DEVISENWOCHE

Anleger warten auf die Fed

Von Holger Achnitz *) Börsen-Zeitung, 15.9.2015 Kommt sie oder kommt sie nicht? Einem verliebten Teenager ähnelnd, der durch das Zupfen von Blütenblättern herausfinden möchte, ob seine Schwärmerei erwidert wird, versuchen die Auguren der...

Anleger warten auf die Fed

Von Holger Achnitz *)Kommt sie oder kommt sie nicht? Einem verliebten Teenager ähnelnd, der durch das Zupfen von Blütenblättern herausfinden möchte, ob seine Schwärmerei erwidert wird, versuchen die Auguren der Finanzmärkte seit Wochen jede Nachricht innerhalb und häufig genug auch außerhalb der USA auf ihre Relevanz hinsichtlich einer Zinserhöhung durch die amerikanische Notenbank an diesem Donnerstag zu interpretieren. Seit dem Einbruch der chinesischen Aktienmärkte in der zweiten Augusthälfte und den daraus resultierenden globalen Verwerfungen bilden (befürchtete) Auswirkungen für internationale Volkswirtschaften und unverändert solide Aussichten für die US-Konjunktur den gegensätzlichen Hintergrund für die anstehende Entscheidung. Erstere betonen die globale Verantwortung eines Referenzzinses, der weit über die amerikanischen Grenzen hinaus Bedeutung hat.Aufgrund des Rückgangs des chinesischen Wachstums sowie von in den jeweiligen Ländern selbst liegenden Ursachen befinden sich Russland und Brasilien in einer Rezession. Sollte nach Jahren starken und ungebrochenen Wachstums auch China tatsächlich in den Sog eines Abschwungs geraten, wie vom Chefvolkswirt der Citigroup mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % erwartet, würde dies ohnehin schon in Mitleidenschaft geratene, kleinere Schwellenländer ebenfalls in eine Phase negativen Wachstums führen. Befürchtet wird, dass eine – wenn auch moderate – Zinserhöhung weitere Kapitalabflüsse aus diesen Ländern zur Folge hat und damit rezessive Tendenzen verschärft. Dies würde mittelfristig nicht ohne Rückwirkung auf die USA selbst bleiben – so die Befürworter einer Beibehaltung des Nullzinsniveaus. Disinflationäre TendenzenEine weitere Folge der chinesischen Wachstumsschwäche ist der massive Rückgang der Rohstoffpreise, der kontinuierlich und global disinflationäre Tendenzen fördert, insbesondere auch in den USA und somit zum aktuellen Zeitpunkt keine Zinserhöhung rechtfertigt. Besonders gilt dies natürlich für den fallenden Ölpreis, auch wenn die Ursache hierfür allerdings eher geopolitische Entwicklungen und immer noch zu hohe Produktionskapazitäten sind.Diesen internationalen Argumenten steht eine für eine Zinserhöhung sprechende, positive inländische Dynamik gegenüber. Die größte Bedeutung sollte hier der Entwicklung der neu geschaffenen Stellen zukommen: Auch wenn der Anstieg neuer Arbeitsplätze in den USA im August leicht unterhalb der Markterwartung lag, ist der Durchschnitt der letzten zwölf Monate mit 243 000 auf komfortabler Höhe und mittelfristig konsistent mit dem Vollbeschäftigungsziel der Notenbank. Daneben lässt der niedrige Ölpreis das frei verfügbare Einkommen der US-Konsumenten steigen, auch wenn dieser Effekt bisher nur moderat zu steigender Inlandsnachfrage beigetragen hat. EZB-SpekulationenDas Für und Wider eines Zinsschritts wird offensichtlich auch innerhalb der Notenbank intensiv diskutiert, wie verschiedene Äußerungen von stimmberechtigen und nicht stimmberechtigten FOMC-Mitgliedern nahelegen. Händler an den Renten- und Devisenmärkten hingegen scheinen inzwischen ihre Schlussfolgerung gezogen zu haben: Während die Futures-Kontrakte Anfang August noch mit einer Wahrscheinlichkeit von 55 % von einer Zinserhöhung ausgingen, ist diese mittlerweile auf 28 % gefallen. Mit anderen Worten: Ein weiteres Mal erwarten Anleger und Händler, dass die amerikanische Notenbank die jüngsten Kursrückgänge an den Aktienmärkten und in den Preisen für Unternehmensanleihen in ihrer Entscheidung berücksichtigt. Dies hat natürlich Auswirkungen auf die Währungsmärkte: Von seinem Tiefpunkt des Monats August ist der Euro gegenüber dem Dollar um fast 5 % gestiegen, konsistent mit einer Verringerung des Zweijahres-Zinsdifferentials von 100 auf 80 Basispunkte. Dabei scheint es wenig Käufer aus Überzeugung zu geben; große Euro-Käufe lassen sich eher mit der Notwendigkeit erklären, bei steigender Risikoaversion in Euro kontrahierte Finanzierungen für Carry-Geschäfte und den Kauf anderer Risikopositionen zu schließen.Damit entfacht die US-Zinsfrage eine weitere Diskussion neu: Offiziell formuliert oder nicht, der im Rahmen der EZB-Staatsanleihekäufe gefallene Euro war und ist der schnellste Transmissionsriemen zur Belebung von Wachstum und Wiederherstellung von Inflationserwartungen in der Eurozone. Die Ereignisse der letzten Wochen und der damit verbundene breit basierte Anstieg des Euro – mit einem Euro-Franken-Kurs über 1,10 – verdeutlichen einmal mehr die Schwierigkeit für nationale bzw. regionale Geldpolitik in der heute eng verflochtenen Welt von Waren- und Kapitalströmen. Das aktuelle Euro/Dollar-Niveau von 1,13 beinhaltet zwar bereits die oben genannten Wahrscheinlichkeiten eines US-Zinsschritts, trotzdem steht zu erwarten, dass der Euro in den nächsten Tagen temporär weiter steigen würde, wenn eine Erhöhung der Fed Funds abermals in die Zukunft verschoben würde. Hinzu kommen in der Eurozone mäßige Lohnanstiege, die ebenfalls das Kerninflationsziel der EZB in Frage stellen. Somit wird sich für die EZB vermutlich noch dieses Jahr die Frage nach einem weiteren geldpolitischen Stimulus stellen. Dies könnte dann das Thema werden, dass die Devisenmärkte für den Rest dieses Jahres in Atem hält.—-*) Holger Achnitz ist Leiter des Devisenhandels bei Citi Deutschland.