IM BLICKFELD

Alibaba zwingt Hongkonger Börse zur Nabelschau

Von Norbert Hellmann, Schanghai Börsen-Zeitung, 24.9.2014 An Asiens führendem Finanzplatz Hongkong gibt es einige gute Gründe, optimistisch nach vorne zu blicken: Die führenden Aktienindizes liegen nahe an einem Sechsjahreshoch, das...

Alibaba zwingt Hongkonger Börse zur Nabelschau

Von Norbert Hellmann, SchanghaiAn Asiens führendem Finanzplatz Hongkong gibt es einige gute Gründe, optimistisch nach vorne zu blicken: Die führenden Aktienindizes liegen nahe an einem Sechsjahreshoch, das Emissionsgeschäft dürfte auf das höchste Niveau seit den Jubeljahren 2010 und 2011 gehen (siehe Grafik), und das bald anlaufende Pilotprojekt Hong Kong Shanghai Stock Connect bringt eine vielversprechende gegenseitige Öffnung der beiden führenden Handelsplätze im großchinesischen Raum.Andererseits aber schmerzt der Blick nach hinten noch immer heftig: Während an der New York Stock Exchange (Nyse) nach dem aufsehenerregenden Initial Public Offering (IPO) des chinesischen E-Commerce-Marktführers Alibaba die Korken knallen, muss man in Hongkong missmutig feststellen, dass dem Finanzplatz der mit 25 Mrd. Dollar Kapitalaufnahme tatsächlich größte Börsengang aller Zeiten durch die Lappen gegangen ist.Alibaba hätte für ihr Mega-IPO bevorzugt den Platz Hongkong angesteuert, blitzte aber mit ihrem eigenwilligen Corporate-Governance-Modell ab. Es sichert dem Gründerteam um Alibaba-Chef Jack Ma beziehungsweise der Alibaba Partnership völlig unabhängig von ihrer tatsächlichen Kapitalbeteiligung auf alle Ewigkeit die totale Kontrolle und Gewinnverwendungsmacht. Während man in den USA keine Probleme mit einer Zweiklassengesellschaft und kontrollbevorzugten Aktionärskreisen hat, gilt an der für ein stringentes Finanzplatzregime bekannten Hongkonger Börse das Prinzip: “Ein Aktionär, eine Stimme.” Keine ExtrawurstAuf eine Lex-Alibaba, sprich eine Ausnahmeregelung, die Hongkong die saftigste IPO-Schnitte aller Zeiten beschert hätte, wurde tapfer verzichtet. Das gilt freilich weniger für den Börsenbetreiber Hong Kong Exchanges & Clearing (HKEx). Dessen Chef Charles Li hätte sich liebend gerne auf eine Kompromissregelung mit Alibaba eingelassen, um nicht am prestigereichsten IPO der vergangenen Jahre vorbeizuschrammen. Anders die Hongkonger Finanzaufsichtsbehörde Securities and Futures Commission (SFC): Diese hat bei Listingregularien an der HKEx das letzte Wort und sah keinen Anlass, für Alibaba Sonderregeln aus dem Boden zu stampfen.Dass die SFC einen noch aus britischen Kronkoloniezeiten stammenden Rechtsrahmen eisern verteidigt, ist Hongkong bislang gut bekommen. Der für internationale Investoren zugängliche Finanzplatz in der chinesischen Sonderverwaltungszone hebt sich äußerst positiv ab gegenüber dem noch immer sehr unreifen und reformbedürftigen sowie zugangsbeschränkten Finanzplatzgeschehen auf dem chinesischen Festland, wo Chinas Regierung und Einheitspartei das Sagen haben.Dass man bei der SFC jedweder Aufweichung des Regelwerks zugunsten von Partikularinteressen ablehnend gegenübersteht, schafft eine hohe Vertrauensbasis. Umgekehrt wäre ein Reputationsschaden zu befürchten gewesen, wenn man sich dem Druck einer mächtigen Einzeladresse wie Alibaba gebeugt hätte, betonen Marktteilnehmer. Man müsste dann nämlich annehmen, dass die Unabhängigkeit der Hongkonger Regulatoren auch dem Druck anderer mächtiger Instanzen, etwa der chinesischen Regierung, nicht standhalten würde.Die Frage für Hongkong ist allerdings, ob man die Zeichen der Zeit erkannt hat, beziehungsweise den Besonderheiten der Informationstechnologiebranche und den Kapitalbedürfnissen der immer stärker in die Welt hinausziehenden chinesischen Internetfirmen genügend Tribut zollt. Tatsache ist jedenfalls, dass seit 2009 neun der zehn größten IPOs von chinesischen Firmen mit Internetbezug in den USA stattgefunden haben. HKEx-Chef Li hat seine Enttäuschung über die verpasste Chance in Sachen Alibaba nur verhalten ventiliert. Er regt nun aber Reformen des Listingregimes an, um sicherzustellen, dass der Finanzplatz auf der Höhe der Zeit bleibt und in einem stärker von Technologiefirmen mitgeprägten Finanzplatzwettbewerb mithalten kann. Genügend NachschubEs gibt allerdings keinen Grund, Trübsal zu blasen. Auch ohne Alibaba läuft das Hongkonger IPO-Geschäft auf hohen Touren. Nach neun Monaten liegt man schon nahe am Volumen des Gesamtjahres 2013 und weltweit an zweiter Stelle hinter der Nyse. Für das Schlussquartal deuten sich bereits einige fette Brocken aus einem bunten Sektorenspektrum an, die eine weitere Kapitalaufnahme von insgesamt mehr als 10 Mrd. Dollar erwarten lassen.Jüngst kam die Nachricht, dass das chinesische Konglomerat Dalian Wanda eine Börseneinführung ihres riesigen gewerblichen Immobiliengeschäfts Wanda Commercial Properties plant und dabei rund 6 Mrd. Dollar einsammeln will. Ebenfalls in der Pipeline sind eine Reihe von chinesischen Staatsfirmen, darunter der Rückversicherer China Reinsurance Corp., der mit Daimler verbandelte Autobauer BAIC Motor Corp. und das Brokerhaus GF Securities. IPO-Kandidaten aus dem Technologiesektor sind aber nicht in Sicht.