Aktienfieber treibt Börse Hongkong an
Von Ernst Herb, HongkongDie großen Gewinner eines Goldrausches sind meist nicht die Goldgräber, sondern die Verkäufer von Schaufeln. An diese alte Weisheit lässt dieser Tage das Börsenfieber in China denken. Die unübersehbaren Zeichen einer Blasenbildung an den Aktienmärkten Schanghai und Shenzhen haben Stimmen auf den Plan gerufen, die vor Übertreibungen warnen. Doch angetrieben von rekordhohen Handelsumsätzen war in den vergangenen Wochen der Betreiber der Hongkonger Börse der große Nutznießer der Hausse.Dass die Anleger vorderhand mehr Hoffnungen auf Hong Kong Exchanges & Clearing (HKEx) setzen als auf den Gesamtmarkt, zeigt sich daran, dass die HKEx-Titel, angerieben von den steigenden Gebühreneinnahmen in den vergangenen vier Wochen, um über 70 % zugelegt haben, während der Hongkonger Hauptindex, der Hang Seng, lediglich etwas mehr als 10 % hinzugewonnen hat. Binnen Jahresfrist ist der Kurs der Aktie um beinahe 120 % angestiegen. Hohes HandelsvolumenIm März lag das Handelsvolumen an der Hongkonger Börse rund 32 % über dem Vorjahresstand und durchbrach Anfang April mit einem täglichen Volumen von 37 Mrd. US-Dollar das sieben Jahre zurückliegenden alte Hoch. Im Monatsvergleich lag das Handelsvolumen im März sogar 70 % höher. Während es Zweifel an der Nachhaltigkeit der Rally gibt, spült das Kauffieber massiv Geld in die Kassen des Börsenbetreibers. Rund 60 % seiner Einkünfte stammen aus dem Handel mit Aktien und Derivaten.Zwei Faktoren haben zur gegenwertigen Entwicklung beigetragen. Durch die vergangenen November eingegangene Partnerschaft der HKEx mit der Börse Schanghai wurden Chinas strengen Kapitalkontrollen etwas gelockert. Privatinvestoren aus Festlandchina können seit vier Monaten in begrenztem Rahmen auch in der wirtschaftlich autonomen Sonderverwaltungsregion Hongkong Aktien erwerben. Fast gleichzeitig setzte am Aktienmarkt Schanghai auch die Hausse ein, die den Schanghaier Hauptindex im selben Zeitraum ein Plus von beinahe 100 % und binnen Jahresfrist von über 130 % beschert hat.Damit lag die Bewertung von Festlandaktien bald schon deutlich höher als die ihrer an der HKEx gehandelten Pendants. Mittlerweile ist die Spanne im Zuge der rege getätigten Arbitragegeschäfte zwar etwas kleiner geworden. Doch geht die Kursrally in Schanghai weiter, was weiterhin auch den Handel in Hongkong ungebremst anfeuert.All das hat die selbst an der HKEx kotierte Handelsplattform gemessen an ihrer Marktkapitalisierung von 44 Mrd. US-Dollar zum weltweit mit Abstand wertvollsten Aktienmarkt gemacht. Ein Vergleich: Die Japan Exchange wird vom Markt gerade mit weniger als 10 Mrd. Dollar bewertet, und das bei einer deutlich höheren kombinierten Kapitalisierung der dort notierten Aktien.Der Hongkong-Boom dürfte auch deshalb nicht abreißen, weil Premierminister Li Keqiang jüngst von der Möglichkeit sprach, dass bald auch die Börse Shenzhen eine Partnerschaft mit der HKEx eingeht. Das daraus resultierende Potenzial hat die Bewertung der HKEx-Aktien in die Höhe getrieben. Der für das laufende Jahr erwartete Jahresgewinn ist mittlerweile deutlich über 40-mal im Kurs enthalten. Die Bewertung liegt damit weit über derjenigen der regionalen Konkurrenz. Angesichts der Tatsache, dass die kombinierte Marktkapitalisierung der chinesischen Börsen auch nach der Hausse der vergangenen Monate deutlich weniger als 100 % des Bruttoinlandsprodukts entspricht, mag das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis durchaus gerechtfertigt sein. In den USA ist es beinahe doppelt so groß.Doch verlangsamt sich gegenwertig das Wachstum der chinesischen Wirtschaft. Die damit steigenden Risiken könnten sich negativ auf ihre Gewinnentwicklung auswirken. Nach wir vor unklar ist, wie sich längerfristig die Expansion des Hongkonger Börsenbetreibers in den Rohstoffhandel auswirken wird. Ende 2012 kaufte HKEx für 2,1 Mrd. Dollar die London Metal Exchange (LME). Noch steht das Urteil aus, ob die Expansionsstrategie der HKEx längerfristig auch kommerziellen Sinn macht. Der Markt reagierte auf die Ankündigung des LME-Kaufs jedenfalls mit deutlichen Abgaben.Ziel der Übernahme war, den Rohstoffhandel geografisch näher an Asien heranzubringen, wo die Metalle auch verarbeitet werden. Allerdings wurden mit dem Kauf auch einige Altlasten übernommen, deren Abarbeitung wohl mehr Zeit in Anspruch nimmt als ursprünglich erwartet. Vor allem kam auch die Frage auf, ob die von der Hongkonger Regierung mittels einer gesetzlich vorgeschriebenen Sitzmehrheit im Vorstand kontrollierte Handelsplattform nicht auch Wirtschaftspolitik betreibt, was auf Kosten der übrigen Aktionäre gehen könnte. Auf Linie der RegierungDer Kauf der LME liegt auf alle Fälle ganz klar auf der Linie der chinesischen Zentralregierung, die den Preisfindungsprozess auf dem Rohstoffmarkt vom Westen nach Osten verlagern will. Anders als bei der Mutter verläuft der Geschäftsgang der Londoner Tochter vor allem auch wegen der von hohen Lagerbeständen verursachten niedrigen Rohstoffpreise eher schleppend. Im März wurden an der LME mit 15 Mill. Transaktionen 8,5 % weniger Terminkontrakte gehandelt als Vorjahreszeitraum.Während all dies Fragen offen lässt, bleiben die Chancen intakt, dass HKEx dank ihres forschen Wachstumskurses die Stellung als eine der größten Börsen der Welt weiter ausbauen kann. Für die HKEx spricht weiterhin die große Anpassungsfähigkeit, was sich nicht erst jetzt mit dem Brückenschlag nach Schanghai gezeigt hat.Mittelfristig könnten die großen Erwartungen in die Börsenbetreiber der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft enttäuscht werden. Das sind auch Gründe dafür, dass die Credit Suisse das Jahresendziel der Aktie auf 188 HK-Dollar festgesetzt hat. Die Titel tendierten Mitte der Woche auf dem Stand von beinahe 300 HK-Dollar.