IM INTERVIEW: CLAUDIA CALICH, M&G

"Auf die Länderrisiken schauen"

Fondsmanagerin: Neuer Fed-Kurs für Emerging Markets ein sehr bedeutender positiver Faktor

"Auf die Länderrisiken schauen"

Schwellenländer-Anleihen sind bei den Investoren wieder hoch im Kurs. Ein Grund ist der geldpolitische Kursschwenk der Fed, ist Claudia Calich, Fondsmanagerin von M&G überzeugt. Obwohl damit ein gravierendes Risiko für die Emerging Markets entschärft zu sein scheint, erfordert eine Anlage Calich zufolge jedoch ein selektives Vorgehen.- Frau Calich, wie wichtig ist der neue Kurs der Fed für die Emerging Markets?Das ist ein sehr bedeutender positiver Faktor. Zu Beginn des Jahres gab es noch ein gewisses Maß an Unsicherheit. Jetzt ist viel klarer, dass der Leitzinserhöhungszyklus weitgehend abgeschlossen ist. Die Forward-Kurve preist sogar eine erste Zinssenkung innerhalb der beiden kommenden Jahre ein. 2013 war die Ankündigung der US-Notenbank, die Anleihekäufe zu reduzieren, der Hauptgrund für den Ausverkauf der Emerging Markets.- Wie funktioniert der Wirkungsmechanismus der US-Geldpolitik?Mit Zinsen um 2,5 % am kurzen Ende der Treasury-Kurve sind auch die Renditen von Anlagen in den Schwellenländern gestiegen, und das ist bei vielen Investoren schon spürbar. Der Renditeaufschlag von Schwellenländerstaatsanleihen auf den US-Leitzins ist Anfang 2017 auf 5 Prozentpunkte gestiegen, das heißt, es hat auch eine Einpreisung auf die Kursentwicklung in den USA stattgefunden. Zum Vergleich: Vor dem Ausverkauf des Jahres 2013 hatte die Differenz einen historischen Tiefststand erreicht. 2012 und in den ersten Monaten des Jahres 2013 lag die Risikoprämie der Emerging-Markets-Anleihen auf Treasuries zwischen 2 und 3 Prozentpunkten. Jetzt beträgt sie 3,5 Prozentpunkte. Damit haben wir nun eine bessere Bewertung und Kompensation der Risiken.- Welche Rolle spielt der Handelskonflikt?Auch das ist für die Schwellenländer von hoher Bedeutung. Eine gute Lösung vorausgesetzt, wäre hier das Worst-Case-Szenario entschärft. Im zurückliegenden Jahr wurde das Nafta-Problem gelöst. Das zeigt, dass Trump trotz einer zunächst aggressiven Rhetorik auch pragmatisch handelt.- Worauf kommt es beim Investieren in den Schwellenländern an?Man muss genau auf die idiosynkratischen Länderrisiken schauen. Ein Ausverkauf kann Investment-Gelegenheiten schaffen, in anderen Fällen kann eine Risikoreduzierung angebracht sein. Brasilien war in letzter Zeit eines der besten Assets weltweit. Der neue Präsident Jair Bolsonaro hat nach seinem Wahlsieg seine Rentenreformpläne angekündigt, über die wahrscheinlich nicht vor dem dritten Quartal abgestimmt wird. Das Vorhaben ist für die öffentlichen Finanzen des Landes sehr wichtig. Denn das Rentensystem ist insolvent, ein Gelingen der Reform entscheidend. Die anfänglich vorgestellten Pläne Bolsonaros sind etwas ambitioniert, können aber ein wenig runtergefahren werden. Sollte die Umsetzung jedoch um mehr als 50 % reduziert werden, wäre für nächstes Jahr Abwärtspotenzial für brasilianische Anleihen zu erwarten.- Wie sind Sie in Brasilien positioniert?Wir sind neutral positioniert. Nach der Rally sind die Reformpläne bereits in den Asset-Preisen reflektiert.- Wo sehen Sie in Lateinamerika interessante Gelegenheiten?Wir sind derzeit unter anderem in Argentinien übergewichtet. Im Oktober findet die erste Runde der Präsidentschaftswahl statt, an die sich voraussichtlich eine Stichwahl im November anschließen wird. Es sind die wichtigsten Wahlen in den Emerging Markets in diesem Jahr. Der Sieger wird auf ein sehr schwieriges ökonomisches Umfeld stoßen. Er braucht auf jeden Fall ein Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds. Für eine populistische Agenda gibt es keinen Spielraum, weil Argentinien sonst der Ausfall droht. Derzeit sind wir zuversichtlich. Es werden noch ein paar Monate vergehen, ohne dass klar ist, ob sich Populisten durchsetzen werden. Selbst die Peronisten sind eher pragmatisch eingestellt, und es ist unklar, ob Cristina Kirchner überhaupt Kandidatin der peronistischen Partei wird. Wahrscheinlich werden wir unsere Position in Argentinien im weiteren Verlauf des Jahres reduzieren.- Alle Augen richten sich derzeit auf das krisengeschüttelte Venezuela. Was halten Sie von venezolanischen Anleihen?Die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, dass das Militär noch hinter Maduro steht. Solange das so bleibt, bleibt die Lage des Landes schwierig, nicht zuletzt aufgrund der US-Sanktionen. Eine militärische Konfrontation halten wir für wenig wahrscheinlich. Die Situation ist vor allem für die Bevölkerung schwierig. Durch die Sanktionen wird der Dollar-Zufluss in den kommenden Monaten weiter zurückgehen, so dass sich der Mangel an Nahrung und Medikamenten nochmals verschärfen wird. Noch wird die Führung des Militärs von der Maduro-Regierung beschäftigt und bezahlt. Daher unterstützt sie ihn. Doch das könnte sich ändern, wenn sie glauben, dass die Vorteile einer Regierungsunterstützung nicht mehr gegeben sind. Trotz der Rally seit Jahresanfang sind die Anleihekurse immer noch niedrig. Der Kassakurs der Anleihen handelt noch immer unter 30 % des Nominalwertes und könnte bei einem Regierungswechsel mit ökonomischen Reformen weiter steigen. Wir sind in dem Land übergewichtet. In einem Szenario, in dem sich unter einer neuen Regierung die Ölförderung wieder erhöht und wieder mehr Investitionen getätigt werden, ergäbe sich ein hohes Aufwärtspotenzial für venezolanische Anleihen.- Afrika kommt wieder etwas in Mode. Sehen Sie dort attraktive Anlagemöglichkeiten?In Afrika sehen wir einige sich abschwächende Credits. Aber es gibt in einigen Fällen auch stabile bis aufwärtsgerichtete Trends. Insgesamt ist das Wachstum auf dem Kontinent hoch, ebenso die Anleiherenditen. Aber man muss darauf achten, wie nachhaltig das Wachstum eines Landes ist. So hat etwa Ruanda in den neunziger Jahren einen fürchterlichen Bürgerkrieg erlebt. In Ländern, in denen es einen Bürgerkrieg gegeben hat, folgt häufig eine lange Phase mit starkem Wachstum.- Im Zentrum der Diskussion stehen derzeit auch China beziehungsweise die Sorgen über das Wachstum des Landes. Wie ist Ihre Meinung?In China sind wir lange untergewichtet gewesen, weil die Bewertung so hoch war. Das hat sich 2018 aber verändert, und wir haben begonnen, ein Exposure aufzubauen. Wir sind derzeit neutral und halten Anleihen beispielsweise von Immobilienentwicklern und einigen Industrienamen. Die Hoffnungen auf eine Lösung im Handelskonflikt haben zuletzt eine kleine Rally ausgelöst. Eine Lösung würde eine Quelle der Unsicherheit um das chinesische Wachstum beseitigen. Die große Frage ist aber, wie hoch das Potenzialwachstum für ein Land wie China sein kann. Ein Wachstum von 7 bis 8 % kann China nicht fortsetzen. Vielmehr wird es sich in den kommenden zehn Jahren zwischen 3 und 6 % bewegen. Die Herausforderung wird sein, die Wachstumsverlangsamung zu bewältigen. Der Vorteil Chinas ist, dass es auf der zentralstaatlichen Ebene nicht hoch verschuldet ist und somit Kontrolle über die Verschuldung hat. China muss ineffiziente Firmen schließen und Ressourcen den Zukunftsindustrien zukommen lassen. Ferner müssen Überkapazitäten abgebaut werden.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.