KLIMARISIKEN IM ANLAGEPORTFOLIO

2-Grad-Ziel liegt im Finanzmarkt in weiter Ferne

Regulatorischer Druck auf Berücksichtigung von Klimarisiken in Porftfolien nimmt zu - Die meisten Portfolios und Indizes können Pariser Klimaziel nicht einhalten

2-Grad-Ziel liegt im Finanzmarkt in weiter Ferne

Welche Auswirkungen haben Portfolien auf die Klimaerwärmung? Diese Frage ist alles andere als einfach zu beantworten, da sie viele Annahmen voraussetzt. Doch geben verschiedene Methoden erste Hinweise – so liegt der Beitrag zur Erderwärmung des Euro Stoxx 50 Low Carbon deutlich über dem 2-Grad-Ziel.Von Dietegen Müller, FrankfurtDer Klimawandel ist längst ein regulatorisches Thema geworden. Die Europäische Union arbeitet daran, Standards für Investitionen nach grünen und nachhaltigen Kriterien zu beschließen. Zudem sind eine Verordnung zu Referenzwerten für CO2-arme Investitionen (Low-Carbon Benchmarks) sowie eine stärkere Ausrichtung von Anlagen nach Kriterien der Nachhaltigkeit und des Sozialen (ESG) – bald auch durch Befragung im Anlageprozess – vorgesehen.Im November 2018 hat Benoît Coeuré, Direktoriumsmitglied der EZB, in Berlin gesagt, es müsse geklärt werden, welcher Einfluss der Klimawandel auf die Geldpolitik haben kann. Im Network for Greening the Financial System sind inzwischen über 30 Zentralbanken und Aufsichtsbehörden Mitglied, und die vom Financial Stability Board ins Leben gerufene Task Force on Climate-related Disclosures (TCFD) arbeitet an der Einführung einer global vergleichbaren Klimaberichterstattung bei Unternehmen. Fußabdrücke und Ausschlüsse Nicht nur im Kreditportfolio beginnen Klimafragen eine stärkere Rolle zu spielen. Die Global Alliance for Banking on Values (GABV), der die GLS in Deutschland angehört, hat sich verpflichtet, innerhalb von drei Jahren den Klimaeinfluss in ihren Krediten und Investments zu messen und offenzulegen. Auch institutionelle Investoren müssen sich damit auseinandersetzen. In Frankreich ist seit einer Gesetzesänderung 2015 der CO2-Fußabdruck eines institutionellen Portfolios offenzulegen. Und die Belgian Financial Sector Federation etwa hat Standards aufgelegt, mit denen Unternehmen aus dem Bereich fossiler Brennstoffe aus Portfolios ausgeschlossen werden können.Künftig werden sich Anleger und Vermögensverwalter also verstärkt fragen lassen müssen, welche Klimaeffekte von ihrer Anlagepolitik ausgehen. Dabei dürfte nach Vorstellungen der EU auch das 2-Grad-Klimaziel eine Rolle spielen. “Es spricht viel dafür, dass das 2-Grad-Klimaziel in Europa im Anlageprozess auch durch den Gesetzgeber Einzug halten wird”, sagt etwa Claus Hecher von BNP Paribas Asset Management Deutschland. So steht als Wunschvorstellung die Idee im Raum, messen zu können, welche Umweltfolgen die Unternehmen, in die ein Portfolio investiert, haben.Verfechter eines solchen Ansatzes ist Reto Ringger. Ringger hat mit dem Dow Jones Sustainability Index vor über zehn Jahren den sogenannten Best-in-Class-Ansatz in nachhaltigen Anlagen geprägt. Mit seiner Globalance Bank will er den “Footprint” darstellen können, den Investoren in ihren Portfolios haben, wie er sagt. Er meint im Gespräch, die meisten Portfolios seien heute nicht auf ein 2-Grad-Klimaziel ausgelegt. “Es ist eigentlich nur möglich, mit Investitionen in Unternehmen, die auf klimafreundliche und fossilfreie Geschäftsmodelle setzen, das 2-Grad-Ziel zu erreichen”, so Ringger. Der Gründer von SAM Group (heute in Besitz von Robeco) hat ein Portfolio zusammengestellt, das nach einem von Carbon Delta verwendeten Modell auf eine Erwärmung von 1,6 Grad kommt: “Da sind viele Branchen nicht investierbar.” Carbon Delta (vgl. unten) analysiert, welchen CO2-Ausstoß ein Unternehmen hat. Ringger sagt, die Erhebung von Klimadaten für ein Aktienportfolio sei derzeit wesentlich einfacher als im Anleihesegment.Auf eine andere Methode setzt der Vermögensverwalter Salm-Salm & Partner. Er setzt ein Modell des Frankfurter Start-up Right Based on Science ein, das verspricht, “per Knopfdruck Emissionsdaten eines Unternehmens mit Angaben zu dessen finanzieller Leistung” zu kombinieren und den individuellen Beitrag dieses Unternehmens zum Klimawandel zu berechnen. Würde jeder Fonds so investieren wie der Salm-Klimafonds, so eine “erste Berechnung”, würde sich die Erde nur um 1,4 Grad Celsius erwärmen, heißt es. Konventionelle Fonds erreichen dagegen Werte von schätzungsweise 4 bis 6 Grad. Wer etwa in einen Dax-30-Indexfonds anlegt, trage dazu bei, dass die Temperaturen um knapp 5 Grad steigen würden. Laut Right Based on Science würde eine Einzelinvestition in den US-Elektronikkonzern Apple dagegen dazu beitragen, dass sich die Erde nur um ca. 1,5 Grad erwärmt. Weit verfehltRight Based on Science hat im Auftrag der Börsen-Zeitung auch den Euro Stoxx 50 Low Carbon mit dem XDC-Modell analysiert. Die Zusammensetzung entspricht den 50 Unternehmen des Euro Stoxx 50 zum Stichtag Dezember 2018 (Zeitpunkt der Veröffentlichung der CO2-Daten). Der Unterschied zwischen dem Euro Stoxx 50 und dem Euro Stoxx 50 Low Carbon liegt also nicht in der Zusammensetzung, sondern in der Gewichtung. Die Gewichte verändern sich je nach dem standardisierten Wert (Z-Score) der Kohlenstoff-Intensität, was vereinfacht gesagt bedeutet, dass starke CO2-Emittenten unter- und niedrige CO2-Emittenten übergewichtet sind.Das Ergebnis fällt ernüchternd aus: So würden nach der Standardberechnung mit dem XDC-Modell für das Basisjahr 2016 die in dem Index versammelten Unternehmen mit 3,9 Grad zur Klimaerwärmung bis zum Jahr 2050 beitragen und damit nur unwesentlich besser als die Dax-30-Unternehmen abschneiden. “Der Euro Stoxx 50 Low Carbon müsste nach unserer Berechnung die Emissionen gegenüber dem Stand von 2016 um 48 % bis 2050 reduzieren, um mit dem 2-Grad-Ziel kompatibel zu sein”, sagt Roman Herzog im Gespräch.Dabei müssten Emissionen, die in den Bereich von Scope 1 fallen, um 35 % eingespart werden, Emissionen, die im Bereich von Scope 2 anfallen, müssten um 2 % reduziert werden und Scope-3-Emissionen um 50 %, sagt Herzog. Mit Scope 1 werden Emissionen von stationären und mobilen Anlagen sowie flüchtige Gase erfasst, Scope 2 misst Emissionen aus der Erzeugung von eingekauftem Strom, Dampf sowie Fern- und Kaltwärme, und Scope 3 misst Quellen der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette, etwa eingekaufte Waren und Dienstleistungen oder der Gebrauch der verkauften Produkte des betrachteten Unternehmens.Ziel des Euro Stoxx 50 Low Carbon Index sei es aber nicht, 2-Grad-Konformität zu erreichen, sondern Investoren ein Instrument an die Hand zu geben, um den CO2-Fußabdruck ihrer aktuellen Benchmarks zu reduzieren, sagt die Deutsche Börse. “Wir gehen von objektiven, quantifizierbaren Daten aus und stützen uns auf CDP-Daten.” Low-Carbon-Indizes würden historische Emissionen – in der Regel ein Jahr vorher – in einer Momentaufnahme berücksichtigen: “Futures auf den Euro Stoxx 50 Low Carbon können verwendet werden, um den CO2-Fußabdruck im Vergleich zu Euro Stoxx 50 zu senken und gleichzeitig die Kosten für Handel und Absicherung im Vergleich zu traditionellen Aktienportfolios zu senken.”Innerhalb der einzelnen Unternehmen des Euro Stoxx 50 Low Carbon sind die Unterschiede nach dem XDC-Modell erheblich, was an den unterschiedlichen Emissionsintensitäten der Geschäftsmodelle liegt, wie Right Based on Science sagt. Weiterhin liegen den Berechnungen für alle Unternehmen die gleichen Standardannahmen zugrunde, welche wiederum einen sektorübergreifenden Vergleich möglich machen. Achtzehn Unternehmen tragen etwa mit mehr als 4 Grad zur Erwärmung bei. Die Unternehmen mit dem geringsten Temperaturbeitrag sind demnach Telefónica (+1,4 Grad), Intesa Sanpaolo (+1,4 Grad) und Orange (+1,5 Grad).Damit ist jedoch nicht gesagt, dass diese Unternehmen an sich besser abschneiden als etwa ein vergleichsweise emissionsintensiver Zementhersteller. “Je nach Sektor gelten andere Zielvorgaben zur Erreichung des globalen Klimaziels”, sagt Herzog. Dementsprechend müsse ein einzelnes Unternehmen anhand des Sektor-Klimaziels beurteilt werden und nicht anhand einer Summe von Unternehmen verschiedener Branchen, wie beim Euro Stoxx 50 Low Carbon.Auch wenn es sich um eine Modellrechnung mit vielen Annahmen und Variablen handelt, wirft das mäßige Abschneiden eines Low-Carbon-Index die Frage nach dem Klimanutzen solcher Produkte auf. Laut Morningstar sind auf dem Markt unter dem Stichwort “Low Carbon” knapp 50 Fonds mit einem verwalteten Vermögen von rund 7 Mrd. Euro zu finden. So hat Allianz Global Investors einen Climate-Transition-Fonds aufgelegt, der in Aktien von Unternehmen investiert, “die mit ihrem Geschäftsmodell gut auf den Wandel zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft vorbereitet sind”, wie es heißt. Komplexer AuswahlprozessDer Fondsanbieter BNP Paribas Asset Management wiederum erklärt, der Börsenbetreiber und Indexanbieter Euronext lege “einen strengeren Ansatz in der Auswahl der Unternehmen an”, die in den BNP Paribas Easy Low Carbon 100 Europe ETF aufgenommen werden. “Die Auswahl richtet sich auch nach dem 2-Grad-Ziel bis 2050”, sagt Claus Hecher von BNP Asset Management. Nach Berechnungen des französischen Analysehauses Carbone 4, das den Kohlenstoff-Fußabdruck von Unternehmen misst, und von CDP – früher Carbon Disclosure Project – werde dieses Ziel auch eingehalten, sagt Hecher.Der Auswahlprozess für den von Euronext kalkulierten Index ist komplex: Aus den 300 größten gelisteten Unternehmen in Europa werden die Unternehmen ausgewählt, die nach der Carbone-4-Einstufung am besten abschneiden. Aus einem auf rund 1 000 gelistete Unternehmen erweiterten Universum wählt ein von Euronext ausgewähltes “Expertenkomitee” 10 bis 15 Unternehmen aus, die den höchsten Umsatzanteil an “Low-Carbon-Geschäften” haben. Auch würden Unternehmen, die auf “grüne” Geschäftsmodelle setzten, in der Auswahl begünstigt. Seit Dezember werden zudem Firmen mit fossilen Brennstoffreserven oder solche, die fossile Brennstoffe suchen, raffinieren oder transportieren, ausgeschlossen.