Volkswagen im Umbau
Von Carsten Steevens, Hamburg
Volkswagen befinde sich in einer schwierigeren Lage als 2018, sagte Vorstandschef Herbert Diess Anfang des Jahres. Durch die Wahrnehmung als traditioneller Autohersteller sei der Zwölfmarkenkonzern im Wettbewerb mit Unternehmen wie dem US-Elektroautobauer Tesla, die wie Tech-Firmen bewertet würden, im Nachteil. Der Blick der Kapitalmärkte auf die Autoindustrie habe sich unerwartet verändert, so Diess, der seit seinem Antritt als VW-Konzernlenker 2018 immer wieder mehr Tempo bei der Umsetzung der E-Mobilitätsstrategie und beim Aufbau einer Softwareplattform angemahnt hat. Während die VW-Vorzüge 2020 gut 13% einbüßten, vervielfachte sich der Wert der Tesla-Titel, die Ende Januar ein Rekordhoch bei mehr als 900 Dollar erreichten.
Seit Diess’ Anmerkungen zu Jahresbeginn jedoch hat VW an der Börse um rund 30% zulegen können, die Vorzüge stiegen auf das höchste Niveau seit Anfang 2015. Die Marktkapitalisierung des Konzerns überschritt die Marke von 100 Mrd. Euro. Den jüngsten Höhenflug von VW unterfütterten Ende Februar Angaben der Wolfsburger zur Geschäftsentwicklung mit einem starken vierten Quartal im Coronakrisenjahr 2020 sowie optimistische Aussagen im Ausblick auf das laufende Jahr.
Hinzu kamen zuversichtliche Analystenkommentare: So erhöhte etwa die UBS in einer am 2. März veröffentlichten Studie ihr Zwölf-Monats-Kursziel für die VW-Aktie bei einer Kaufempfehlung um 50% auf 300 Euro. Die Schweizer Großbank, die für ihre Potenzialanalyse den ID.3, das im vorigen September in den Markt gebrachte erste Elektrofahrzeug der ID-Familie, auf Basis des Modularen E-Antriebsbaukastens (MEB) in seine Einzelteile zerlegen ließ, bescheinigt VW unter anderem, mit der Plattform bei den Kosten voll wettbewerbsfähig gegenüber Tesla zu sein und als „Samsung der Elektroauto-Welt“ mit attraktiven Elektrofahrzeugen positive operative Ergebnisse erzielen zu können. Bereits 2022 könne der Konzern, der in der anstehenden Woche über eine massive Ausweitung der Kapazitäten für Batteriezellen informieren könnte, Co-Weltmarktführer bei reinen Elektrofahrzeugen sein.
Als „nächstes Schlachtfeld mit ungewissem Erfolg für VW“ bezeichnet die Bank die langfristigen Chancen im Softwarebereich. Mit Kostennachteilen bei Batterien und Software lägen die Wolfsburger um Jahre hinter Tesla zurück. Adressiert ist der Sachverhalt: VW-Markenchef Ralf Brandstätter erklärte unlängst, man habe eine steile Lernkurve hinter sich und wisse inzwischen ziemlich gut, wie Software in Fahrzeuge integriert werden müsse. Ab kommenden Sommer sollen die neuen Elektroautos regelmäßig und automatisch Verbesserungen und neue Funktionen „over the air“ erhalten. Das könne kein anderer Volumenhersteller.
Mit einer neuen Strategie („Accelerate“) hat sich die Kernmarke des Konzerns eine Beschleunigung des Wandels zum softwareorientierten Mobilitätsanbieter vorgenommen. Bis 2025 sollen 16 Mrd. Euro in die Zukunftstechnologien fließen. Um die Investitionen stemmen zu können, will der Autobauer die Effizienz verbessern und durch Senkung von Fixkosten und Steigerung der Produktivität der Werke bis 2023 eine operative Marge von 6% erreichen.
In der Jahrespressekonferenz des VW-Konzerns am Dienstag dürften Fragen zum strategischen Kurs, zur Rolle einzelner Marken wie Audi und Porsche, zur schrumpfenden Bedeutung des Verbrennerantriebs oder zur Finanzierung des Umbruchs im Vordergrund stehen. Dass für 2021 ein signifikanter Umsatzanstieg erwartet wird und die Dividende für das Coronakrisenjahr verglichen mit dem Rekordjahr 2019 stabil bleiben soll, ist schon bekannt.