Ausweitung der Ölfördermenge birgt Risiken

Die Erhöhung verringert Reservekapazitäten der Opec weiter und schränkt künftigen Handlungsspielraum ein

Ausweitung der Ölfördermenge birgt Risiken

Es soll wieder mehr Öl fließen. Der jüngste Beschluss der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) dürfte zwar den Aufwärtstrend bei den Preisen kurzfristig brechen. Gleichzeitig beraubt sich die Organisation aber auch der Möglichkeit, auf künftige Nachfrageschwankungen deutlich zu reagieren.Seit November 2016 trocknet der Ölmarkt langsam aus. Doch nun hat die Opec den Kurs geändert. Zusammen mit dem Nicht-Opec-Mitglied Russland will sie das Fördervolumen um 1 Mill. Fass pro Tag erhöhen. Die führenden Ölförderländer wollen damit verhindern, dass global ein Unterangebot entsteht.Doch der jüngste Beschluss ist für die Organisation durchaus problematisch. Denn tatsächlich sind nur wenige Länder wie Saudi-Arabien, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und der Irak derzeit überhaupt in der Lage, die Fördermengen zu steigern. Andere Länder werden dagegen Marktanteile verlieren. Gleichzeitig birgt die Entscheidung Risiken, denn die Erhöhung verringert die Reservekapazitäten der Opec weiter und schränkt damit ihren zukünftigen Handlungsspielraum ein. Kurswechsel der OpecSeit ihrer Entscheidung vom November 2016, den Ölmarkt neu auszutarieren – die globalen Lagerbestände hatten damals Rekordniveaus erreicht – hat die Opec die Fördermengen gekürzt. Die tatsächlichen Fördermengen lagen dabei noch unter den Erwartungen. Infolgedessen sind die Lagerbestände unter den Fünfjahresdurchschnitt gefallen und haben die Ölpreise im Frühjahr 2018 in Richtung 80 Dollar pro Fass getrieben. Zu hohe Preise aber fördern Investitionen in bislang unrentable Projekte und geben Rückenwind für nachhaltige Energien. Beides ist nicht im Interesse der Opec. Die Opec erkannte daher, dass es an der Zeit war, die Vereinbarung zu überdenken. Eine Rolle mag dabei auch gespielt haben, dass US-Präsident Donald Trump, ein Verbündeter des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, per Twitter-Nachricht ein Ende der Preiserhöhungen forderte. Gleichzeitig dürften die neuen Wirtschaftssanktionen der USA gegen den Iran zu einer Drosselung der dortigen Öllieferungen um 0,5 Mill. Fass pro Tag führen. Ein Grund mehr für die Opec, einen Kurswechsel vorzunehmen. Auswirkungen auf den ÖlpreisDie beschlossene Erhöhung der Fördermengen unterstützt unsere Prognose einer Ölpreisspanne zwischen 65 und 85 Dollar. Diese Annahme basiert auf der Erwartung eines soliden globalen Wirtschaftswachstums und eines stabilen Dollar.Es gibt Szenarien, die einen Preissturz beim Erdöl auslösen könnten. Eines der schwerwiegendsten wäre eine deutliche Abkühlung der globalen Konjunktur. Aber auch eine weitere Aufwertung des Dollar gegenüber dem Euro, eine Einigung des Iran mit den USA oder das abrupte Ende der Kooperation von Russland und der Opec könnten zu sinkenden Notierungen führen. Allerdings sind solche Ereignisse unserer Meinung nach aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich.Umgekehrt ist aber trotz der jüngsten Beschlüsse auch ein weiter steigender Ölpreis denkbar. Kurzfristig ist das Potenzial eines Anstiegs über 85 Dollar pro Fass durch die Opec-Entscheidung zunächst begrenzt. Aber die geplante Ankurbelung der Förderung verringert auch die Reservekapazitäten der Opec. Das hätte bei unerwarteten Produktionsausfällen Konsequenzen, denn niedrige Reserven würden die Reaktionsmöglichkeiten einschränken.Unter den erdölexportierenden Volkswirtschaften gibt es eine Reihe von potenziellen Problemkandidaten. Da ist zunächst natürlich der Iran, dessen Ölgeschäft von den neuen US-Sanktionen unweigerlich betroffen wäre. Venezuela wiederum hat im Zuge der Wirtschafts- und Politikkrise mit veralteten Förderanlagen und einer demotivierten Arbeiterschaft zu kämpfen. Und in Libyen und Nigeria herrscht Bürgerkrieg. Die fehlende Stabilität in diesen Ländern ist durchaus ein Unsicherheitsfaktor. Aber auch grundsätzlich stabile Produzenten sind gegen negative Überraschungen nicht gefeit. Derzeit fördert beispielsweise Kanada wegen eines Stromausfalls bei einem Ölsandabbauunternehmen weniger Öl.Ein gewichtiger Spieler ist die Schieferölindustrie in den USA. Ohne die gewaltigen Produktionsausweitungen in diesem Sektor würde der Preis für Erdöl heute wohl um 200 Dollar oder mehr notieren. Das US-Angebot wächst ungebrochen schnell, möglicherweise zu schnell. Denn die Transportkapazitäten für das schwarze Gold aus den großen Schieferölfeldern im texanischen Permian Basin werden in den nächsten Monaten an ihre Grenzen stoßen. Eine anhaltende Flut von amerikanischem Schieferöl ist deshalb eher unwahrscheinlich.Solche Unsicherheiten dürften auf Angebotsseite über kurz oder lang einen neuen Investitionszyklus auslösen und die Ölpreise langfristig stützen. Das würde besonders Aktien von Öldienstleistern und -ausrüstern zugutekommen. Auch sehen wir Aufwärtspotenzial bei europäischen Öltiteln und kanadischen Aktien. Diese Sektoren sollten von Ölpreisen über 65 Dollar profitieren.—-Stefan Eppenberger, CFA, Investment Strategist bei Vontobel Asset Management