IM INTERVIEW: RALPH GEIGER, CREDIT SUISSE

Anleger unterschätzen Risiken

Zinsstratege erwartet Fortsetzung der ultralockeren Geldpolitik der EZB - Schritt der Fed im Dezember

Anleger unterschätzen Risiken

Die Probleme der Anleger, noch vernünftige Erträge bei Anleihen zu bekommen, werden sich laut Ralph Geiger, Zinsexperte bei der Credit Suisse fortsetzen. Denn in der Eurozone stehen die Zeichen auf eine anhaltend lockere Geldpolitik.- Herr Geiger, die US-Notenbank Fed bleibt im Wartemodus. Wann rechnen Sie mit der Leitzinsanhebung in den USA?In unserem Hauptszenario gehen wir davon aus, dass es nun im Dezember dieses Jahres soweit sein wird und die Fed dann zur Tat schreitet. Es ist jetzt das erste Mal überhaupt gewesen, dass die Fed eine vorgesehene Leitzinsanhebung nicht vornimmt unter Verweis auf die Entwicklung in anderen Ländern. Die konjunkturellen Entwicklungen in China und in anderen Emerging Markets sowie die damit einhergehenden Turbulenzen an den Finanzmärkten waren bekanntermaßen der Grund für die US-Notenbanker, in Wartestellung zu bleiben. Interessant wird insbesondere das begleitende Kommuniqué, wenn die Fed im Dezember tatsächlich den Leitzins erhöht. Denn in früheren Zinszyklen folgten auf die erste Anhebung immer gleich mehrere Zinsanhebungen. Wie dezidiert wird sich die Fed dann zum anstehenden Zinserhöhungspfad äußern, wird die spannende Frage sein.- Sollten die Daten in der Eurozone signalisieren, dass die Inflation nicht das gewünschte Maß der Europäischen Zentralbank (EZB) erreicht, stellen sich viele Akteure darauf ein, dass das Bondkaufprogramm ausgeweitet wird. Rechnen auch Sie mit einer Ausweitung des Quantitative Easing (QE)?Das halte ich durchaus für möglich. Aber was soll das noch bringen? Wir haben bereits eine lockere Geldpolitik innerhalb des Euroraums. Geld von der EZB bekommt doch schon jetzt quasi jede Institution, die es benötigt. Darin besteht nicht das Problem, sondern dass die Banken es nicht verleihen. Staatsanleihen müssen mit null Eigenkapital unterlegt werden. Weitet die EZB das QE aus, kann ich mir schon vorstellen, was die Banken mit dem weiteren Kapital machen werden, nämlich Staatsanleihen kaufen.- Die ultralockere Geldpolitik dies- und jenseits des Atlantiks setzt sich somit erst einmal fort. Werden die Anleger damit auch weiter die bislang gesehenen Strategien fahren, wie Laufzeiten erhöhen, in niedrigere Bonitäten gehen oder in anderen Währungen nach Opportunitäten Ausschau halten, um noch einen Renditepick-up zu bekommen?Ja, muss man leider sagen. Und das Ganze nur aus einem einzigen Grund: die anhaltend niedrigen Zinsen beziehungsweise Anleiherenditen. Unter anderen Marktbedingungen würden die Anleger und Wirtschaftssubjekte solche Investitionen überhaupt nicht vornehmen. Bei einem Zins von null Prozent werden die Schulden schwerelos, um es mal salopp zu formulieren. An den Märkten können sich Unternehmen refinanzieren, die sich ansonsten, das heißt bei nur etwas höheren Zinsen, überhaupt nicht mehr refinanzieren könnten. Damit setzt sich ein Trend fort, den wir nun schon seit Jahren beobachten, und zwar der zu Fehlallokationen.- Welche Risikokonzentrationen in Fixed-Income-Portfolios sind die Folge der ultralockeren Geldpolitiken der internationalen Notenbanken?Investoren werden in dem absehbaren Marktumfeld noch mehr dazu übergehen, in längere Laufzeiten zu investieren, um noch Rendite beziehungsweise Rendite-Pick-ups zu generieren. Die Investitionen werden aufgrund der längeren Laufzeiten auf der Anlageseite immer zinssensitiver. Das beinhaltet ein immenses Verlustpotenzial, wenn der Markt einmal drehen sollte und wenn es auch nur zu temporären Renditeanstiegen und damit Buchverlusten kommt. Allerdings werden die Anleger auch in schlechtere Kreditqualitäten gehen, die sie ansonsten nicht kaufen würden. Aufmerksam machen möchte in diesem Zusammenhang auf die nun weitgehend von der Bildfläche verschwundenen Mittelstandsanleihen in Deutschland. Da standen zwecks Verkauf von Bonds die Anleiheprospekte beim Bäcker um die Ecke auf dem Verkaufstresen. Der gebotene Zins – im Vergleich zum Marktzins – erschien den Anlegern nur hoch. Bonitäts- und Geschäftsrisiken wurden aber bei weitem nicht mehr adäquat bepreist.- Unterschätzen Anleger mittlerweile Spread- und Zinsrisiken, und wenn ja, seit wann können Sie das beobachten?Ja, ohne Zweifel unterschätzen sie das. Spread- und Zinsrisiken werden seit einem guten halben Jahr nicht mehr richtig eingeschätzt. Die EZB sorgt mit ihrem Bondkaufprogramm für eine Geldflut, die deutliche Spuren an den Fixed-Income-Segmenten hinterlassen hat. Auch Anleihen von großen, international aufgestellten Unternehmen bekommen die Wirkungen davon zu spüren. Bei ihnen kann die Liquidität sehr schnell sehr stark eingeschränkt sein, so dass es durchaus möglich ist, dass bei einem Verkauf von Bonds solcher Unternehmen beispielsweise im Umfang von 3 Mill. Euro der Geldkurs auch mal um 50 Basispunkte nachgibt. Das ist schon eine recht ordentliche Bewegung. Bei den Banken sind die Handelsbücher immer kleiner geworden. Viele Anleger haben in ihren Portfolios mittlerweile Klumpenrisiken, und die Investoren sind sich des damit einhergehenden Liquiditätsrisikos bei Umschichtungen und Verkäufen nicht bewusst.- Wie ist es denn um das Korrelations- und das Liquiditätsrisiko derzeit in vielen Portfolios, die Sie bei Ihren Kunden beobachten können, bestellt?Die Korrelationsrisiken sind derzeit sehr hoch, denn die Märkte werden über weite Strecken fast ausschließlich durch die Geldpolitiken der internationalen Zentralbanken getrieben, insbesondere durch die Fed, die Bank von Japan und die EZB. Letztere pumpt immerhin 60 Mrd. Euro Monat für Monat in die Märkte. Wenn ein Anleger heute in eine fünfjährige Anleihe investiert und die Endfälligkeit im Blick hat, dann mag ihn vielleicht das zwischenzeitlich auftretende Liquiditätsrisiko nicht interessieren. Aber ein etwaiger Buchverlust von 10 %, der sich in diesen volatilen Märkten einstellen kann, ist sicherlich auch kein Grund zur Freude.- Welche Strategie empfehlen Sie Anlegern derzeit im Fixed-Income-Universum?Es geht zweifelsohne um eine Kombination von mehreren Bausteinen. Vertreten sein sollten Geldmarktfonds, die sehr breit aufgestellt sind. Sie liefern im gegenwärtigen Umfeld zwar keine Rendite, sind dafür aber unter Liquiditätsaspekten sinnvoll. Des Weiteren sollte mit Blick auf einen Zeithorizont von zwölf Monaten Cash gehalten werden, das für Investitionen bereitliegt. Ergänzt werden sollte dieses Portfolio dann um Absolute-Return-Ansätze gepaart mit Carry- und Wachstumsstrategien. Bei den Wachstumsstrategien sollten Wandelanleihen zum Einsatz kommen. Hiermit schafft man ein verändertes Rendite-Risiko-Profil: Es wird in etwa die gleiche Rendite wie bei einem Index erzielt, aber mit einem geringeren Risiko.- Welche Risiken birgt dieser Ansatz?Generell ist dieser Ansatz weniger risikoreich als Portfolios, welche nach klassischem Muster investiert werden, da dieser zum Beispiel eine höhere Liquiditätsquote aufweist oder in unkorrelierte Strategien investiert. Aber insbesondere die Absolute-Return-Bausteine sollten dabei genauer angeschaut werden, da bei vielen Konzepten einfach nur Carry-Strategien repliziert werden, welche keine zusätzliche Strategiediversifikation in einem Portfolio leisten. Die Anleger sollten in diesen Portfolios auch gezielt nach Opportunitäten in anderen Währungen Ausschau halten, ich rate aber zu Anlagen in Hartwährungen. Denn was nützt es einem, wenn einem Zins von 5 % eine Devisenkursvolatilität von 10 oder 15 % gegenübersteht. Lokale Währungen sollten sich Anleger erst ansehen, wenn sich global nachhaltig etablierte Trends abzeichnen.—-Das Interview führte Kai Johannsen.