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Amerikas archaischer Leitindex

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 1.9.2020 Der zweitälteste Aktienindex der Welt - bzw. das älteste Marktbarometer, das noch Relevanz hat - erfährt derzeit einige bedeutende Änderungen, die unter anderem die Berechnungsweise des...

Amerikas archaischer Leitindex

Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtDer zweitälteste Aktienindex der Welt – bzw. das älteste Marktbarometer, das noch Relevanz hat – erfährt derzeit einige bedeutende Änderungen, die unter anderem die Berechnungsweise des Index beeinflussen. Die Rede ist vom Dow Jones Industrial Average (DJIA), kurz Dow Jones genannt. Dieser Index ist zwar hinsichtlich der darin über Indexfonds investierten Summen längst nicht mehr das wichtigste US-Marktbarometer, diese Rolle musste er an den deutlich moderneren Standard & Poor’s 500 abgeben.In den Index sind mit Salesforce.com, Amgen und Honeywell International drei neue Werte in den Index hereingekommen, während mit ExxonMobil, Pfizer und Raytheon Technologies drei amerikanische Unternehmensikonen weichen müssen. Eine so umfangreiche Veränderung hat es zuletzt 1997 gegeben. Damit verringert sich das Gewicht der traditionellen Branchen Rohöl, Pharma und Rüstung zugunsten von Cloud- und anderen Technologien sowie Biotechnologie. Aufgrund der altertümlichen Berechnungsweise des Traditionsindex spielt auch eine große Rolle, dass das Schwergewicht Apple einen Aktiensplit im Verhältnis vier zu eins durchgeführt hat.Doch zunächst zur Frage der Umbesetzung. Der Austausch von Indexbestandteilen findet nach wie vor aufgrund der Entscheidungen eines Indexkomitees statt, für die es lediglich schriftliche Empfehlungen der Vorgehensweise gibt, aber keine festen Regeln. Das Komitee besteht aus drei Vertretern von S&P Dow Jones Indices und zwei Vertretern des “Wall Street Journal”. Ein ähnliches Komitee gab es ursprünglich auch beim Dax, der sich aber im Gegensatz zum DJIA längst modernen Standards streng regelbasierter Veränderungen angepasst hat. Die 30 Mitglieder des DJIA sollen die amerikanische Wirtschaft gut repräsentieren – daher offenbar die stärkere Betonung neuerer Zukunftsbranchen. Die Mitglieder sollen ihren Sitz und ihre Börsennotiz in den USA haben. Schon 1896 geschaffenIns Leben gerufen wurde der Dow Jones Industrial Average übrigens am 26. Mai 1896 von Charles H. Dow, einem der Gründer von Dow Jones & Company. Der Index hatte ursprünglich zwölf Mitglieder. Der zu dieser Zeit noch deutlich wichtigere Index war das bereits 1884 gegründete und damals “Dow Jones” genannte Barometer, das elf Eisenbahnaktien beinhaltete. Es wurde 1896 in “Dow Jones Rail Average” umbenannt und heißt heute “Dow Jones Transportation Average”. Dow gelangte 1896 zu der Auffassung, dass Industrieunternehmen rasch wichtiger würden als die Eisenbahn. Während sich das Gewicht einzelner Bestandteile in einem modernen Aktienindex auf Basis eines mit der Marktkapitalisierung gewichteten arithmetischen Mittels berechnet, gibt es beim rein preisgewichteten DJIA einen vom Indexkomitee bestimmten “Dow Divisor”, durch den die Summe der Kurse der Einzelwerte geteilt wird. Der “Dow Divisor” betrug ursprünglich 12. Es handelte sich also um ein einfaches ungewichtetes arithmetisches Mittel. Im Jahr 1928 lag er bei 16,67, und derzeit – also nach der aktuellen Änderung – beträgt er rund 0,152 nach zuvor 0,147. Der Divisor muss immer bei Umbesetzungen oder auch Aktiensplits geändert werden. Hier kommt der aktuelle Aktiensplit von Apple ins Spiel: Ließe man den Divisor unverändert, würde infolge des Aktiensplits das Indexniveau sinken. Dies wird über die Manipulation des Divisors verhindert. Derzeit führt ein Kursanstieg in einem der DJIA-Bestandteile um 1 Dollar zu einem Anstieg des Index um 6,579 Punkte.Die veraltete Konstruktion führt übrigens noch zu einer aus heutiger Sicht für Indizes ungewöhnlichen Konsequenz: So würde beispielsweise das von der Marktkapitalisierung her kleinste Unternehmen im Dow Jones ein höheres Indexgewicht als das größte haben, sofern der aktuelle Preis seiner Aktie höher ist. Unitedhealth Group hat derzeit mit dem höchsten Aktienkurs im Index ein deutlich höheres Gewicht im DJIA als Apple, die sich vom Indexgewicht her lediglich auf Platz 18 der 30 Werte befindet. Dass Apple das derzeit wertvollste Unternehmen der Welt ist, spielt keine Rolle. Vor dem Aktiensplit war übrigens Apple aufgrund des hohen Aktienkurses noch der Indexbestandteil mit dem höchsten Gewicht.Außerdem sinkt mit einem Aktiensplit das Gewicht von Unternehmen im Index. Hatte Apple vor der Kapitalmaßnahme ein Gewicht von 12 % im Index, sind es danach nur noch 3 %. Dadurch nimmt auch der Anteil der Technologiebranche im Index ab, und zwar – ohne Berücksichtigung der aktuellen Umbesetzungen – von 27 % auf 20 %. Da Technologiewerte aber derzeit die beste Börsenperformance aufweisen, sah sich das Indexkomitee offenbar veranlasst, mehr Technologieunternehmen in den Index zu bekommen und den Tech-Anteil stabil zu halten.Auch wenn sich das Indexkomitee redlich bemüht, Unternehmen der “Old Economy” durch solche der “New Economy” zu ersetzen und so den Index zu modernisieren, es bleibt das Gefühl zurück, dass Amerikas bekanntester Leitindex einer gewissen Archaik nicht entbehrt. Wenn man wohlwollend ist, lässt sich das aber auch als Traditionsbewusstsein qualifizieren.