Aktienstile und Faktoren in Zeiten hoher Inflation
Jahrelang war die Inflation in den USA niedrig, aber jetzt steigt sie kräftig. Darüber hinaus scheint die hohe Inflation länger zu dauern als von vielen Volkswirten erwartet. Für Investoren stellt sich deshalb die Frage, mit welchen Wertpapieren sie ihre Portfolios schützen können, wenn die Teuerung hoch bleibt oder sogar weiter steigt. ̈Frühere Phasen mit hoher Inflation gingen mit rückläufigen Bewertungen, fallenden Margen und steigenden Zinsen einher. All dies belastete die Erträge sowohl von Aktien als auch von Anleihen. Dennoch gibt es Möglichkeiten, Portfolios so auszurichten, dass sie weniger unter der Inflation leiden.
Untersuchen wir zunächst, wie sich die einzelnen Aktienstile oder Faktoren in verschiedenen Inflationsregimen entwickelt haben. Um eine möglichst lange Historie zu haben und Daten zu nutzen, die Investoren vertraut sind, greifen wir auf Faktoren von Kenneth French zurück: Size (Unternehmensgröße), Value (Bewertung), Rentabilität und Investitionen, ergänzt um Momentum.
Zwar war die Inflation schon lange nicht mehr so hoch wie jetzt, doch gab es in der Vergangenheit mehrere Phasen mit hoher Teuerung, aus denen wir einiges lernen können. In der Regel hatten sie mit Kriegen zu tun. Plötzliche, unerwartete Inflationsspitzen sind zwar auch beunruhigend. Wirklich schmerzhaft für Investoren sind aber längere Phasen mit hoher Teuerung. Drei der vergangenen Inflationsphasen haben wir uns genauer angesehen: den Zweiten Weltkrieg und die 1940er Jahre, das Ende des Bretton-Woods-Systems in den 1970er Jahren und – als Gegenbeispiel – die Deflation in den 1930ern, als Preise und Produktion infolge der Großen Depression dramatisch einbrachen. Die Analyse basiert auf den Datenreihen zu Size, Value und Momentum seit den 1920er Jahren und die Daten zu Rentabilität und Investitionen beginnen in den 1960er Jahren.
Inflation gut für Value
Betrachten wir nun die Ergebnisse. Size: Die Resultate sind uneinheitlich. Bei hoher Inflation in den 1940er und 1970er Jahren schnitten Small Caps besser ab als Large Caps. Den größten Mehrertrag erzielten Small Caps allerdings während der Deflation in den 1930ern. Es ist also nicht ganz klar, ob es einen Zusammenhang zwischen Small-Cap-Prämie und Inflation gibt.
Value: Unterbewertete Aktien haben sich in den 1940er und 1970er Jahren besser entwickelt als überbewertete Papiere. In der Deflation der 1930er Jahre war der Value-Faktor vergleichsweise schwach. Das stützt die These, dass Value bei hoher Inflation besser abschneidet als der Markt.
Der Momentum-Faktor, also der Kauf von Aktien mit steigenden Kursen beziehungsweise Verkauf von Papieren mit fallenden Kursen, war in den 1940ern und 1970ern sehr erfolgreich und in den 1930ern sehr schwach. Momentum-Aktien entwickeln sich häufig gut, brechen aber gelegentlich stark ein, in der Regel in deflationären Phasen. Außerdem dauern Phasen mit hoher Inflation üblicherweise länger an. Davon können Momentum-Strategien profitieren, weil Investoren abspringen, wenn der Trend länger anhält.
Der Faktor Rentabilität wird häufig als Proxy für Qualität genutzt. Für die 1930er und 1940er Jahre stehen keine Daten zur Verfügung, und in den 1970er Jahren entwickelte sich der Faktor fast seitwärts. Ein Grund für diese Seitwärtsbewegung könnte die Nifty-Fifty-Blase von Qualitätsaktien sein, die dem Faktor Rentabilität in den 1970ern vielleicht geschadet hat.
Investitionen: Dieser Faktor misst den Mehrertrag von Unternehmen, deren Aktiva eher langsamer wachsen. Er ist zu etwa 70% mit Value korreliert. Daten dazu stehen erst ab den 1960er Jahren zur Verfügung, aber während der Inflation in den 1970ern haben sich dieser Faktor und der Value-Faktor ähnlich gut entwickelt.
Die Ergebnisse deuten also darauf hin, dass sich die Faktoren Value und Momentum in Phasen hoher Inflation am besten entwickeln. In beide Faktoren sind die meisten quantitativen Aktienmanager in hohem Maße investiert. Die Korrelation zwischen den Faktoren und der Inflation hat dafür gesorgt, dass sich ihre Strategien in den letzten zehn Jahren, als die Inflation sehr niedrig war, eher schwach entwickelt haben. Wenn die zuletzt hohe Inflation anhält, könnten sie also hohe Erträge erzielen.
Rolle der Realzinsen
Welche Faktoren sich gut entwickeln werden, hängt aber nicht nur von der Inflation ab, sondern von vielen weiteren Aspekten: etwa den Realzinsen, dem Wachstum und den Bewertungen. Um besser zu verstehen, wie diese Aspekte die Faktorerträge beeinflusst haben, wurde eine Regressionsanalyse mit Inflation, Realzinsen und BIP-Wachstum durchgeführt. Das Ergebnis zeigt, dass sich Small Caps und Value-Aktien in der Regel am besten entwickeln, wenn starkes Wirtschaftswachstum und hohe Inflation zusammenfallen. Hinter diesen Faktoren stehen üblicherweise risikoreichere Unternehmen, die in Zeiten mit starkem Wachstum als weniger risikoreich wahrgenommen werden.
Der Faktor Rentabilität steht dagegen eher für Qualitätsunternehmen. Sie haben in Rezessionen einen höheren Mehrertrag erzielt. Sie können üblicherweise Phasen mit schwachem Wachstum besser abfedern und dürften dann nur einen kleinen Teil ihrer Erträge abgeben. Unter steigenden Realzinsen leiden vor allem Unternehmen, deren erwartete Cashflows noch weiter in der Zukunft liegen. Deshalb schneiden Small Caps und Wachstumsunternehmen schwach ab. Die Faktoren Value und Rentabilität stehen dagegen meist für Unternehmen, deren erwartete Cashflows sehr bald realisiert werden dürften. Sie entwickeln sich bei steigenden Zinsen meist gut.
Angesichts der Entwicklung von Inflation und Zinsen in den letzten zwölf Monaten ist von nachlassendem Wachstum und niedrigeren Gewinnen auszugehen. Im nächsten Jahr kann viel passieren, aber wir halten zwei Extremszenarien für immer wahrscheinlicher.
Stagflation: In diesem Szenario bleibt die Inflation hoch. Die Fed erhöht die Zinsen sehr stark, um die Teuerung im Zaum zu halten. Bei einer Straffung der Geldpolitik dürften die Anleiherenditen steigen, aber in der Vergangenheit war dann auch das Wirtschaftswachstum schwächer und das Rezessionsrisiko höher. Davon könnten die Faktoren Wachstum und Rentabilität profitieren, weil diese Unternehmen einer rückläufigen Konjunktur mehr entgegenzusetzen haben. Dennoch ist Vorsicht geboten, weil die Unternehmen hoch bewertet sind und bei steigenden Zinsen Value meist besser abschneidet. Eine das ganze Jahr über hohe Inflation könnte auch für Momentum-Aktien günstig sein. Sie haben sich bislang bei hoher Teuerung gut entwickelt.
Disinflation: In diesem Szenario kommt es zu einer vorübergehenden Wachstumsdelle, aber auch die Inflation lässt nach. Die Fed würde ihre Zinsen kaum oder gar nicht anheben müssen, und das Rezessionsrisiko wäre geringer als im Stagflationsszenario. Bei rückläufigem Wachstum und einer weniger straffen Geldpolitik würden die Anleiherenditen grundsätzlich zurückgehen. Dieses Szenario wäre vermutlich günstig für Wachstumsunternehmen und Firmen mit hoher Rentabilität, aber ihre Aktien sind weiter hoch bewertet. Ähnlich wie in der Spätphase des Konjunkturzyklus könnte auch Value vergleichsweise schwach abschneiden.
Momentum als Beimischung
Da die Inflation so hoch ist wie schon sehr lange nicht mehr und nicht feststeht, wie die Fed reagiert, ist es schwer zu sagen, welches Szenario am Ende eintrifft. Bei beiden wäre auch nicht ganz klar, welche Faktoren sich am besten entwickeln würden. Daher halten wir einen diversifizierten Ansatz zurzeit für eine gute Wahl. Ein Portfolio, das in Value-Qualitätsaktien sowie in hochwertige Unternehmen mit hoher Rentabilität und hohem RoIC (Return on Invested Capital) investiert, die nicht zu hoch bewertet sind, erscheint solide. Bisher haben sich Momentum-Strategien langfristig gut entwickelt, vor allem in Phasen mit hoher Inflation. Sie können zusätzliche Diversifikation bieten, die unabhängig vom Szenario hilfreich sein dürfte. Anlagen in mehrere Faktoren könnten fallende Märkte abfedern und die Chance auf Mehrertrag in der Erholung erhöhen.