1,10 ist beim Franken-Kurs das neue 1,20

Führt die Schweizerische Nationalbank inoffiziell eine neue Obergrenze für den Kurs zum Euro ein?

1,10 ist beim Franken-Kurs das neue 1,20

sts Frankfurt – War Mario Draghi etwa doch nicht so expansiv gestimmt, wie er zunächst geklungen hatte? Diese Frage stellten sich Akteure am Währungsmarkt, als der Euro-Dollar-Kurs am Donnerstag vergangener Woche noch während der EZB-Pressekonferenz nach anfänglich deutlichen Verlusten plötzlich ins Plus drehte. Hatte Draghi also nicht genug an expansiver geldpolitischer Rhetorik geliefert, um eine Euro-Abwertung zu rechtfertigen? Viele Akteure einigten sich zunächst auf diese Leseart.Doch zu Beginn der Woche veröffentlichte Daten deuten darauf hin, dass der Kursumschwung gar nicht die Folge eines Meinungsumschwungs war, sondern vielmehr von Interventionen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ausgelöst wurde. Möglicherweise hat die Notenbank der Schweiz gegen die Franken-Aufwertung eingegriffen und Euro gekauft – und damit die Gemeinschaftswährung indirekt auch zum Dollar mit nach oben gezogen. Seither pendelt der Kurs um rund 1,10 Franken je Euro, was darauf hindeutet, wobei der Euro gestern aber im Zuge einer breiteren Schwäche bei Kursen um 1,0980 sfr handelte.Die Marke von 1,10 sfr erinnert daran, dass die SNB schon von 2011 bis 2015 den Kurs nicht unter 1,20 Franken je Euro sinken ließ, um eine Deflation in der Schweiz zu verhindern. Am Markt gibt es nun Spekulationen darüber, dass die SNB 1,10 sfr zur neuen, inoffiziellen Marke machen könnte.Die am Montag veröffentlichten Sichtguthaben von Banken und Bund bei der SNB hätten den stärksten Anstieg seit Mai 2017 verzeichnet, erklärte Credit-Suisse-Ökonom Maxime Botteron. “Das ist ein klares Zeichen, dass die SNB am Markt aktiv war.” Bei Interventionen kauft die SNB mit neu “gedruckten” Franken Fremdwährungen wie den Euro. Ein Sprecher der Notenbank wollte sich gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters zu dem Thema nicht äußern. Was allerdings nicht unüblich ist, Notenbanken sprechen fast nie über ihre Aktivitäten am Währungsmarkt. Steigende SichtguthabenDie Sichtguthaben von Banken und Bund bei der SNB kletterten in der vergangenen Woche auf 581,2 Mrd. Franken von 579,5 Mrd. Franken in der Woche zuvor. Die Entwicklung der Sichtguthaben gilt als Indiz dafür, ob die SNB am Devisenmarkt interveniert, um den Franken gegenüber dem Euro zu schwächen. Die Zentralbank kauft Euro und schreibt den Banken den entsprechenden Franken-Betrag auf deren SNB-Konten gut.Auslöser der SNB-Maßnahme war Experten zufolge wohl die starke Aufwertung des Franken zum Euro auf den höchsten Stand seit zwei Jahren. Die Gemeinschaftswährung kostete vor einer Woche während der EZB-Pressekonferenz zeitweise nur noch 1,0963 Franken. Zu Jahresbeginn waren es noch rund 1,13 Franken. Der Euro habe zum Dollar nach der Veröffentlichung des EZB-Statements damals am Donnerstag um 13:45 Uhr deutlich an Wert verloren, gegenüber dem Franken aber nicht, erklärte Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank. “Es ist möglich, dass die SNB da Kurspflege betrieben hat.”Der Franken wertet oft in Phasen erhöhter Unsicherheit auf, da er als klassische Fluchtwährung gilt. Dies hat seine Tradition einerseits in der wirtschaftlichen Stabilität der Schweiz, allerdings auch in deren Geschichte als diskreter Hafen für Fluchtgeld aller Art.Hinter dem jüngsten Franken-Anstieg steckt die Erwartung der Marktteilnehmer, dass die EZB im September die Zinsen senkt. Damit würde sich die Zinsdifferenz zwischen der Eurozone und der Schweiz verringern, was Anlagen in Franken attraktiver machen würde. Ein starker Franken schadet aber der exportorientierten Schweizer Wirtschaft, was die SNB vermeiden will.Die SNB setzt grundsätzlich zwei Instrumente ein, um den Franken zu schwächen: Neben Devisenmarktinterventionen sind das Negativzinsen. Bereits jetzt befindet sich der Schweizer Leitzins auf dem rekordtiefen Niveau von -0,75 %. Am Markt erwarten die Anleger derzeit, dass die SNB bis September die Zinsen um weitere zehn Basispunkte ins Minus drückt. Die Notenbank selbst will sich zu ihren Plänen nicht äußern. SNB-Präsident Thomas Jordan hatte zuletzt jedoch betont, die Zentralbank habe noch Handlungsspielraum, die Zinsen weiter zu senken.Experten gehen allerdings davon aus, dass Interventionen vorerst das Mittel erster Wahl bleiben dürften – auch weil eine weitere Ausweitung der Bilanz der Notenbank weniger unerwünschte Nebeneffekte hätte als eine Zinssenkung. “Die SNB könnte sporadisch intervenieren, um den Aufwärtsdruck auf den Franken zu dämpfen”, erklärte Credit-Suisse-Volkswirt Botteron.