Am Gilts-Markt drohen Kursverluste

Stimmen die Schotten für die Unabhängigkeit, wird ein Abverkauf britischer Staatsanleihen erwartet

Am Gilts-Markt drohen Kursverluste

Sollte sich Schottland am Donnerstag für die Unabhängigkeit entscheiden, kommt es am Markt für britische Staatsanleihen (Gilts) zu deutlichen Kursverlusten – damit rechnen zumindest zahlreiche Bankanalysten und Vermögensverwalter. Er wäre nicht überrascht, erhebliche Turbulenzen zu erleben, sagt etwa Bill O’Neill, Head of the Investment Office bei UBS Wealth Management UK.Von Andreas Hippin, LondonDas für den 18. September angesetzte Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands hat am Markt für britische Staatsanleihen (Gilts) die Frage nach dem Timing des ersten Zinsschritts der Bank of England als dominierendes Thema abgelöst. Seitdem sich in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen abzeichnet, habe der Markt kaum etwas anderes im Blick, konstatiert Zinsstratege Anthony O’Brian von Morgan Stanley. Ein Votum für die Loslösung von London könnte die Bank of England dazu bewegen, bis nach den 2015 anstehenden Wahlen zu warten, bevor sie den Zins erhöht. Zudem ist mit Auswirkungen auf das Länderrating Großbritanniens zu rechnen. J.P. Morgan hielte im Falle eines Downgrades eine Senkung um eine Stufe für “angemessen”. Zahlreiche Vermögensverwalter und Volkswirte erwarten für den Fall eines “Ja” zur Souveränität Schottlands einen Abverkauf sowohl der britischen Landeswährung als auch der Staatsanleihen. Das wäre “zunächst ein Schock für Gilts und Sterling”, sagt etwa Neil Williams, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter Hermes. Britische Staatsanleihen könnten sich in der Folge unterdurchschnittlich entwickeln. “Aber ich glaube nicht, dass kurzfristig eine Gilts-Krise einsetzt.” Schließlich habe die britische Regierung klargestellt, dass sie in diesem Fall ihren vertraglichen Verpflichtungen bei allen britischen Schuldentiteln unter allen Umständen nachkommen werde. “Das Leben würde weitergehen”, sagt Williams. “Ja” noch nicht eingepreistAuch Bill O’Neill, Head of the Investment Office bei UBS Wealth Management, erwartet auf kurze Sicht einen Abverkauf von Gilts. An den Finanzmärkten habe man die Möglichkeit eines “Ja” bislang noch nicht aggressiv eingepreist. Allerdings stellt sich das Bild bei Gilts aus seiner Sicht differenzierter dar als am Devisenmarkt. Anleger könnten sich schließlich auch in vermeintlich sichere Anlagen flüchten. Zudem gäbe es für langfristig orientierte Investoren sicher interessante Gelegenheiten. Ausländische Adressen haben sich bislang nicht in großem Stil von Gilts getrennt. Die Analysten von Morgan Stanley haben gar Hinweise auf eine aufgestaute Nachfrage bei Vermögensverwaltern aus Übersee ausgemacht. Seit Jahresbeginn hätten diese netto keine Gilts gekauft. In den vergangenen fünf Jahren seien es im Schnitt 40 Mrd. Pfund jährlich gewesen. Dabei balle sich die Nachfrage in der Regel im zweiten Halbjahr. “Wir zögern deshalb, wesentliche Gilt-Verkäufe seitens dieser Adressen vorherzusagen.”Wer britische Staatsanleihen in Pfund hält, hat ein Währungsrisiko im Portfolio. George Buckley, der UK-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, rechnet für den Fall eines “Ja” mit einem “erheblichen Fall” der Währung und niedrigeren Kursen am Aktienmarkt. “Wenn sich das Pfund bewegt, dann mehr, als Anleger erwarten”, konstatiert Simon Derrick, der Devisen-Chefstratege von BNY Mellon.Sorgen macht Anlegern die Drohung des Nationalistenführers Alex Salmond, ein souveränes Schottland könne sich weigern, seinen Anteil an der britischen Staatsverschuldung zu tragen, falls ihm eine Währungsunion verweigert werde. Am Markt würde das wohl als Zahlungsverweigerung gewertet – mit entsprechenden Auswirkungen auf die künftige Risikoprämie, die Schottland zu zahlen hätte. Auf Pro-Kopf-Basis entfallen auf Schottland etwa 8,3 % der britischen Staatsverschuldung. Die Ratingagentur Fitch geht davon aus, dass sich das Verhältnis von Bruttoinlandsprodukt und Verschuldung Großbritanniens um 9,5 Prozentpunkte verschlechtern könnte, wenn sich Schottland für die Unabhängigkeit entscheidet. “Und wie wir bereits zuvor betont haben, müsste die Verschuldungsquote von Großbritannien vor einer Hochstufung zurück auf ,AAA’ niedriger sein als derzeit und beständig sinken.” Ein durch Schottland verursachter Schuldenschock würde dies weiter hinauszögern.Auf jeden Fall ein Thema werden “Kilts”, schottische Anleihen. Denn die könnte es auch dann geben, wenn sich Caledonia, wie der Norden Großbritanniens auch genannt wird, für den Verbleib in der Union entscheidet. Ab dem kommenden Jahr hätte die Regierung in Holyrood auch unter London das Recht, am Finanzmarkt Geld aufzunehmen, wenn auch in äußerst begrenztem Umfang. Wenig hilfreich beim Absatz von “Kilts” dürfte sein, dass große schottische Finanzdienstleister, mögliche Abnehmer also, im Falle eines “Ja” zur Verlegung ihres Sitzes nach Restbritannien gezwungen wären.