TECHNISCHE ANALYSE

Abwärtswelle für den Dax angezeigt

Von Stephen Schneider *) Börsen-Zeitung, 20.6.2018 Die Bullen scheinen derzeit keinen nachhaltigen Zugriff auf den deutschen Aktienmarkt zu bekommen. So stieg der Dax nach der EZB-Sitzung am 14. Juni deutlich an und die Hoffnungen auf...

Abwärtswelle für den Dax angezeigt

Von Stephen Schneider *)Die Bullen scheinen derzeit keinen nachhaltigen Zugriff auf den deutschen Aktienmarkt zu bekommen. So stieg der Dax nach der EZB-Sitzung am 14. Juni deutlich an und die Hoffnungen auf Anschlussgewinne und den ersehnten Befreiungsschlag waren hoch. Stattdessen wurden die Gewinne aber in wenigen Sitzungen wieder aufgezehrt. Mit den jüngsten Kursen fiel der Dax dann auch unter die 200-Tage-Linie. Diese hatte der Dax bereits im letzten Februar erstmalig unterschritten. Der aktuelle, zweite Bruch wiegt nun jedoch weitaus schlimmer: Oft versuchen die Optimisten nach einem Bruch des gleitenden Durchschnitts, das verlorene Terrain zurückerobern. Das erste Verletzen der Linie kann also als eine Art Warnhinweis verstanden werden. Die Stimmung ist meist noch gut, der Markt spricht von übertriebenen, nicht gerechtfertigt Verlusten. Der zweite Bruch leitet hingegen meist eine sehr dynamische – dafür aber oft bereits letzte – Abwärtswelle ein. Anzeichen für SchwächeEine solche Abwärtswelle zeigen auch die Indikatoren an. Bei Betrachten des übergeordneten Bildes fällt auf, dass der Dax seit dem Frühjahr 2017 letztlich seitwärts tendiert. Indikatoren, die den Zyklus abgreifen, liefern in diesen Phasen recht gute Ergebnisse. So hatte der Stochastik-Oszillator Ende Mai ein Verkaufssignal angezeigt, das derzeit noch Gültigkeit besitzt. Problematisch ist dabei die momentane Struktur, denn oft drehen seine Linien im neutralen Bereich. Können sich die Bullen aber nicht durchsetzen, entsteht ein sogenanntes “Knie”. Dieses ist auch in der aktuellen Konstellation zu erkennen. Ein solches Knie wiederum deutet weiteres Abwärtspotenzial an. Wir sehen aktuell daher nur geringe Chancen, dass sich die Kurse erholen können, bevor die Indikatorlinien in den negativen, den “überverkauften”, Bereich gefallen sein werden. Stattdessen dürfte der Stochastik-Oszillator die ganze Bandbreite seiner Skalierung ausnutzen. Erfahrungswerte zeigen, dass in solchen Konstellationen Schwankungen im Bereich von 10 bis 12 % üblich sind, und wir sehen im aktuellen Fall keinen Grund, von diesen durchschnittlichen Werten abzuweichen. Einen Teil dieser Bewegung hat der Dax in den letzten Handelstagen zwar bereits hinter sich gebracht, dennoch bleibt ein restliches Abwärtspotenzial von über 5 % bestehen. Bei der Kurszielberechnung stößt man in der Folge auf die Marke bei gut 11 700 Punkten. Hier drehten die Kurse Ende März, und der Dax hat durch diesen markierten Tiefpunkt eine Unterstützung etabliert. Mit Erreichen dieser Marke dürfte der Stochastik-Oszillator tief in den genannten überverkauften Bereich eingetaucht sein und die Wahrscheinlichkeit eines Kaufsignals wird dann rapide ansteigen. Besonders durch das Zusammenspiel zwischen diesem Signal und der Unterstützung sollten die Bullen das Heft wieder in die Hand bekommen.Eine dann freundliche Entwicklung wird auch nötig, denn der Abschluss einer langfristigen Umkehrformation droht bei einem signifikanten (!) Unterbieten dieser Marke. Im Chart ist diese (bislang nur mögliche) M-Formation deutlich sichtbar. Wird sie allerdings vollendet, würde sich unter idealtypischen charttechnischen Aspekten ein Anschlusspotenzial bis etwa 10 600 Zähler berechnen lassen. Die Dimension dieser Bewegung mag im ersten Augenblick unwahrscheinlich anmuten, stellt aber mit Blick auf das langfristige Bild eine eher übliche Korrektur dar. Immerhin würde diese Bewegung einen Anstieg seit 2009 korrigieren. Damals startete der Dax im März von unter 4 000 Punkten.Einem solchen Signal wollen wir jedoch nicht vorgreifen, zudem lassen sich andere Methoden aus dem “Werkzeugkoffer” der technischen Analyse finden, die eine mildere Korrektur versprechen. Positiv könnte sich zudem noch eine Trendgerade auswirken, die das Geschehen seit dem angesprochenen Tiefpunkt aus dem Jahr 2009 bestimmt. Sie verläuft aktuell auf dem Niveau des oben genannten Verlaufstiefs und bildet an der Marke eine Kreuzunterstützung. Diese Kreuzunterstützungen besitzen in der Regel eine hohe Signifikanz, so dass ein Durchbruch nach unten eher unwahrscheinlich wird. Während wir aktuell also nicht von einer übergeordneten Korrektur ausgehen, sehen wir jedoch ebenso geringe Chancen, die verfahrene Konstellation positiv aufzulösen. Erst ein Anstieg über das historische Hoch bei 13 577 Punkten würde einen neuen Aufwärtstrend visualisieren. Einen solchen Anstieg halten wir aber ebenfalls für unwahrscheinlich, zumal die Rahmenbedingungen gegen eine solche Bewegung sprechen. Dabei schauen wir auch auf die Indizes der Schwellenländer, die traditionell einen zeitlichen Vorlauf vor dem Geschehen an den Börsen der Industrieländer zeigen. Ihr Sammelindex MSCI EM, fällt seit Ende Januar kontinuierlich ab. Dabei ist nicht nur die chinesische Börse – sie ist am höchsten gewichtet – für die negative Tendenz verantwortlich. Vor allem die osteuropäischen Indizes und das türkische Börsenbarometer hinterlassen hier einen sehr prägenden negativen Einfluss. Zu beachten ist auch die saisonale Betrachtung. Die alte Börsenweisheit “Sell in May and go away” ist sicherlich streitbar, dennoch werden die Sommermonate sehr oft von niedrigen Umsätzen und nachgebenden Kursen geprägt. Eine Abwärtsbewegung das Dax, die sich über etwa vier bis sechs Wochen erstreckt und in deren Rahmen ein Niveau von etwa 11 700 Punkten erreicht wird, scheint diesem Schema passgenau zu entsprechen.—-*) Stephen Schneider ist technischer Analyst bei der DZ Bank.