„Attraktive Bewertungen in der Gesundheitsbranche“
Herr Brüning, wie beurteilen Sie die Chancen von Healthcare-Aktien über ein mögliches Ende der Pandemie hinaus?
Seit Beginn des vergangenen US-Präsidentschaftswahlkampfes werden Gesundheitsaktien mit einem massiven Discount zum breiten Markt gehandelt. Denn die Aussicht auf einen demokratischen Wahlsieg, der ja auch eingetreten ist, löste bei Investoren Sorgen vor Reformen des Gesundheitswesens in den USA und damit verbundenen Belastungen für die Profitabilität der dortigen Pharmaindustrie aus. Aufgrund des massiven Wachstums, das unserer Meinung nach sowohl dem amerikanischen als auch dem globalen Healthcare-Markt bevorsteht, ist der derzeitige Abschlag am Aktienmarkt nicht gerechtfertigt und die Bewertungen in der Gesundheitsbranche sind damit sehr attraktiv.
Technologische Umbrüche als Wachstumstreiber
Welche Auslöser könnten Gesundheitsaktien nun antreiben?
Schon unter den demokratischen Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama hat sich nach zwölf Monaten gezeigt, dass hinsichtlich staatlicher Eingriffe in die Preisbildung der Pharmaindustrie nichts so heiß gegessen wie gekocht wird. Diesem Wendepunkt nähern wir uns auch in der Ägide Joe Bidens. Künftig dürfte sich das Investoreninteresse im Healthcare-Markt wieder verstärkt auf die Fundamentaldaten richten. Der Gesundheitssektor dürfte bis 2030 mit einer Rate von 6% per annum wachsen, im Vergleich zu den meisten globalen Volkswirtschaften ist das äußerst beachtlich.
Was sind dabei die stärksten Treiber?
Aufgrund der Coronakrise fließen gewaltige Forschungsgelder in den Sektor. Diese werden zunächst in der Frühforschung angelegt, wovon die Laborausrüster profitieren, wie sich an der Börse bereits abzeichnet. Die Ergebnisse der Frühforschung bilden wiederum den Grundstein für weitere Innovationen. Momentan ist die mRNA-Technologie durch die Pandemie in aller Munde, daneben sind aber auch weitere Umbrüche in Aussicht. Vor Ausbruch der Coronakrise stand beispielsweise die Genschere Crispr/Cas im Mittelpunkt, mit der sich DNA gezielt verändern lässt. Diese Entwicklung dürfte die Onkologie stark voranbringen.
Innovation trotz strenger Regulierung
Inwieweit lässt die Regulierung denn zu, dass solche Innovationen künftig schnell zur Anwendung gelangen?
Was Crispr/Cas angeht, werden neben dem medizinischen Nutzen insbesondere ethische Bedenken die Diskussion beeinflussen. Bei sensiblen Themen wie diesem muss genau hingesehen werden. Aktuell sind die schnellen Zulassungsprozesse für Impfstoffe sicher aus der Not der Pandemie geboren. Zwar ist die US-Arzneimittelbehörde FDA seit der Endphase der Trump-Präsidentschaft insgesamt deutlich durchlässiger geworden, wie auch die im Juni erteilte Freigabe für das Alzheimer-Medikament Aduhelm von Biogen unterstreicht. Die Konsequenzen dieser Durchlässigkeit zeigen sich aber auch: Aduhelm ist umstritten, Wissenschaftler glauben nicht an die Wirkung und Kliniken wollen das Medikament nicht verabreichen. Innerhalb der FDA ist in der Folge eine Kontroverse entstanden.
Also greifen künftig die alten Regeln?
Vermutlich ja, allein schon aus Kapazitätsproblemen. Denn die Pipelines für Zulassungsanträge sind sehr voll und die Prüfstellen bei den Behörden begrenzt. Bis ein ordentlich durchgetestetes Präparat auch eine Zulassung erhält, sollte es daher in den USA und Europa im Regelfall mindestens zwölf Monate dauern. Dennoch: Es stehen zahlreiche Innovationen bevor. Wer hinsichtlich dieser frühzeitige Fortschritte vorweisen kann, dürfte auch bei den Investoren gut gelitten sein. Insgesamt dürfte sich der Gesundheitssektor wieder zu einer Outperformance gegenüber dem breiten Markt aufschwingen.
China als Markt mit Chancen
Welche Chancen liegen für westliche Pharmakonzerne zum Beispiel in China?
Der chinesische Markt dürfte für die Pharmakonzerne enorm wichtig werden. Allerdings entsteht in der Volksrepublik auch eine eigene, extrem große Healthcare-Industrie. Der Großteil der gelisteten Pharmaunternehmen kommt inzwischen aus China, obwohl diese Titel den meisten Investoren völlig unbekannt sein dürften. Derzeit kopieren diese Anbieter noch viele ausländische Entwicklungen, allerdings gelingt auch chinesischen Innovationen am Gesundheitsmarkt zunehmend der Durchbruch. Die künftige Konkurrenzsituation müssen westliche Pharmakonzerne auf jeden Fall im Blick behalten.
Sind die chinesischen Branchenvertreter für europäische Investoren interessant?
Da müssen Anleger sorgfältig differenzieren. Es sind einige chinesische Biotech-Unternehmen an der New Yorker Börse gelistet, aufgrund der politischen Wirren in den vergangenen Monaten halten wir uns bei diesen eher zurück. Denn einerseits nehmen die US-Regulatoren diese Werte in den Fokus, andererseits mischt sich auch Peking ein. Schließlich ist der Gesundheitssektor für China strategisch wichtig, die Regierung will die Kontrolle nicht verlieren. Deswegen sind wir eher bei in Hongkong gelisteten Titeln aktiv. Zum Beispiel sind wir seit Jahren bei Fosun Pharma investiert, die Lizenznehmer für den Biontech-Impfstoff in China sind.
Wird es Kooperationen wie jene zwischen Pfizer und Biontech künftig öfter geben?
Der Trend geht auf jeden Fall in diese Richtung. Es ist Teil unserer Investmentphilosophie, bei kleinen und mittelgroßen Healthcare-Unternehmen einzusteigen. Wenn deren Entwicklung positiv verläuft, kommt im Zweifel eben ein großer Konzern und nimmt Lizenzen, was eine Validierung unseres Investments darstellt – oder er übernimmt das kleine Unternehmen und dessen Technologie direkt.
Big Tech und Big Data im Gesundheitssektor
Zugleich drängen auch branchenfremde Konzerne wie Google und Apple in den Gesundheitsmarkt. Wird sich diese Entwicklung fortsetzen?
Die Symbiose zwischen Tech und Healthcare ist sicher vielversprechend. Bisher war für ein Engagement der Tech-Riesen etwas hinderlich, dass der Gesundheitsmarkt in der Breite kein konsumgetriebener Sektor ist, sondern sehr stark reguliert ist. Wer ein Produkt an den Markt bringen möchte, muss dessen Mehrwert klar aufzeigen können, zum Beispiel über klinische Studien. Das begreifen auch Google, Apple & Co. momentan.
Welches Potenzial besteht durch Möglichkeiten zur Datensammlung und Datenauswertung, über die diese neuen Teilnehmer am Gesundheitsmarkt verfügen?
Diese können zu massiven Effizienzgewinnen beitragen. Es wird viel über hohe Medikamentenkosten diskutiert, das wahre Problem ist für Patienten aber die Ineffizienz des Gesundheitssystems. So ist es für eine Diagnose teilweise nötig, drei verschiedene Ärzte aufzusuchen, die eigene Untersuchungen anstellen und zum Beispiel unabhängig voneinander Ultraschall-Scans vornehmen. Stattdessen ließe sich zum Beispiel auch einfach ein Scan von einem Arzt in einer sicheren Cloud speichern, auf die andere Spezialisten bei Bedarf Zugriff erhalten. Zudem kann der Einsatz von künstlicher Intelligenz eine schnellere und präzisere Auswertung von Patientendaten ermöglichen.
Zunächst ist es doch sehr kostenintensiv, solche Innovationen zu implementieren.
Das stimmt und lässt sich auch auf andere Bereiche wie die Robotik übertragen, die in der Medizintechnik aktuell ein heißes Thema darstellt. Dabei müssen die Teilnehmer am Gesundheitsmarkt aber auch darauf achten, welche Folgekosten sich durch den Einsatz solcher Innovationen einsparen lassen. Bei Operationen beispielsweise besteht das größte Problem darin, dass der Patient zurückkommt, weil infolge leichter menschlicher Ungenauigkeiten große Nachwirkungen entstehen können. Genau dieses Risiko lässt sich durch minimalinvasive Eingriffe per Robotik minimieren.
Wie wirkt sich das an der Börse aus?
Unternehmen, die sich auf Robotik spezialisiert haben und eine funktionierende Technologie für minimalinvasive Operationen vorweisen können, besitzen am Kapitalmarkt momentan einen klaren Bewertungsbonus. Es ist auch zu beobachten, dass zunehmend neue Anbieter ins Segment drängen. Platzhirsch ist bisher Intuitive Surgical mit ihrem Produkt „Da Vinci“. Konkurrenten versuchen nun, ihre eigenen Anwendungen auf dieses System aufzusetzen oder alternative Finanzierungsmodelle anzubieten, um sich Marktanteile zu sichern.
Folgen für die Versicherer
Welche Folgen haben all diese Innovationen für die Versicherer?
Durch den technologischen Fortschritt und die neuen Möglichkeiten zur Datensammlung geht die Entwicklung am Gesundheitsmarkt zum Patientenmanagement. Mittlerweile dreht sich alles um Prävention. Dabei müssen sich Patienten die Frage stellen, wer am besten über ihre Daten urteilen kann: sie selbst, die ihren eigenen Gesundheitszustand nicht objektiv einschätzen können? Ärzte, die als Spezialisten auch nur über eine eingeschränkte Datensammlung verfügen? Oder die Versicherer, bei denen ohnehin sämtliche Arztrechnungen und Befunde zusammenlaufen? Es ist ja bereits zu beobachten, dass die Versicherer um sich herum kleine Gesundheitsbiotope bilden.
Was bedeutet das?
Die Assekuranz baut Netzwerke aus präferierten Ärzten und Krankenhäusern auf, an die sie ihre Patienten verweist und bei denen sie die Kosten übernimmt. Will der Patient einen anderen Arzt oder eine andere Klinik aufsuchen, wird ihm hingegen lediglich ein Basissatz bezahlt und er trägt den Rest selbst. Der US-Konzern United Healthcare stellt die Blaupause dafür dar, wie Gesundheitsmanagement in Zukunft geschehen sollte, der chinesische Vertreter Ping An schlägt ebenfalls in diese Kerbe. Da eine wachsende Anzahl an Versicherern ihre Geschäftsmodelle auf diese Weise modernisiert, stellt die Assekuranz künftig ein durchaus attraktives Investment dar.
Das Interview führte Alex Wehnert.