Europas neuer Krisenmanager
Von Andreas Heitker, BrüsselDass Deutschland mitten in einer Krise die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, dürfte Angela Merkel bekannt vorkommen. Schon im ersten Halbjahr 2007 bei der bislang letzten deutschen Präsidentschaft war sie Bundeskanzlerin. Damals leckte sich die Europäische Union noch immer die Wunden der Verfassungsvertragskrise, und es war an Berlin, die Vorarbeiten für ein neues Vertragswerk zu organisieren, das die nachfolgende portugiesische Ratspräsidentschaft später im Jahr als den bis heute gültigen “Lissabon-Vertrag” zur Unterschrift bringen konnte.Heute ist die Situation aber ungleich schwieriger für Merkel. Nicht nur, dass die EU seither von zahlreichen weiteren und zum Teil noch immer nicht gelösten Großkrisen geschüttelt wurde – auch das internationale Umfeld der Union hat sich drastisch verändert. Die Stichworte wie USA-China-Konflikt oder die Schwächung des Multilateralismus sind bekannt. Vor allem aber die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die beispiellose Wirtschaftskrise werden die diesjährige Ratspräsidentschaft Deutschlands prägen. Diese muss nun ein ebenso beispielloses Wiederaufbauprogramm organisieren. Dass Merkel bereit ist, hier Führungsverantwortung zu übernehmen, hat sie bereits im Mai bewiesen, als sie zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein 500 Mrd. Euro schweres Programm vorgeschlagen hatte. Das Geld soll Brüssel am Kapitalmarkt aufnehmen und dann über den EU-Haushalt als nicht rückzahlbare Zuschüsse verteilen. Merkel ist bei diesem Vorstoß gleich mehrfach über ihren Schatten gesprungen.Die EU-Kommission hat den deutsch-französischen Vorschlag in der Zwischenzeit auf 750 Mrd. Euro erhöht, und darüber gilt es nun rasch eine Einigung zu finden, am besten schon auf dem geplanten Sondergipfel am 17./18. Juli. Es wird hier auch auf das diplomatische Geschick der Ratspräsidentschaft ankommen, ob dies bei den vielen derzeit noch bestehenden inhaltlichen Differenzen gelingt. Hinzu kommt: Der Wiederaufbaufonds wird verknüpft mit dem nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027. Und die Verhandlungen über diese Siebenjahresbudgets gehören auch ohne die Corona-Hilfsgelder schon zu den schwierigsten Herausforderungen, die in Brüssel zu meistern sind.Das Motto der deutschen Präsidentschaft lautet “Gemeinsam. Europa wieder stark machen”. In dem 24-seitigen Programm, das das Kabinett in Berlin in dieser Woche verabschiedet hat, heißt es, mit der Pandemie stehe die Europäische Union vor einer schicksalhaften Herausforderung. “Wir werden entschlossen der Gefahr entgegenarbeiten, dass sich dauerhaft ein tiefer Spalt durch Europa zieht”, hatte Merkel vorige Woche in einer Regierungserklärung zur Ratspräsidentschaft betont. Und Außenminister Heiko Maas kündigte bereits an, Deutschland werde als “Motor und Moderator” in Europa auftreten. Die politische und wirtschaftliche Stärke dürfte dabei sicherlich auch helfen.Für andere Themen wird nur wenig Zeit bleiben, vor allem, da die Kapazitäten in Brüssel derzeit coronabedingt immer noch auf rund 30 % der üblichen Möglichkeiten heruntergefahren sind. Natürlich wird auch der Brexit noch einmal die EU-Agenda im zweiten Halbjahr prägen. Hier sitzt aber die EU-Kommission auf dem Fahrersitz. Eigene Brexit-Initiativen der deutschen Präsidentschaft, gar eigene Gespräche mit London würden eher kontraproduktiv wirken, warnte auch schon die Stiftung Wissenschaft und Politik.