Adé Wechselkursschwankungen
Devisenwoche
Adé Wechselkursschwankungen
Von Xueming Song *)
Neigt sich ein Jahr dem Ende entgegen, geben Investmentbanken und Vermögensverwalter wie in einem Ritual ihre Prognosen für die kommenden zwölf Monate ab. Betrachtet man sich ihre Vorhersagen für den Wechselkurs von Euro zu Dollar, stellt man fest, dass das Ziel für Ende 2024 zwischen 1,05 und 1,10 liegt. Das ist eine Bandbreite, die fast genau den Schwankungen in diesem Jahr entspricht, nämlich 1,05 bis 1,11. Zusammen mit den Ausschlägen 2019 war dies die geringste Schwankungsbreite seit der Einführung des Euro 1999. Den Euro-Dollar-Wechselkurs könnte man vor diesem Hintergrund fast als stabil bezeichnen. Für die anderen wichtigen Währungspaare aus den G7-Ländern sollten – bis auf den Yen – ähnlich geringe Ausschläge gelten. Das würde bedeuten, die Finanzinvestoren müssten sich für 2024 eigentlich nur die Währungen aussuchen, die höhere Renditen abwerfen; ganz nach dem Motto: Carry Trades aufsetzen und Geld verdienen.
Carry Trades gelingen bei festverzinslichen Papieren in den meisten Jahren, also zu etwa 70 bis 80 Prozent. Bei den Währungen liegt die Erfolgsquote wesentlich niedriger, denn der Devisenmarkt wird durch wesentlich mehr Faktoren beeinflusst als der Zinsmarkt. Dass die Währungsexperten der wesentlichen Investmentbanken und Vermögensverwalter recht stabile Wechselkurse vorhersagen, erstaunt aus zwei Gründen: Zum Ersten spricht alle Welt von Rezession und zum Zweiten sind geopolitische Herausforderungen überall auf dem Globus anzutreffen. Welche Gründe gibt es also für stabile Wechselkurse, welche Carry Trades könnten sich lohnen und vor welchen Herausforderungen steht womöglich der größte Carry Trade der Welt, nämlich der, den die japanische Regierung aufgesetzt hat?
Nach einem turbulenten Jahr 2022 ist der Euro-Dollar-Wechselkurs 2023 sehr stabil geblieben, was aufgrund der geldpolitischen und geopolitischen Entwicklungen nicht unbedingt zu erwarten war. Am Anfang des Jahres sah sich die Europäische Zentralbank (EZB) aufgrund der hohen Inflation gezwungen, die Zinsen stärker als zuvor anzuheben. Hinzu kam ein Wachstum in der Eurozone, das sich erstaunlich gut gehalten hatte, trotz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Es schien zunächst, als könne der Euro von 1,05 auf 1,20 zum Dollar steigen. Doch diese Erwartung hielt sich nicht lang: Sowohl die EZB als auch die Fed änderten ihren geldpolitischen Kurs, als die Inflation stark zurückging. Das geschah nahezu simultan, womit ein Hauptfaktor für Wechselkursänderungen plötzlich verlorengegangen war: die Zinspolitik. Und es steht zu erwarten, dass sich an der Geldpolitik im Gleichschritt von EZB und Fed auch 2024 nicht viel ändern wird: Die Fed wird die Zinsen zuerst senken, dann sollte die EZB folgen. Noch im Lauf des Jahres 2022 erwartete man für die USA mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Abrutschen in die Rezession. Doch im Frühjahr 2023 stellte sich heraus, dass es dafür keine Anzeichen gab. Vielmehr war plötzlich das Szenario „Soft Landing“ in aller Munde. Die Prognose eines stärkeren Euro wurde also kassiert und der Dollar tendierte wieder fester. Inzwischen ist jedoch diese Beobachtung zu machen: Die starken Zinserhöhungen sowohl in den USA als auch im Euroraum haben tiefe Spuren hinterlassen, weshalb sich die Wachstumsaussichten überall verschlechtert haben. Aufgrund des etwas höheren Potenzialwachstums in den USA wird dort jedoch für 2024 auch ein etwas stärkeres tatsächliches Wachstum erwartet als im gemeinsamen Währungsgebiet.
Wirtschaft leidet
In den anderen europäischen Ländern wie dem Vereinigten Königreich oder der Schweiz ist die Situation nicht wesentlich anders: Zentralbanken könnten den Leitzins senken, denn die Wirtschaft leidet unter der straffen Geldpolitik. Unter dem Strich ist die Entwicklung in der ganzen westlichen Welt also ähnlich. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich die Wechselkurse nur wenig verschieben. Was den Euro-Dollar-Wechselkurs angeht, sehen die Beobachter einen etwas stärkeren Greenback, also bei 1,05, wenn sie das positivere Wachstum in den USA heranziehen, und eine etwas festere Gemeinschaftswährung, bei etwa 1,10, wenn sie den überbewerteten Dollar etwas stärker betonen.
Was nicht simultan mit der westlichen Wirtschaftspolitik einhergeht, ist die Entwicklung in Japan. Die Bank of Japan (BoJ) hält bisher an der ultralockeren Geldpolitik fest, auch wenn die Inflation stark gestiegen ist. Nun sieht es so aus, als ob die Inflationsdynamik in Japan heute eine andere ist als noch vor einigen Jahren: Eine positive Kopplung von Preis- und Lohnentwicklung kommt in Gang. Vor diesem Hintergrund könnte die BoJ die negative Zinspolitik beenden. Die Experten streiten allerdings noch darüber, ob das schon im Dezember 2023 oder erst im März 2024 geschehen sollte. So würden die japanische und die westliche Geldpolitik in entgegengesetzte Richtungen laufen, was zu einem stärkeren Yen führen könnte. Wie stark die japanische Landeswährung werden kann, hängt vom Ausmaß der Zinserhöhungen ab. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die BoJ nur homöopathisch vorgehen dürfte, sodass die Zinsdifferenz etwa zwischen Japan und den USA nicht wesentlich unter 500 Basispunkte fallen würde.
Die weltweit größte Carry-Trade-Position hält der staatliche Pensionsfonds Japans (GPIF). Im März 2023 investierte der GPIF genau 100 Billionen Yen in andere Währungen – die Hälfte des gesamten Investitionsvolumens – und diese Position ist nicht gegen den Yen abgesichert. Im März 2013, also vor den „Abenomics“, belief sich der Betrag auf nur 26,7 Billionen Yen. Aufgrund der Abwertung der japanischen Landeswährung in den vergangenen vier Jahren hat der GPIF in den zurückliegenden drei Fiskaljahren (April 2020 bis März 2023) fast so viel Geld erwirtschaftet wie in den 19 Jahren davor, nämlich 50,8 Billionen Yen (327 Mrd. Euro zum aktuellen Wechselkurs). Da der GPIF keine Verbindlichkeiten in anderen Währungen hat, könnte man behaupten, dass er sich unverantwortlich gegenüber den Rentnern verhält. Müsste der GPIF vor diesem Hintergrund nicht einen Teil der Investitionen nach Japan bringen oder zumindest die offene Währungsposition absichern, da der Yen stark unterbewertet ist?
Andere Carry-Trade-Positionen halten Investoren in Mexiko, Brasilien, Polen und Ungarn, wo die Zinsen relativ hoch sind. Kleine Positionen gibt es in Großbritannien, Australien, Kanada und Indien. Falls es allerdings zu einer großen Aufwertung des Yen kommen sollte, wären alle diese Positionen gefährdet.
*) Xueming Song ist Chef-Währungsstratege der DWS.
*) Xueming Song ist Chef-Währungsstratege der DWS.