Auto-Credits haben wieder aufgetankt
Von Markus Roß*)
Die zurückliegende Berichtssaison hat gezeigt, dass der zwischenzeitlich für das Jahr 2020 befürchtete Totalschaden im Automobilsektor vermieden wurde. Aus der Kreditperspektive konnte die Branche das Krisenjahr 2020 deutlich besser als erwartet abschließen. Die Kennzahlenprofile der Autohersteller haben sich von dem Coronaschock im Frühjahr wieder sichtbar erholt. Natürlich war die Pandemie auf Gesamtjahressicht ein wesentlicher Belastungsfaktor, der sich insbesondere in deutlich rückläufigen Absätzen und Erlösen sowie klaren Ergebniseinbrüchen in den Bilanzen widerspiegelte. Allerdings zeigte sich in der zweiten Jahreshälfte ein klarer operativer Aufwärtstrend. Dieser war maßgeblich einer rasch anziehenden Nachfrage – vor allem in China – zu verdanken, die von positiven Kostensenkungseffekten flankiert wurde. Für die im ersten Halbjahr stark negative freie Mittelgenerierung konnte in den meisten Fällen eine fulminante Trendumkehr beobachtet werden.
Ein Gutteil dieser Entwicklung war zurückzuführen auf die extremen Schwankungen im Working Capital, allen voran bei den Vorräten. Aber auch die Zurückhaltung bei den Investitionsausgaben zeigte als Maßnahme zur Cash-Erhaltung eine hohe Wirkung. Die Liquiditätsreserven präsentierten sich trotz der zwischenzeitlich massiven Mittelabflüsse im gesamten Jahresverlauf stets gut gefüllt. Die Unternehmen agierten hier bereits im Vorfeld mit hohen Polstern – eine Lehre aus der Finanzkrise 2008/09.
Roten Bereich verlassen
Rund ein Jahr nach dem Coronaschock hat die Tanknadel des Sektors den roten Bereich zwar sichtbar hinter sich gelassen, neue und alte Unwägbarkeiten warten jedoch bereits. Die Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen sorgen weiterhin für eine geringe Nachfragevisibilität. Zudem warnen die meisten Unternehmen vor den Folgen deutlich gestiegener Rohstoffkosten – unter anderem für Stahl. Gleichzeitig bereitet der industrieweite Engpass bei Halbleitern Sorge. Zwar dürfte es sich hierbei um ein temporäres Problem handeln, die Dauer der Produktionseinschränkungen kann jedoch bisher nicht verlässlich abgeschätzt werden.
Aus den Unternehmen selbst sind unterschiedliche Stimmen zu vernehmen. Dementsprechend schwer kalkulierbar sind die finanziellen Folgen, obschon diese vereinzelt signifikant ausfallen dürften. Als Gegenmaßnahme versuchen die Konzerne, höherwertige Modelle in der Produktion zu bevorzugen, um den negativen Ergebniseffekt aus entgangenen Absätzen ein Stück weit abzufedern.
Neben diesen vor allem kurzfristig wirkenden Problemfeldern hat die Automobilindustrie die technologische Transformation zu schultern. Zeitlichen Druck erzeugen hier insbesondere die strengeren regulatorischen Vorgaben in vielen Regionen. In Europa verringern sich mit Blick auf die Grenzwerte der CO2-Flottenemissionen einige Übergangsspielräume sichtbar, die noch 2020 maßgeblich für die (weitgehende) Einhaltung der Zielvorgaben verantwortlich gewesen sein dürften. Vorausschauend ist daher verstärkt die Technologie gefordert. Neben Effizienzverbesserungen bei Verbrennungsmotoren liegt hier der größte Hebel in der Elektrifizierung des Antriebsstrangs. Das diesbezügliche Angebot wird derzeit massiv ausgeweitet, das Wettrennen um die künftige Vorherrschaft im E-Segment ist im vollen Gange. Sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch mit Blick auf die Marktbewertung wird Tesla nicht mehr allein auf weiter Flur gesehen. Insbesondere in Wolfsburg zeigt man sich angriffslustig und unterstreicht die Ambitionen mit einem umfassenden, bis hin zur Batterieproduktion reichenden Konzept.
Starke Präsenz
In Anbetracht der Größenvorteile von Volkswagen sowie angesichts der starken Präsenz im dynamischen chinesischen Markt besitzt der Konzern durchaus glaubwürdige Argumente für den formulierten Führungsanspruch. Doch der Erfolg dieser aggressiven Strategie hängt maßgeblich von der Kundenakzeptanz für alternative Antriebe ab. Andere Hersteller wie beispielsweise BMW setzen daher vorerst noch auf ein hohes Maß an Flexibilität, um auf unterschiedliche Trendpfade reagieren zu können. Denn trotz der zuletzt ermutigenden Nachfrageentwicklung für elektrifizierte Fahrzeuge verbleiben immer noch wesentliche Kaufhindernisse – insbesondere mit Blick auf die in vielen Regionen deutlich ausbaufähige Ladeinfrastruktur.
Zudem sind noch spürbare Fortschritte auf der Kostenseite notwendig, damit Elektromobilität auch ohne staatliche Förderung mittelfristig wettbewerbsfähig sein kann. Das Zauberwort lautet auch hier Skaleneffekte: je höher die Volumina, desto niedriger der Herstellungsaufwand für Batterien.
Wo Größenvorteile unter dem eigenen Dach nur unzureichend vorhanden sind, sollen Kooperationen Synergien schaffen. Denn der Wandel des Sektors ist nicht allein auf die Elektrifizierung zu reduzieren. Autonomes Fahren, Mobilitätsdienste und das Thema Vernetzung bilden ebenfalls wichtige Eckpfeiler, durch welche die Bedeutung von Daten und Software stark zunimmt. Diese Digitalisierung des Produktangebots gefährdet zwar einerseits die mechanischen Grundzüge des Geschäftsmodells der Konzerne, andererseits bieten sich gerade in der Transformationsphase entsprechende Chancen zur frühzeitigen Positionierung. Aber auch hier stellt sich die Kostenfrage. Die Unternehmen beantworten diese vor allem mit Partnerschaften, die oftmals auch über die Branchengrenzen hinausreichen. Mittelfristig müssen jedoch die eigenen Profile geschärft und Schwerpunkte gesetzt werden.
Nachlassender Druck
Während die Hersteller im Zuge der Covid-19-Krise vor allem die Widerstandsfähigkeit unter Beweis stellen mussten, rückt künftig in Anbetracht der Transformation die Anpassungsfähigkeit in den Vordergrund. Die Profitabilitätsentwicklung kann hier als Gradmesser herangezogen werden, und auch das Hauptaugenmerk der Ratingagenturen ist zunächst darauf gerichtet. Der Druck auf die Bonitätsnoten im Sektor hat zwar deutlich nachgelassen, vereinzelt kann jedoch noch keine Entwarnung gegeben werden. Die Liste der Herausforderungen ist lang, gleichzeitig bleibt das Marktumfeld fragil. Eine breite regionale Präsenz ist daher mehr denn je von Vorteil für die Firmen.
Gleichzeitig bedarf es eines individuell passenden Technologiefahrplans. Vor diesem Hintergrund lässt sich festhalten, dass die Automobilhersteller aus der Credit-Sicht zuletzt zwar deutlich auftanken konnten, aber ein sparsamer und vor allem vorausschauender Fahrstil zunächst weiter angezeigt bleibt. Auch das derzeitige Bewertungsbild am Corporate-Bond-Markt spiegelt dies wider. Im Branchenvergleich sind weiterhin leicht überdurchschnittliche Spread-Niveaus zu beobachten. Aus der Carry-Perspektive bietet der Sektor daher attraktive Optionen – unter der Annahme, dass die Akkus eher halb voll als halb leer sind.
*) Markus Roß ist Senior Credit Analyst bei der DZBank.