Brenntag

Analysten bescheinigen Brenntag Kurspotenzial

Brenntag hat ihre Investoren mit Überlegungen zur Übernahme des größten Rivalen Univar und der kurz darauf folgenden Kehrtwende reichlich verunsichert. Dennoch trauen Analysten der Aktie viel zu.

Analysten bescheinigen Brenntag Kurspotenzial

Von Annette Becker, Düsseldorf

Rein in die Puschen, raus aus den Puschen. Der Chemiedistributeur Brenntag hat seine Aktionäre in den vergangenen Wochen einem wahren Wechselbad der Gefühle ausgesetzt: Kurz nach dem Kapitalmarkttag Mitte November musste Brenntag einräumen, mit dem Rivalen Univar Gespräche über eine mögliche Übernahme zu führen. Aus dem Zusammenschluss der Nummer 1 und der Nummer 2 der Branche wäre der mit weitem Abstand führende Chemikalienhändler hervorgegangen.

Das Votum der Aktionäre fiel eindeutig aus: Der Kurs des Dax-Werts stürzte an nur einem Tag um fast 10 % ab, die Marktkapitalisierung verringerte sich binnen 24 Stunden um fast 1 Mrd. Euro. Vier Wochen später gab Brenntag dann Entwarnung: Die Gespräche mit Univar sind beendet, aus dem großen Konsolidierungsschritt in der stark fragmentierten Branche wird vorerst nichts. Das wurde am Aktienmarkt goutiert, auch wenn die Kursscharte noch nicht ganz ausgewetzt ist.

Aktionärsaktivisten

Wie groß der Unmut aufseiten der Brenntag-Aktionäre war, zeigte sich auch daran, dass der Investor Primestone einen offenen Brief verschickte, in dem er eine Abkehr von dem Deal forderte und stattdessen auf eine Aufspaltung von Brenntag dringt. Als abschreckendes Beispiel verweist Primestone auf die deutlich kleinere Übernahme von Nexeo durch Univar im Jahr 2018. Im Nachgang waren Kunden abgewandert, um ihre Lieferketten wieder zu diversifizieren. Nicht zuletzt deshalb steht auch das vermeintliche Übernahmeziel Univar unter dem Druck eines aktivistischen Investors, der die Gesellschaft aufforderte, einen offenen Verkaufsprozess zu starten. Auf diesem Weg – so die Einschätzung – ließe sich ein höherer Verkaufspreis erzielen.

Dass sich die Investoren gegen den potenziellen Deal stellten, hatte allerdings weniger mit der industriellen Logik zu tun. Nicht nur nach Einschätzung von Analyst Markus Mayer von der Baader Bank wäre mit dem Zusammenschluss ein hohes Synergiepotenzial einhergegangen. Vielmehr wurden am Kapitalmarkt Finanzierungs- und kartellrechtliche Risiken befürchtet. Letztere hätten zu einer lang andauernden Hängepartie führen können.

Ambitionierte Ziele

Sorgen bereitete den Investoren aber vor allem der Finanzierungsaspekt, der womöglich eine Kapitalerhöhung nach sich gezogen hätte. Zwar hatte Brenntag anlässlich des Kapitalmarkttags annonciert, das jährliche M&A-Budget auf 400 bis 500 Mill. Euro verdoppeln zu wollen. Doch wie in der Vergangenheit sollten auch künftige Übernahmen aus dem freien Cashflow finanziert werden. Im Vordergrund, so zumindest hatte Brenntag-Chef Christian Kohlpaintner signalisiert, sollte unverändert das organische Wachstum stehen.

Mit der Übernahme, so die Befürchtung von Barclays-Analyst Alex Stewart, wäre es zu einer unerwünschten Ablenkung von der ansonsten überzeugenden Equity Story gekommen. Zumal sich Brenntag auf die Fahnen geschrieben hat, das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Amortisation (Ebita) im Zeitraum 2021 bis 2026 jährlich um 6 % bis 8 % zu steigern – wohlgemerkt ohne Akquisitionen. Die ambitionierten Wachstumsziele sind nach Einschätzung der Analystengemeinde trotz drohender Rezession in Europa durchaus realistisch, auch wenn die Experten für 2023 und 2024 von unter den im Rekordjahr 2022 erwirtschafteten Umsatz- und Ertragszahlen aus­gehen.

Das liegt auch daran, dass sich Brenntag in den letzten Jahren als Krisengewinner profiliert hat. Hatte sich der Branchenprimus in der Pandemie, welche die Lieferketten durcheinanderwirbelte, als zuverlässiger Lieferant unter Beweis gestellt, macht der Chemielogistiker nun dank der globalen Aufstellung auf Kunden- wie auf Lieferantenseite beim Beseitigen von durch die Energiekrise ausgelösten Produktknappheiten von sich reden. Zugleich ist Brenntag mit 200 000 Kunden und dem Vertrieb von über 10 000 Produkten von keiner einzelnen Branche abhängig.

Entsprechend wohlwollend sind die Analysten für die Aktie ge­stimmt. Von den 19 Häusern, die Brenntag auf dem Schirm haben, gibt es keine Verkaufsempfehlung. Die Zahl der neutralen Einstufungen hält sich mit drei in sehr überschaubaren Grenzen, zumal die Herabstufung der Citigroup von „Kaufen“ auf „Halten“ vom 28. November datiert, also kurz nach Bekanntwerden der Gespräche mit Univar.

Allerdings nahm Bank of America ihre Einstufung erst gestern von „Buy“ auf „Neutral“ zurück und reduzierte das Kursziel auf 73 (zuvor: 101) Euro. Zur Begründung verweist Analystin Simona Sarli darauf, dass der Bewertungsabschlag gegenüber Univar aufgrund der sinkenden Gewinnerwartungen für eine höhere Einstufung nicht mehr groß genug sei.

16 Analysten empfehlen die Aktie des Chemiedistributeurs hingegen zum Kauf. In der Spitze wird Brenntag ein Kurs von 100 Euro (Berenberg) zugetraut, aktuell notiert das Papier bei 67 Euro. Das niedrigste Kursziel hat Marc Van’T Sant von Citigroup bei 65 Euro gesteckt. Der Analystenkonsens (Vara Research) liegt bei 87,53 Euro, was ausgehend vom aktuellen Kursniveau ein Potenzial von knapp einem Drittel verspricht.

Schlechtes Timing

Engt man den Blick auf jene Einstufungen ein, die erst nach der Absage an die potenzielle Übernahme aktualisiert wurden, sprechen vier der fünf Analysten eine Kaufempfehlung aus, darunter auch Michael Schäfer von Oddo BHF, der seine Einstufung am 3. Januar von „Neutral“ auf „Outperform“ hochsetzte. Auch für Chetan Udeshi von J.P. Morgen ist die Aktie mit einem Kursziel von 98 Euro ein klarer Kauf. Udeshi hatte die Übernahmeverhandlungen mit Univar gutgeheißen, wenngleich sie angesichts des schwachen makroökonomischen Ausblicks zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt gekommen seien. Da das Thema nun aber vom Tisch ist, rücken für Udeshi die Argumente von Primestone – allen voran die Aufspaltung – in den Vordergrund.

Angesichts der Aktionärsstruktur – der Streubesitz liegt bei 100 %, dabei sind große Kapitalsammelstellen wie Blackrock und Capital Research and Management mit je mehr als 5 % engagiert – könnten Pläne zur Strukturveränderung auch bei anderen Investoren auf fruchtbaren Boden fallen.

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