Warten auf Hanno B.
Von Anna Sleegers, Frankfurt
Wenn am kommenden Donnerstag vor dem Landgericht Wiesbaden der wegen der Corona-Pandemie zweimal verschobene Strafprozess mit dem Aktenzeichen 6 KLs – 1111 Js 27125/12 trotz erneut steigender Inzidenz in Hessen tatsächlich beginnt, ist die spannendste Frage, ob der wichtigste Akteur überhaupt erscheint.
Medienberichten zufolge lehnt es der als Schlüsselfigur des Cum-ex-Komplexes geltende Steueranwalt Hanno B. unter anderem aus gesundheitlichen Gründen ab, aus seinem Schweizer Wohnort in die alte Heimat zu reisen. Später schoben seine Anwälte an die Presse gerichtet hinterher, dass der Angeklagte seinen Gesundheitszustand nicht in der Öffentlichkeit diskutieren wolle.
In dieser Lesart hat sich B. 2013 nach einer Razzia nicht etwa in die Schweiz abgesetzt, um einer Strafverfolgung wegen Steuerhinterziehung zu entgehen. Vielmehr habe er aus persönlichen Erwägungen, die er ebenso wenig zur Diskussion stellen muss wie seinen Gesundheitszustand, bereits mehrere Monate vor der Durchsuchung beschlossen, Wohnsitz und Lebensmittelpunkt in die Schweiz zu verlegen.
Wie wenig die Justiz geneigt ist, sich dieser Sichtweise anzuschließen, geht aus einer Pressemitteilung hervor, die das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt anlässlich der abgeschmetterten Haftbeschwerde veröffentlichte. „Der Senat wertet den Umstand, dass sich der Angeklagte einen Tag nach der Durchsuchung in die Schweiz begeben hatte, als Flucht“, ist darin zu lesen. Es sei davon auszugehen, dass der promovierte Jurist, der vor seiner Anwaltstätigkeit viele Jahre hohe Positionen in der Frankfurter Finanzbehörde bekleidet hatte, aufgrund seiner beruflichen Ausbildung wusste, dass die Schweiz wegen Steuerdelikten nicht nach Deutschland ausliefert.
Damit B. dennoch in Wiesbaden der Prozess gemacht werden kann, hat das OLG in seiner Entscheidung den Tatverdacht ausgeweitet: Es bestehe der dringende Tatverdacht des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs sowie der Steuerhinterziehung. Die Frage, ob sie dies als hinreichenden Auslieferungsgrund ansieht, ließ die Schweizer Bundesanwaltschaft in Bern am Donnerstag unbeantwortet.
Dafür würde nach Ansicht des OLG Frankfurt zumindest sprechen, dass die Schweiz als Unterzeichnerin des Europäischen Auslieferungsabkommens nur in Steuerfällen die Auslieferung nach Deutschland verweigert, nicht aber bei Verbrechen, die wie der bandenmäßige Betrug dem Kernstrafrecht zugeordnet werden.
Nach Ansicht des Kapitalmarktrechtlers Kai Schaffelhuber, der B.s Strafverteidiger Sebastian Gaßmann in dem Prozess sekundiert, beteiligt sich das OLG Frankfurt an einer „Hexenjagd“ gegen den prominenten Angeklagten, was einen „Tiefpunkt bundesrepublikanischer Rechtskultur“ darstelle. In seiner Deutung ist der einst äußerst gefragte Anwalt durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zum „Gesicht“ des Cum-ex-Prozesses avanciert.
Auch die beiden früheren Privatkundenberater der HVB, die sich in Wiesbaden verantworten müssen, seien keine Drahtzieher gewesen, sondern hätten die aus Schaffelhubers Sicht damals nicht strafbaren Geschäfte lediglich vermarktet. Die Verfahren gegen zwei weitere, im Ausland lebende Angeklagte wurden wegen der pandemiebedingten Reisebeschränkungen abgetrennt, ein ebenfalls angeklagter Investor ist zwischenzeitlich verstorben.