Argwohn drückt United Internet
Von Heidi Rohde, FrankfurtNicht wenige Beobachter reiben sich die Augen, wenn sie die Kursentwicklung von United Internet in diesem Jahr betrachten. Die “Erfolgsgeschichte” des Konzerns aus Montabaur, die Unternehmenschef und -gründer Ralph Dommermuth (39 % Kapitalanteil) bei jeder Gelegenheit betont, hat sich auch im ersten Halbjahr fortgesetzt – mit einem Umsatzanstieg von 7 % auf 1,95 Mrd. Euro und einem operativen Ergebnisanstieg (Ebitda) von fast 16 % auf 400 Mill. Euro.Dennoch senkt die Börse den Daumen. Der Aktienkurs ist seit Jahresbeginn um ein Viertel gefallen, während sich der TecDax in derselben Zeit in einem zugegebenermaßen unruhigen Umfeld behaupten konnte und inzwischen wieder Gewinne zeigt. Auffällig ist insbesondere das schwache Abschneiden im Vergleich mit dem direkten Wettbewerber Drillisch, dessen Aktie nach volatilen Monaten zuletzt gegenüber Jahresbeginn 10 % vorn lag. Auch der dritte und größte deutsche Mobilfunk-Service-Provider Freenet schneidet in der Kursperformance gut 10 % besser ab als United Internet. Dies, obwohl die Zahl der Mobilfunkverträge bei dem Internetkonzern mit + 29 % im Halbjahr unverändert rasant steigt und die Erwartungen fürs Gesamtjahr angehoben wurden. NachholbedarfSchon aufgrund der schwachen Kursperformance in den vergangenen sechs Monaten hält das Gros der Analysten die Aktie von United Internet für unterbewertet. Der von Bloomberg ermittelte Konsens von 27 Ratings zeigt aktuell 20 Kaufempfehlungen und 7 Mal “Halten”, zum Verkauf rät niemand. Das höchste Kursziel auf Sicht von zwölf Monaten haben Jochen Reichert von M. M. Warburg und Heike Pauls von der Commerzbank mit 55 Euro, somit ein Upside-Potenzial von fast 50 % zum aktuellen Kurs von 37 Euro. Ansonsten liegen die Kursziele in einer Spanne von 42 bis 50 Euro. Beim bereinigten Gewinn je Aktie ermittelt Bloomberg für das laufende Jahr einen geschätzten Wert von 1,88 Euro, für 2017 werden 2,50 Euro erwartet. Dies entspricht einem im Vergleich moderaten Kurs-Gewinn-Verhältnis von 19,6 bzw. 14,8.Dass die starken Halbjahreszahlen und der positive Ausblick nicht gereicht haben, um der Aktie endlich wieder einen deutlichen Schub zu geben, mag auch daran liegen, dass das Beteiligungsgeschäft, in dem United Internet stets rege agiert, ein Schandfleck auf dem Zahlenwerk war. Denn auf die Anteile an Rocket Internet musste das Unternehmen in den ersten sechs Monaten zweimal Abschreibungen von insgesamt gut 250 Mill. Euro vornehmen. Rocket selbst löste wiederholt einen Kursrutsch ihrer Aktie aus, wenn im Portfolio der “proven winners” mal wieder ein schwarzes Schaf entdeckt wurde, das eine Wertberichtigung erforderte. Überdies sind sich die Investoren unsicher, was United Internet mit den Beteiligungen an Drillisch (20,11 %) und Tele Columbus (25,11 %) vorhat. Beide Zukäufe waren offenbar strategisch motiviert, um auf der M & A-Bühne gegebenenfalls gut positioniert zu sein – falls etwa Vodafone oder ein anderer nach Tele Columbus greift. Bei Drillisch ist United Internet dem Einstieg eines anderen (internationalen?) Investors zuvorgekommen.Beide Beteiligungen dürften von den Aktionären daher eigentlich als Pfund gewertet werden, denn sie bieten dem Internetkonzern Optionen, ein “potenzielles” Problem zu adressieren, das den Marktteilnehmern derzeit Anlass zur Sorge gibt. So geht Heike Pauls von der Commerzbank davon aus, dass die Anleger die Aktie scheuen, weil sie glauben, dass United Internet als virtueller Netzbetreiber (MVNO) schlechtere Konditionen bei den Geschäftspartnern Vodafone und insbesondere Telefónica Deutschland hat als der direkte Wettbewerber Drillisch. Der Konkurrent aus Maintal hatte sich im Zuge des Zusammenschlusses von Telefónica Deutschland und E-Plus ein umfangreiches Netzpaket geholt, das aus wettbewerbsrechtlichen Gründen abgegeben werden musste. Sollte United Internet mit den eigenen Einkaufskonditionen am Markt schlecht darstehen, hat man den Fuß in der Tür und könnte eine Übernahme von Drillisch erwägen. Teure PerspektiveEine Absicherung fürs operative Geschäft, die allerdings teuer werden könnte. Dies und die in Deutschland insgesamt nachlassende Dynamik im Mobilfunk sind nach Ansicht von Wolfgang Specht vom Bankhaus Lampe die wichtigsten Kursbremsen bei United Internet. Bisher ist indes keinesfalls erkennbar, dass ein solcher Schritt bald nötig werden könnte. Jochen Reichert von Warburg Research weist darauf hin, dass sowohl United Internet als auch Drillisch ein anhaltend robustes Kundenwachstum im Mobilfunk zeigen, so dass sie offenbar (noch) nicht die gleiche Klientel ansprechen. Reichert hält das Access-Geschäft von United Internet, wo DSL-Geschäft, Mobilfunk und Glasfaser gebündelt sind, im Vergleich zu den Wettbewerbern für unterbewertet.Angesichts der Ertragsdynamik in Montabaur hält Reichert für die Access-Sparte ein Ebitda-Multiple im Zwischenraum von Drillisch (18) und Freenet (12) für angemessen. Schon ein Wert von 12 würde angesichts des Gewichts der Access-Sparte (60 % vom Ergebnis) bei United Internet einen Aktienkurs von 47 Euro ergeben, rechnet Reichert vor. Vom aktuellen Entreprise Value (inklusive Nettoschulden) von 9,18 Mrd. Euro schlägt er der Access-Division 6,84 Mrd. Euro zu und den Beteiligungen 743 Mill. Euro. Damit ergibt sich für die kleine Sparte Applications, in der der Konzern seine E-Mail- und Hosting-Aktivitäten zusammenfasst, eine Bewertung von 1,6 Mrd. Euro. Dies liefe auf ein Ebitda-Multiple der Sparte von nur 5,6 hinaus – weit unter dem Wert von Wettbewerbern wie Go Daddy oder Endurance. Beide dürften als Peers herangezogen werden, wenn der schon vor einem Jahr angekündigte Börsengang der Applications-Einheit, der nun für 2017 angepeilt wird, näher rückt. Auch hier hat die Aktie von United Internet aktuell also deutlich Luft nach oben.