Analysten sind für die Biontech-Aktie skeptisch
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
Die jüngsten Quartalszahlen des Mainzer Impfstoffproduzenten Biontech sind ungewöhnlich, selbst für die erfolgsverwöhnte Pharmabranche: Bei einen Quartalsumsatz von rund 5,3 Mrd. Euro ergibt sich unterm Strich ein Nettogewinn von knapp 2,8 Mrd. Euro. Die Nettogewinnmarge von Biontech beträgt damit 52,5% – eine Bruttomarge in dieser Höhe würde bei fast allen Unternehmen schon als üppig gelten. Auch das Umsatzwachstum sprengt alle Rekorde. Standen im Vergleichszeitraum des Vorjahres gerade einmal 41,7 Mill. Euro zu Buche, waren es in den drei Monaten per Ende Juni 2021 bereits wie erwähnt 5,3 Mrd. Euro – daraus errechnet sich ein Anstieg von sagenhaften 12630,2%.
Dies schlägt sich natürlich auch in der Marktkapitalisierung entsprechend nieder. Mit einem Börsenwert von 93,5 Mrd. Euro ist Biontech in etwa doppelt so viel wert wie der Pharmakonzern Bayer mit einer Marktkapitalisierung von 46,5 Mrd. Euro und auch den Chemiekonzern BASF mit lediglich 61,7 Mrd. Euro lässt Biontech inzwischen hinter sich, ebenso Airbus, Deutsche Telekom, Allianz, Daimler und die Deutsche Post. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Hauptbörsennotiz an der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq zu finden ist, wo die Bewertungen deutlich weiter in den Himmel reichen als hierzulande. In der Folge gehört Biontech-Gründer Ugur Sahin mit einem Vermögen von mehr als 18 Mrd. Dollar zu den zehn reichsten Deutschen, während die Großaktionäre Andreas und Thomas Strüngmann mit einem Anteil an Biontech im Wert von 52 Mrd. Dollar inzwischen als die reichsten Deutschen gelten und die Aldi-Dynastie Albrecht hinter sich gelassen haben. Und selbst auf das deutsche Bruttoinlandsprodukt soll Biontech einen spürbaren Einfluss haben. So teilte das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) mit, Biontech werde in diesem Jahr wohl rund 0,5% zum Bruttoinlandsprodukt beitragen, wodurch das deutsche Wirtschaftswachstum um einen halben Prozentpunkt zulege.
Aktienkurs versechsfacht
Der Aktienkurs hat sich auf Sicht von einem Jahr versechsfacht. Angesichts dieser Entwicklung wird sogar den meist notorisch optimistischen US-Analysten schwindelig. Das durchschnittliche Kursziel für die Aktie liegt nämlich bei 238,31 Dollar, was bezogen auf das aktuelle Kursniveau ein Rückgang um 36% wäre. Aktuell gibt es vier Kaufempfehlungen von Analysten, acht Einstufungen mit „Hold“ und zwei Ratschläge, sich von der Aktie zu trennen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Konsensschätzung für die kommenden zwölf Monate liegt bei 18,9, nach der jüngsten Korrektur der Aktie vom Mittwoch um 14%.
Aber möglicherweise sind noch nicht in allen Kurszielen die jüngsten Ereignisse berücksichtigt, denn es kündigt sich an, dass es nicht bei der einmaligen Covid-19-Impfkampagne bleiben wird, sondern dass es wie bei der Grippeimpfung eine regelmäßige Auffrischung vielleicht sogar im kurzen Abstand von nur sechs Monaten geben soll. Und wie die „Financial Times“ berichtet, konnte Biontech mit Partner Pfizer gegenüber der EU jüngst sogar anspruchsvolle Preiserhöhungen durchdrücken, und zwar von 15,50 Euro pro Impfdosis von Biontech auf 23 Euro. Dies ist durchaus nicht ungewöhnlich für einen Markt, auf dem es praktisch keinen Wettbewerb für Biontech/Pfizer und Moderna gibt, denn die Konkurrenten aus Russland und China werden von der EU bislang nicht zugelassen, das Image des Impfstoffs von AstraZeneca ist ruiniert und das Vakzin von Johnson&Johnson weist eine deutlich geringere Wirksamkeit auf. Die Produktionskosten sind übrigens schon fast zu vernachlässigen. So schätzt eine Gruppierung mit dem Namen People’s Vaccine Alliance, der auch bekannte Organisationen wie Amnesty International und Oxfam angehören, dass sich die Produktionskosten für eine Impfdosis in der Größenordnung von 1,20 Dollar bewegen. Nennenswerte Risiken für die Unternehmen aus der Tatsache, dass die Impfstoffe aufgrund der Pandemie keinen umfassenden und langwierigen Zulassungsprozess absolvieren mussten, gibt es für die Unternehmen und damit die Aktionäre auch nicht, weil gemäß den bekannt gewordenen Vertragswerken die Impfstoffhersteller von den Regierungen praktisch von allen Regressansprüchen aus Impfschäden freigestellt werden.
Im Mai gab die Europäische Kommission bekannt, bei Biontech und Pfizer weitere 1,8 Milliarden Impfdosen (davon 900 Millionen als Option) für die Jahre 2021 bis 2023 bestellt zu haben, was aber bereits in den Kurszielen enthalten sein sollte. Zu berücksichtigen ist ferner, dass weite Teile der Welt noch lange nicht mit Dosen für Erstimpfungen versorgt sein werden, sodass angesichts der Marketing-Unterstützung durch die westlichen Staaten genug Raum für globales Wachstum besteht. Daher ist es aus Sicht der Anleger auch kaum von Nachteil, dass Biontech bislang das ist, was die Amerikaner ein „One Trick Pony“ nennen, mit einer Impfstofftechnologie, die nach Ansicht von Kritikern vor allem auf Staatskosten entwickelt worden ist. Auch wenn Impfstoffe auf mRNA-Basis rund 20 Jahre keine Zulassung fanden, nun könnte die Zukunft strahlend sein. Wettbewerber Moderna stellt beispielsweise einen Grippeimpfstoff in Aussicht, der eine wesentlich bessere Wirkung aufweisen soll als die bisher verfügbaren Präparate. Biontech wiederum will Therapien gegen Krebs und andere Erkrankungen auf Basis der mRNA-Technologie entwickeln. Auch ist von einem Impfstoff gegen Malaria die Rede sowie von Vakzinen gegen HIV, Tuberkulose und Grippe. Es wird versprochen, in den kommenden fünf Jahren mehrere Pharmaprodukte auf den Markt zu bringen. Für die Anleger sind das jedoch noch Hoffnungswerte. So merkt etwa das Investmenthaus Bryan Garnier an, der Corona-Impfstoff Comirnaty bleibe kurzfristig der entscheidende Werttreiber.
Bryan Garnier hat die Aktie von Biontech nach der Vorlage der Quartalszahlen von „Neutral“ auf „Buy“ hochgestuft und das Kursziel von 206 Dollar auf 451 Dollar mehr als verdoppelt. Der höhere Umsatzausblick des Unternehmens liege über den bisherigen Erwartungen. So rechnet Biontech jetzt mit Jahreserlösen von 15,9 Mrd. Euro bei 2,2 Milliarden bestellten Dosen, bisher lautete die Schätzung auf 12,4 Mrd. Euro. Die Nachrichtenlage in der Pandemie sei für das Unternehmen und die Aktie weiterhin förderlich, so die Analysten.