LEITARTIKEL

Aufwärtsrisiken

Parität, 90 US-Cent, 80 US-Cent - noch vor wenigen Wochen überschlugen sich Währungsanalysten dabei, den ungebremsten Absturz des Euro-Kurses zum Dollar vorherzusagen. Es ist ruhig geworden um diese kürzlich noch so lauten Stimmen, so ruhig, wie es...

Aufwärtsrisiken

Parität, 90 US-Cent, 80 US-Cent – noch vor wenigen Wochen überschlugen sich Währungsanalysten dabei, den ungebremsten Absturz des Euro-Kurses zum Dollar vorherzusagen. Es ist ruhig geworden um diese kürzlich noch so lauten Stimmen, so ruhig, wie es um den Euro-Dollar-Kurs seit gut einem Monat geworden ist. Es scheint, als hätte die Gemeinschaftswährung ihre neue Komfortzone im Bereich eines Kurses von 1,06 bis 1,08 Dollar gefunden. Ist dies die neue Normalität, gar das Tief oder nur eine Pause in einem großen Abwertungstrend? Die Antwort ist für Investoren wie auch die Realwirtschaft von überragender Bedeutung. Es geht bei der Entwicklung des Wechselkurses nicht um nationale Befindlichkeiten einer starken oder schwachen Währung (und auch nicht um die Frage, ob der USA-Urlaub billiger oder teurer wird), sondern zum einen um makroökonomische Basisfaktoren wie Inflation, Wettbewerbsfähigkeit und außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Zum anderen geht es aber auch um Investitionsentscheidungen und die Absicherung von Währungsrisiken. Wer falschliegt oder falsch beraten wird, dem drohen hohe Verluste. Die Gefahr einer falschen Positionierung ist angesichts der divergierenden Prognosen nicht gering. Der aktuelle Reuters-Konsens erwartet den Euro in zwölf Monaten im Median bei 1,03 Dollar und damit unwesentlich unter dem aktuellen Niveau. Das scheint beherrschbar zu sein. Doch die Spanne der Prognosen reicht von 0,92 bis 1,20 Dollar und eröffnet damit Raum für Fehlpositionierungen.Die Folge: Wer mit dem Dollar zu tun hat – und wer hat das nicht im Wirtschafts- und Finanzgeschehen -, muss eine Meinung zur Kursentwicklung haben. Dies gilt umso mehr, als das aktuelle Niveau von um die 1,07 Dollar wohl mehr Durchgangsstation als Komfortzone ist. Die weitere Entwicklung hängt vor allem an der Geldpolitik, aber auch an der Konjunktur und an politischen Risiken wie einem finanziellen Kollaps Griechenlands oder dem schwelenden Krieg im Osten der Ukraine. Denn egal wie Zinsen oder Wachstumsdaten ausfallen, im geopolitischen Ernstfall ist der Dollar – meist in Form von US-Staatsanleihen – immer der ultimative sichere Anlagehafen.Die Aussicht auf eine divergierende Geldpolitik und damit wachsende Zinsdifferenz war der Haupttreiber der Dollar-Aufwertung seit dem Frühjahr 2014. Bislang hat sich jedoch nur die eine Seite der Gleichung materialisiert, nämlich die deutliche Lockerung der Geldpolitik in der Eurozone. Es spricht vieles dafür, dass diese Maßnahme inzwischen mehr oder weniger in den Kurs eingerechnet ist – zumindest solange es bei den angekündigten monatlichen Käufen von 60 Mrd. Euro bis September 2016 bleibt. Jede Abweichung davon in die eine oder andere Richtung wäre kursbewegend.Hingegen hat die US-Seite bislang die Erwartungen nicht erfüllt, ihr Leitzins liegt noch immer nur knapp über der Nulllinie. Sicher, das Auslaufen der dritten Runde der quantitativen Lockerung der Federal Reserve wirkte de facto wie eine Straffung der Geldpolitik. Doch seither herrscht Stillstand, auch weil sich die US-Notenbank selbst im März eher skeptisch zum Wachstumsausblick geäußert hatte. Ein zuletzt unerwartet schwacher Arbeitsmarkt in den USA tat ein Übriges, um Zinserhöhungsfantasien aus den Köpfen der Anleger zu vertreiben. Sicherlich, man kann durchaus fragen, ob eine Volkswirtschaft mit einer Wachstumsrate von 2,4 % (2014) und einer Inflationsrate von 0,2 % (im März, im Vergleich zum Vormonat) wirklich einen Null-Leitzins benötigt. Wahrscheinlich würde die US-Ökonomie auch einen Leitzins von 0,5 % oder 0,75 % aushalten. Doch der Weg dorthin würde wohl für Verwerfungen sorgen – vor allem wohl in den Schwellenländern.Je länger die Fed mit einem Zinsschritt wartet, desto eher könnte die globale Geldpolitik wieder stärker im Gleichschritt erfolgen – und genau jene befürchteten Verwerfungen verhindern. Erholt sich die Konjunktur der Eurozone mit EZB-Hilfe weiter und fallen steigende US-Zinsen mit einem Auslaufen der quantitativen Lockerung in der Eurozone zusammen, so spräche kaum noch etwas für eine weitere Euro-Abwertung. Sicher, dies ist angesichts der aktuellen Konjunkturlage unwahrscheinlicher als eine weitere Dollar-Stärke. Doch angesichts der starken Positionierung der Märkte für einen noch schwächeren Euro besteht ein hohes Risiko der Fehlpositionierung für dieses schließlich auch nicht völlig aus der Luft gegriffene Szenario. Aufwärtsrisiken nennen Analysten das, was ein Zeichen wäre für ein Ende der Krise der Eurozone.——–Von Stefan SchaafVieles spricht zwar für eine weitere Aufwertung des Dollar. Doch die Wahrscheinlichkeit eines Comeback des Euro wird von den Märkten unterschätzt.——-