Auf dem Weg zur doppelten Parität

Analysten erwarten für das Pfund Kurse nahe 1 Euro und 1 Dollar

Auf dem Weg zur doppelten Parität

Das Pfund wird infolge des Brexit auf absehbare Zeit nicht zur Ruhe kommen. Politische Risiken inklusive einer schottischen Unabhängigkeit, Rezessionssorgen verbunden mit einer Leitzinssenkung und schließlich das üppige Leistungsbilanzdefizit der Briten sprechen für eine weitere Abwertung. Einige Analysten halten gar Kurse in der Nähe zur Parität zu Euro und Dollar für möglich.Von Stefan Schaaf, FrankfurtBei Parität denken Akteure am Devisenmarkt vor allem an den Euro-Dollar-Kurs, der im vergangenen Jahr bis knapp über 1 Dollar je Euro gefallen war. Doch möglicherweise werden sich die Akteure in den kommenden Monaten beim Begriff Parität vor allem mit dem Pfund-Kurs auseinandersetzen müssen.Zwar erwarten infolge des britischen Austritts aus der Europäischen Union (EU) viele Analysten eine weitere Abschwächung des Pfund. Doch besonders kritisch gestimmt ist wegen des Brexit die BayernLB. Sie prognostiziert mit Sicht von zwölf Monaten einen Kurs von nur noch 1,07 Dollar je Pfund, was einer Abwertung vom aktuellen Niveau (1,3250 Dollar) von rund 20 % entspräche. Der Euro soll nach der Prognose der Münchener binnen zwölf Monaten auf 95 Pence steigen, womit er rund 15 % aufwerten würde. Da Kurse immer auch kurzfristig zum Überschießen neigen, wäre bei dieser Prognose die Parität zu Euro und Dollar gut vorstellbar. “Wir rechnen auf Jahressicht, wenn sich abzeichnet, dass der Austritt aus der EU tatsächlich umgesetzt wird, mit einer weiteren deutlichen Pfund-Abwertung”, schreibt Jürgen Michels, Chefvolkswirt des Instituts. Sollte das Pfund sich Richtung Parität zu Euro und Dollar bewegen, so müsste allerdings wohl auch der Euro an Wert zum Dollar verlieren.Währungsanalysten nennen derzeit vier Hauptrisikofaktoren für das Pfund: Die allgemeine politische Unsicherheit, eine mögliche Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich, eine Rezession in Großbritannien und infolgedessen sinkende Leitzinsen sowie das ausufernde britische Leistungsbilanzdefizit. Risikofaktor LeistungsbilanzInsbesondere die Abhängigkeit des Vereinigten Königreichs von Kapitalzuflüssen besorgt Marktteilnehmer. Das Leistungsbilanzdefizit belief sich im vergangenen Jahr auf 5,2 % der britischen Wirtschaftsleistung und war damit so groß wie niemals zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1948. Dies bedeutet, dass 5,2 % des BIP durch Kapitalzuflüsse finanziert werden. “Das Leistungsbilanzdefizit wurde in der Vergangenheit zu großen Teilen durch ausländische Direktinvestitionen finanziert”, schreibt die LBBW. “Es ist nun aber mehr als fraglich, ob diese Direktinvestitionen nach dem drohenden Verlust des EU-Marktzuganges weiterhin so reichlich fließen werden. Ein abrupter Abbruch des Kapitalzustroms könnte somit eine Zahlungsbilanzkrise auslösen, in deren Zuge das Pfund Sterling noch wesentlich kräftiger abwerten würde als von uns angenommen.”Die Ratingagentur Standard & Poor’s hatte dieser Tage bei der Herabstufung der britischen Bonität um zwei Stufen auf “AA” auch darauf hingewiesen, dass infolge des Brexit der Status des Pfund als sicherer Währungshafen gefährdet sei. Sollte es dazu kommen, wäre es für die Briten deutlich schwieriger, ausländische Investitionen anzulocken.Schon jetzt, eine Woche nach dem EU-Referendum, hat das Pfund rund 10 % zum Dollar abgewertet. Dies bedeutet, dass Großbritannien deutlich mehr Dollar, Euro oder Yuan mobilisieren muss, um in Pfund gerechnet die gleiche Menge Auslandskapital in seine Wirtschaft fließen zu lassen. Bleiben Investitionen aus dem Ausland aus, so droht eine schockartige Anpassung der Wirtschaft auf der Nachfrageseite, was eine Rezession auslösen oder verstärken könnte. Griechenland hat diese Erfahrung in den Jahren 2009/2010 gemacht. “Selbst wenn eine Leistungsbilanzkrise unwahrscheinlich ist, die potenziellen Folgen wären so deutlich, dass die Gefahr jedenfalls Folgen für die Pfund-Wechselkurse hat”, schreibt Ulrich Leuchtmann, Leiter der Commerzbank-Devisenanalyse. Risikofaktor RezessionEine Rezession in Großbritannien gilt als weiteres Pfund-Risiko, insbesondere weil dann wohl eine Zinssenkung der Bank of England anstünde. Wegen des Brexit könnten, so die Befürchtungen, Investitionsentscheidungen gegen Großbritannien ausfallen. “Vor allem geht es um die Frage, ob, wann und in welcher Form Großbritannien in Zukunft Zugang zum europäischen Binnenmarkt erhält”, so Leuchtmann.Die LBBW rechnet zwar nicht mit einer Rezession, geht für dieses Jahr jedoch für mehr oder weniger von einer Stagnation der britischen Wirtschaft aus. Vor dem Brexit-Votum hatte sie noch ein Plus von 2 % vorhergesagt. Skeptischer ist die DZ Bank, die noch im laufenden Jahr das Abrutschen Großbritanniens in die Rezession erwartet. Risikofaktor PolitikAllerdings wird das Pfund inzwischen nicht mehr nur konjunkturell, sondern auch auf Basis politischer Risiken bewertet. Und das spricht angesichts des politischen Chaos dieser Tage in London für einen weiteren Wertverlust. “Derzeit beherrscht das politische Durcheinander die Schlagzeilen, und noch dürfte vielen Investoren nicht klar sein, wie signifikant die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Austritts der Briten aus der EU sein werden”, schreibt Sonja Marten, Leiterin der Währungsanalyse bei der DZ Bank. Schließlich besteht das Risiko eines Zerfalls des Vereinigten Königreichs, da sich Schottland, Nordirland und der Großraum London bei der Volksabstimmung mehrheitlich für eine weitere EU-Mitgliedschaft ausgesprochen haben. Die BayernLB nennt eine schottische Unabhängigkeit als eines der Hauptrisiken für das Pfund. J.P. Morgan stellt sich in ihren Kalkulationen bereits auf einen Scoxit ein. “Unser Basisszenario ist es, dass Schottland für seine Unabhängigkeit votieren wird und eine neue Währung zu diesem Zeitpunkt einführen wird”, schrieb J.-P.-Morgan-Volkswirt Malcolm Barr am Mittwoch an die Kunden der US-Großbank. Dieser Schritt werde seiner Einschätzung nach im Jahr 2019 und noch vor dem britischen EU-Austritt erfolgen. Zeit zur Umkehr?Oder kommt alles ganz anders? Denn möglicherweise könnte es, trotz anderslautender Beteuerungen aller Seiten, doch zum Verzicht der Briten auf den Brexit kommen. “Die Wahrscheinlichkeit für eine derartige Wendung liegt bei 30 % und wird derzeit von den Märkten unterschätzt”, schreibt Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank. Als Indikator dafür sieht er den langen Zeitraum, bis zu dem die Briten den Austritt nach Artikel 50 des Vertrages von Lissabon offiziell machen wollen. “Die Streckung des Austrittsprozesses in den September darf als Ausdruck dafür verstanden werden, hier dem Vereinigten Königreich trotz aktuell anderslautender Verbalakrobatik ein Fenster zu öffnen, das die Mitgliedschaft des UK weiter ermöglichen kann.”