GastbeitragAnlagethema im Brennpunkt (303)

Ausblick vom Zinsgipfel

Mit der zehnten Zinsanhebung in Folge Mitte September sollte der Gipfel für die EZB erreicht sein und es ist Zeit für eine Standortbetrachtung.

Ausblick vom Zinsgipfel

Gastbeitrag: Anlagethema im Brennpunkt (303)

Ausblick vom Zinsgipfel der EZB

Nach dem Aufstieg zum Gipfel folgt die Zeit des Innehaltens und des wohlverdienten Ausblicks von oben. Wie Bergsteiger dürften sich auch die Mitglieder des EZB-Rates rund um Präsidentin Lagarde fühlen. Mit der zehnten Zinsanhebung in Folge Mitte September sollte der Gipfel erreicht sein und es ist Zeit für eine Standortbetrachtung.

Nach spätem Start im Juli 2022 hat die EZB insgesamt entschlossen auf ihr Mandat der Preisstabilität geliefert. Christine Lagarde hat in der Vergangenheit mehrfach klargemacht, dass das Wohlergehen der Wirtschaft bei EZB-Entscheidungen allenfalls mittelbar eine Rolle spielen darf. Klarer Auftrag der Zentralbanken ist der Kampf gegen die hartnäckige Inflation und sicherzustellen, dass die Inflationsrate auf ein Niveau von 2% zurückgeführt wird. Und die Zinseffekte beginnen in der Realwirtschaft Wirkung zu zeigen.

Stillstand im Bausektor

Die sprunghaft gestiegenen Finanzierungskosten wirken im Bausektor wie eine Vollbremsung. Zu Ende gebaut werden aktuell die Projekte, die andernfalls als Bauruine einen noch größeren wirtschaftlichen Schaden verursachen würden. Neue Projekte sind so gut wie zum Erliegen gekommen. Der Abverkauf von Wohnungen aus dem gehobenen oder Luxussegment ist selbst in Ballungszentren wie Frankfurt in der Regel nur mit deutlichen Preiszugeständnissen möglich. Wie bei anderen hochpreisigen Wirtschaftsgütern auch, wirken die aktuellen Rahmenbedingungen bei Immobilien sowohl von der Angebots- als auch von der Nachfrageseite her dämpfend. Projektfinanzierungen haben sich drastisch verteuert und lasten gemeinsam mit höheren Baustoffpreisen und Lohnniveaus auf der Angebotsseite. Auf der anderen Seite stehen private Haushalte mit sinkenden Realeinkommen, massive Teuerung und Hypothekenzinsen, die sich im 10-Jahres-Bereich fast vervierfacht haben. Diese Gleichung geht auf absehbare Zeit nicht auf.

Obwohl es positiv ist, Übertreibungen im Immobilienmarkt wieder auf erschwinglichere Niveaus herabzukühlen, hat auch diese Medaille zwei Seiten. Die Nachfrage nach Wohnraum in Deutschland steigt stetig weiter an, während sich die Angebotsknappheit noch verstärkt. Im Zeitraum Januar bis Juli 2023 sanken die Baugenehmigungen für Wohnungen gegenüber dem Vorjahr um rund 32%. In der Folge sind die Mieten in Großstädten laut der Immobilienberatung Jones Lang LaSalle allein im ersten Halbjahr 2023 im Schnitt um weitere 6,7% gestiegen. Ein nicht unerheblicher Inflationstreiber, da Wohnung und Nebenkosten rund ein Viertel des für die Inflationsberechnung herangezogenen Warenkorbs ausmachen. Dieses Beispiel zeigt zudem, dass Leitzinserhöhungen zwar die schärfste Waffe der Notenbanken gegen Inflation darstellen, aber leider auch nicht linear funktionieren und schon gar nicht nebenwirkungsfrei sind.

Auch in anderen Branchen zeigen sich deutliche Bremsspuren. Im August wurden in Deutschland rund 273.000 Pkw neu zugelassen – rund 37% mehr als im Vorjahresmonat. Getrieben wurde der Zuwachs allerdings primär vom Auslaufen der Förderung für gewerblich genutzte E-Autos zum 1. September. Zudem spiegeln die Zulassungen noch immer das Abarbeiten des pandemiebedingt angeschwollenen Auftragsbestandes wider. Die aktuelle Bestelltätigkeit hingegen schwächt sich weiter ab und zeigt, dass gestiegene Finanzierungskosten und niedrigere verfügbare Einkommen nicht mit den in den vergangenen Jahren mehrfach erhöhten Kfz-Preisen in Einklang zu bringen sind.

In Summe zeichnet sich das Bild eines harten Erwachens der Konsumenten aus dem Post-Lockdown-Rausch. Die Nachholeffekte werden deutlich abebben und die klassischen Profiteure diskretionärer Ausgaben, wie beispielsweise die Tourismusindustrie, sollten sich auf magerere Quartale einstellen.

Letztlich bringt das aber genau den gewünschten Effekt in der Inflationsbekämpfung. Nur eine ausgeprägte Reaktion der Nachfrager wird manche Anbieter von Waren und Dienstleistungen zur Räson in Bezug auf ihre Preissetzung bringen, und die vielerorts durch Knappheit oder eine „Jetzt erst recht“-Mentalität der Konsumenten ausgehebelte Preiselastizität der Nachfrage wieder einrenken. Wenn auch kurzfristig die Sorge vor enttäuschenden Unternehmensgewinnen auf dem Aktienmarkt lastet – langfristig ist das der einzig richtige Weg zur Inflationsbekämpfung und damit auch der Schlüssel zur Erholung der Märkte.

Pascal Spano

Leiter Research bei Metzler Capital Markets