die Summe möglichst hoch ausfällt. Anfang August hatte Draghi auf Marktschätzungen von 450 Mrd. bis 850 Mrd. Euro verwiesen. Warten auf ersten TLTROWenn die EZB am Donnerstag von weiteren Hilfen absieht, dürfte es auch von der Nachfrage beim ersten TLTRO abhängen, ob sie danach doch schon bald wieder aktiv wird. Für den Fall scheinen ABS-Käufe ein Mittel erster Wahl. In Jackson Hole hat Draghi gesagt, die Vorbereitungen für ein solches Kaufprogramm kämen schnell voran. Am Mittwoch hat die EZB nun wie avisiert einen Berater engagiert: den weltgrößten Vermögensverwalter BlackRock.—– Berichte Seite 7