GASTBEITRAG ZUR SERIE ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (86)

Argentinien ist nicht Venezuela

Börsen-Zeitung, 7.9.2019 Keine Frau hat Argentinien so polarisiert wie Eva Perón. Cristina Fernández de Kirchner könnte ihr jedoch bald Konkurrenz machen - vielleicht weniger als Polit-Ikone, sondern eher als Anlegerschreck. Das haben jüngst die...

Argentinien ist nicht Venezuela

Keine Frau hat Argentinien so polarisiert wie Eva Perón. Cristina Fernández de Kirchner könnte ihr jedoch bald Konkurrenz machen – vielleicht weniger als Polit-Ikone, sondern eher als Anlegerschreck. Das haben jüngst die allgemeinen Vorwahlen des Landes gezeigt, aus denen das Doppelpack Alberto Fernández und Cristina Fernández de Kirchner als klare Favoriten für die bevorstehende Präsidentschaftswahl Ende Oktober hervorgegangen sind.Als Reaktion brachen argentinische Aktien, Anleihen und der Peso massiv ein. Doch auch die Ankündigung der Regierung, Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) aufzunehmen, hatte negative Auswirkungen und ließ die Kurse auf ein neues Tief sinken. Langfristig gesehen könnte der Weg für das Land tatsächlich etwas steinig werden. Kurzfristig gesehen haben sich Anleger jedoch von ihrer Angst vor einer Rückkehr des Landes zu einer zerstörerischen, populistischen Politik ins Bockshorn jagen lassen.Angesichts der jüngsten Entwicklungen in Argentinien gehen wir davon aus, dass den argentinischen Vermögenswerten bis zu den Wahlen im Oktober noch einige unruhige Monate bevorstehen. Dies liegt jedoch weniger an einem unklaren Wahlausgang – dieser scheint bereits jetzt ausgemachte Sache zu sein. Vielmehr ist es die Unsicherheit vieler Marktteilnehmer, welche Richtung Argentinien künftig einschlagen wird, die das Land vorerst nicht zur Ruhe kommen lässt.Während Anlass zur Sorge sicherlich gegeben ist, hat jedoch die Anlegerreaktion Züge eines panischen Rundumschlags angenommen, der auf der Annahme fußt, dass eine Umschuldung und Zahlungsausfälle und sogar ein Staatsbankrott unabwendbar sind. Darauf weisen die Anleihepreise hin, die willkürlich über alle Segmente hinweg in der gleichen Größenordnung gefallen sind.Unserer Meinung nach spiegelt aber diese Entwicklung des Marktes weder ein objektives Bild der Gesamtsituation noch eine vernünftige Einschätzung der künftigen Entwicklung des südamerikanischen Landes wider. Dies betrifft auch die Wiedereinführung von Kapitalkontrollen, die zuletzt viele Marktteilnehmer aufhorchen ließ. Denn letztendlich sollen derartige Maßnahmen dazu dienen, Gläubiger zu schützen und verhindern, die Zentralbank des Landes vor weitere Probleme zu stellen, die zu einem viel schlimmeren Szenario führen könnten.Zudem muss berücksichtigt werden, dass das Ergebnis der Vorwahlen und seine Konsequenzen für die argentinische Wirtschaft unsichere Wähler zum Umdenken und Wähler, die sich bisher enthalten haben, zur Teilnahme an der bevorstehenden Wahl bewegen könnten. Weiterhin könnten argentinische Staatsangehörige, die im Ausland leben, schlussendlich das Zünglein an der Waage sein, da sie ihre Stimmen erst bei den Wahlen im Oktober abgeben können.Laut des argentinischen Finanzministers Hernán Lacunza strebt die Regierung eine Neuverhandlung des IWF-Programms an. Diese Ankündigung ist im Sinne von Fernández, der kürzlich gegen den IWF gewettert hat und der, sollte er Ende des Jahres an die Macht kommen, mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst eine Neuverhandlung der Konditionen gefordert hätte. Dies ist nicht überraschend, da der Großteil seiner politischen Agenda dem IWF-Programm entgegenlaufen wird. Der IWF dürfte sich verhandlungsbereit zeigen, da er schlussendlich kein Interesse daran haben wird, ein 44 Mrd. Dollar umfassendes Rettungsprogramm abzuschreiben.Ein Zahlungsausfall ist und bleibt aus unserer Sicht, trotz des erneuten Anleihenpreisverfalls und der Wiedereinführung von Kapitalkontrollen, derzeit unwahrscheinlich. Fernández hat sich seit dem Vorwahlergebnis mehrmals öffentlich dagegen ausgesprochen und Anlegern versichert, dass unter seiner Präsidentschaft kein Zahlungsausfall in Frage kommt. Wer dem nicht so rechten Glauben schenken will, sollte sich vor Augen führen, dass ein Zahlungsausfall bei Staatsanleihen in Hartwährungen keinen gangbaren Weg für ein Land darstellt, das ein großes Leistungsbilanzdefizit aufgebaut hat – vor allem dann, wenn diese Schulden unter ausländische Rechtsgebiete fallen. Herbe NiederlageDie Tatsache, dass Argentinien eine herbe Niederlage bei der jüngsten Auktion seiner Staatsanleihen einstecken musste, ist mehr auf ein Liquiditätsproblem am Markt zurückzuführen, als auf eine Zahlungsunfähigkeit des Landes. Wir sind der Meinung, dass die Erinnerung an die Krise von 2001, als internationale Investoren Argentinien den Rücken kehrten, noch nachwirken dürfte. Daher ist eine unsanfte Restrukturierung der Schulden weder im Sinne der jetzigen, noch der zukünftigen Regierung. Bei den Lokalwährungsanleihen dürfte Argentinien genauso wenig Interesse daran haben, seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachzukommen, da diese hauptsächlich von der staatlichen Sozialversicherungsinstitution (ANSES) und den lokalen Banken gehalten werden. Im Allgemeinen wird sich Fernández vor einer Wiederholung der extrem linksgerichteten Politik von Fernández de Kirchner hüten. Tatsächlich war er einer ihrer schärfsten Kritiker in der letzten Hälfte ihrer Präsidentschaft.Derzeit handeln argentinische Staatsanleihen deutlich unter durchschnittlichen Recovery Rates, was attraktives Renditepotenzial bietet. Darüber hinaus wird mehr als ein Drittel der Schulden Argentiniens von den öffentlichen Institutionen des Landes gehalten, was es für die Regierung einfach machen sollte, die Schulden zu refinanzieren. In Hartwährungen erscheint besonders das kurze Ende der Zinskurve attraktiv, denn momentan bieten sie ähnliche Recovery Rates, wie das lange Ende, jedoch in kürzerer Zeit.Dahingegen ist das lange Ende nicht gerade vielversprechend, da es stark mit Unsicherheiten in Bezug auf die künftige Entwicklung des Landes behaftet ist. In Lokalwährungen bietet die gesamte Bandbreite an inflationsgeschützten Anleihen gute Gelegenheiten, da sie derzeit eine hohe Wahrscheinlichkeit von Zahlungsausfällen und Kapitalkontrollen einpreisen und gleichzeitig den Anleger vor Inflation schützen. Darüber hinaus sollte der Inflationsschutz den größten Teil der zukünftigen Währungsabwertung kompensieren, da zu erwarten ist, dass diese sich maßgeblich auf die Inflation niederschlägt.Die Auswirkungen auf Unternehmen in Argentinien sind ungewiss, allerdings nicht gänzlich entmutigend. Die meisten Unternehmen des Landes weisen nur einen geringen Verschuldungsgrad auf. Zum einen, weil sie bis 2015 vom Kapitalmarkt ausgeschlossen waren, zum anderen, weil sie bei Neuverschuldungen große Vorsicht walten lassen.Eine Ausnahme sind Versorgungsunternehmen. Sie haben zwar mehr Schulden als argentinische Unternehmen im Allgemeinen, jedoch sehen wir wenig Grund für die Regierung, ihre Verträge mit den Stromerzeugern des Landes nicht zu bedienen.Das Negativbeispiel Venezuelas, das zu sozialen Unruhen aufgrund eines Mangels an essenziellen Gütern und Dienstleistungen geführt hat, sollte das sicherstellen. Beide Länder haben dieses Jahr weite Stromversorgungsausfälle gehabt, womit die Grundversorgung der Bevölkerung zu einem sensiblen politischen Thema geworden ist. Die Venezuela-Analogie, die viele Anleger in der jetzigen Krise hinzugezogen haben, ist zwar verständlich, da das Tempo und Ausmaß der Abwertung argentinischer Anleihen (einschließlich Unternehmensanleihen) absolut beispiellos ist. Wir glauben allerdings, dass die Märkte zu weit gegangen sind. Oder um es deutlich zu sagen: Argentinien ist nicht Venezuela.Die meisten Eurobond-Emittenten sind seit vielen Jahren im Geschäft und konnten ihre Fähigkeit, die vielen wirtschaftlichen Herausforderungen Argentiniens meistern zu können, bereits mehrere Male unter Beweis stellen. Unserer Ansicht nach dürften sich viele große Unternehmen neutral jeder neuen Regierung gegenüber positionieren und dafür einen angemessenen Schutz erhalten. Eine disruptive Politik, die bestimmte Sektoren ins Visier nimmt, ist also unwahrscheinlich.Klarheit ist das, was sich Anleger in Argentinien jetzt am meisten wünschen. Allerdings werden sie sich bis zu den Wahlen im Oktober gedulden müssen. Das Risiko in Argentinien wird bis auf Weiteres hoch bleiben. Dies eröffnet aktiven und versierten Anlegern, die mit einem solchen Markt umzugehen wissen neue Türen zu Renditechancen, die sogar einen Ausbau einer Anleiheposition in Argentinien rechtfertigen könnten. Zuletzt erschienen: Corporate-Hybridanleihen – Rendite-Oase im Niedrigzinsumfeld? (85), Lampe Asset Management Infrastrukturkredit-Investments glänzen mit stabilen langfristigen Erträgen (84), Assenagon Asset Management Luc D’hooge, Head of Emerging Market Debt, Vontobel Asset Management und Sergey Goncharov Senior, Portfoliomanager Vontobel Asset Management