Airbnb ist extrem hoch bewertet
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
Es gibt in den USA eine ganze Reihe von Technologieunternehmen, die in Wirklichkeit gar keine sind. Sie bieten Dienstleistungen an, die es auch schon vor der Besiedlung des Silicon Valleys durch Softwareentwickler und Internetexperten gegeben hat. Und Wettbewerber dieser Unternehmen aus der sogenannten „Old Economy“ arbeiten heute auch nicht mehr mit Papier und Bleistift, sondern setzen ebenfalls hoch entwickelte IT-Systeme ein. Eines dieser sogenannten Technologieunternehmen ist die Unterkunftsvermittlung Airbnb. Die Bewertung des Unternehmens ist gigantisch. Sie beträgt auf Basis der Zahlen für 2020 derzeit 29,4 – wir reden hier aber nicht etwa vom Kurs-Gewinn-Verhältnis, das sich aufgrund der Abwesenheit von Gewinn nicht ermitteln lässt, sondern vom Kurs-Umsatz-Verhältnis.
Man kann hier eindeutig von einer gigantischen Überbewertungsblase sprechen. Aus Anlegersicht muss dies allerdings nichts Negatives sein, solange die Blase noch größer wird. Erst ihr Platzen wäre für die Investoren mit hohen Verlusten verbunden. Dass es mit Blick auf die Kursentwicklung von Airbnb nicht mehr so ganz rational zugeht, wird daran deutlich, dass die Aktie am 24. August einen Kurssprung von 10% vollführte, nur weil das Unternehmen bekannt gab, es werde 20000 afghanische Flüchtlinge unterbringen, wobei Spenden an die Website airbnb.org für die entsprechenden Kosten aufkommen sollen.
Nicht gut entwickelt
Mit Blick auf die Reisebeschränkungen im Rahmen der Pandemie hat sich die Aktie zuletzt nicht übermäßig gut entwickelt. Im bisherigen Jahresverlauf ergibt sich ein Kursanstieg von etwas mehr als 12%, während der Benchmark-Index S&P500 auf immerhin 20% kommt. Während manche Experten darin ein erhebliches Nachholpotenzial sehen, ist die gesamte Analystengemeinde im Durchschnitt ihrer Erwartungen nicht besonders optimistisch. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 174,89 Dollar, was einem Potenzial von lediglich 6,4% entspricht. Von den 34 Analysten, die die Aktie auf ihrem Radarschirm haben, raten lediglich 16 zum Kauf, was für eine amerikanische Technologieaktie schon als Enttäuschung gelten muss. Zwei Häuser stufen den Titel mit „Overweight“ ein, 14 raten lediglich dazu, ihn im Portfolio zu behalten und zwei empfehlen den Verkauf.
In der Verlustzone
Wie schon erwähnt, schreibt Airbnb Verluste, was allerdings für amerikanische Technologieunternehmen und sogenannte Wachstumswerte fast schon zum guten Ton gehört. Im vergangenen Jahr, als die Pandemie für alle Arten von Belastungen sorgte, ergab sich ein sehr hoher Verlust von 4,6 Mrd. Dollar. 2019 waren es 674,3 Mill. Dollar und im Jahr davor 16,9 Mill. Dollar. Abgesehen vom Krisenjahr 2020, als sich die Erlöse um ungefähr ein Drittel verkleinerten, zeigt Airbnb aber ansprechende Wachstumsraten. 2019 betrug der Anstieg der Erlöse knapp 32% und 2018 fast 43%.
Aktuell setzt Airbnb auf eine rasante Erholung von den Folgen der Pandemie. Im zweiten Quartal erholten sich die Erlöse um beeindruckende 300% auf 1,34 Mrd. Dollar. Analysten hatten gemäß der Konsensschätzung mit einem Umsatz von 1,26 Mrd Dollar gerechnet. Unterm Strich ergab sich ein Verlust von 68 Mill. Dollar bzw. 11 Cent je Aktie, Airbnb bleibt also weiter in der Verlustzone. Das Unternehmen warnt, mit Blick auf die nun grassierende Delta-Variante des Coronavirus sei mit Volatilität zu rechnen. Allerdings hieß es gleichzeitig auch, für das dritte Quartal werde mit rekordhohen Erlösen gerechnet. Gleichwohl gab der Kurs nach der Veröffentlichung der Zahlen um 4% nach – ein klarer Hinweis darauf, dass die Luft für die Aktie dünn geworden ist und dass die Anleger anspruchsvoll geworden sind.
Allerdings ist zu erwarten, dass sich das operative Geschäft mit steigenden Impfquoten der Bevölkerung rund um den Globus weiter erholt und dass es Airbnb auch gelingen sollte, zusätzliche Marktanteile von klassischen Anbietern von Unterkünften wie Hotels zu erobern. Damit ist die Aktie gegenwärtig nicht nur eine Wette auf eine Fortsetzung der globalen Konjunkturerholung und der Rückkehr der Normalität, sondern auch darauf, dass sich der Strukturwandel im Reisegewerbe zugunsten der „neuen“ Anbieter fortsetzt.
Wachstumsbremse
Nicht übersehen sollten Anleger allerdings auch, dass das Verhältnis des Unternehmens zu den Behörden in den Urlaubszielgebieten in der Regel nicht das allerbeste ist. Langfristig könnte sich dies als eine Wachstumsbremse herausstellen. In Deutschland erwägen immer mehr Kommunen den Erlass von Satzungen, die verhindern sollen, dass knapper Wohnraum in lukrativere Feriendomizile umgewandelt wird. Ähnliche Bestrebungen gibt es auch in vielen anderen Ländern. Im Gegensatz zu lokal ansässigen Hotels profitieren die Kommunen und Gebietskörperschaften in der Regel auch nicht finanziell davon, dass das Unternehmen Privatquartiere vermittelt. Während ortsansässige Hotels lokale Abgaben entrichten müssen, tut dies Airbnb in der Regel nicht. Beschließen Gebietskörperschaften in Zielgebieten von Airbnb neue Abgaben auf die Vermietung von privaten Unterkünften und deren Vermittlung, läuft dies in der Regel auf langwierige Gerichtsprozesse mit Airbnb hinaus. Da die Finanznot der Kommunen und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Ballungsgebieten rund um den Globus weiter zunehmen werden, dürfte sich der beschriebene Konflikt weiter verschärfen. Die sich durch Unternehmen wie Airbnb verschärfenden sozialen Konflikte dürften auch Bedenken bei ESG-Investoren (Environmental, Social, Governance) wecken, was bei einer immer stärkeren Bedeutung dieser Investment-Grundsätze zu einem Problem für die Aktie werden könnte.
Raum für Zuwächse
Letztlich aber gibt es vorerst noch genügend Raum für operatives Wachstum und für eine sich fortsetzende Erholung. Anleger müssen aber für sich selbst entscheiden, ob diese Perspektive in der schwindelerregenden Bewertung längst eingepreist ist oder noch nicht. Wann die Blase bei Airbnb platzen wird, steht noch in den Sternen.