Autobonds hinken dem Markt hinterher
Von Carsten Lüdemann und Andreas Scheuerle *)Keine Industriebranche ist von der Coronakrise so stark getroffen worden wie die Automobilindustrie. Kollabierte Absatzmärkte und Lieferketten führten zu einem abrupten Produktionsstopp. Inzwischen sind die Neuzulassungen von Pkw aber schon wieder auf dem Vorcoronaniveau angekommen. Doch einige strukturelle Probleme bleiben weiter bestehen. So zeigt sich in den entwickelten Regionen eine zunehmende Marktsättigung. Zum Glück gibt es in den Schwellenländern weiterhin ein hohes Absatzpotenzial. Dies verdeutlicht nicht nur die Entwicklung der Neuzulassungen, sondern auch die Motorisierungsrate, also die Fahrzeuge je 1 000 Einwohner. Würde die chinesische Motorisierungsrate auf den deutschen Wert ansteigen, könnten in China noch weitere rund 650 Millionen Fahrzeuge verkauft werden. Die These der Marktsättigung kann also bestenfalls einen kleinen Teil der Probleme erklären.Viel gravierender sind die Probleme, die sich aus den Umweltvorschriften ergeben. Zu lange wurden technische Lösungen bei der Fahrzeugentwicklung vernachlässigt. Nach den Skandalen um versteckte Abschaltvorrichtungen beschloss die EU im Sommer 2017 die Einführung eines neuen, realitätsnäheren Prüfstandards WLTP (World Light Vehicle Test Procedure). Dieser sollte ab 1. September 2018 für alle neu zugelassenen Fahrzeugtypen gelten. Zeit genug, möchte man meinen, sich auf das neue Verfahren einzustellen. Tatsächlich gelang dies der Automobilindustrie jedoch nicht, so dass die Zulassungszahlen im September 2018 in den Keller rauschten und die Produktion schon im Vorfeld gedrosselt wurde. Im September 2019 trat eine Verschärfung in Kraft (WLTP II), und das Spiel wiederholte sich in abgeschwächter Form. Viel Unsicherheit vorhandenAuch mit Blick auf Elektrofahrzeuge besteht viel Unsicherheit: Was ist der Antrieb der Zukunft – Batterie oder Brennstoffzelle? Wird angesichts des sich beschleunigenden technischen Fortschritts bei E-Fahrzeugen ein heute erworbenes Auto bei einem Verkauf in einigen Jahren als Gebrauchtwagen noch einen hinreichenden Preis realisieren? Solche Unsicherheiten führen zu einem Aufschub von Käufen. Derzeit forcieren Politik und Automobilindustrie den Einstieg in den Batterieantrieb. Dies liegt an einer besonderen Interessenslage: der Einhaltung der EU-Grenzwerte für CO2. Galt für die Neuzulassungen in der EU im Jahre 2012 noch der CO2-Grenzwert von 130 g/km für Pkw, so sinkt dieser 2021 auf 95 g/km. Das ist ein im internationalen Vergleich ambitioniertes Ziel. Die entsprechenden Referenzwerte liegen in den USA, in China oder in Japan zum Teil merklich höher.Dieser Grenzwert soll in der EU bis 2025 sogar auf 80 g/km und bis 2030 auf 60 g/km sinken. Bei Nichteinhaltung werden Strafzahlungen von 95 Euro je Gramm überschießender Kohlendioxid-Emission und Fahrzeug erhoben. Bliebe es bei den Emissionsdaten aus dem Jahr 2018, würden nach Jato-Berechnungen Strafzahlungen in Milliardenhöhe fällig. Um die Umweltziele schnellstmöglich zu erfüllen (dort werden E-Autos als emissionsfrei gerechnet) und auf diese Weise Strafzahlungen zu vermeiden, setzt die Automobilindustrie mit Vehemenz auf die Batterietechnologie. Keinesfalls klar ist, ob der Batterieantrieb im Vergleich zur Brennstoffzelle die bessere Technologie ist. Zu lange setzten deutsche Hersteller auf Verbrennungsmotoren. Mit dem geplanten Verbot dieser in einer großen Anzahl von Ländern wurde ein großer Teil der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in diesem Bereich entwertet. Aus einem Strukturwandel wurde ein Strukturbruch. Den immensen Anstrengungen im Bereich alternativer Antriebe stehen bislang nur bescheidene Erträge gegenüber.Ähnlich wie am Aktienmarkt hat sich der Automobilsektor auch am Bondmarkt unterdurchschnittlich entwickelt. Der Vorteil von Bonds ist aber – oder war es in der Vergangenheit – dass der Zinskupon einen laufenden Ertrag verspricht und damit über längere Laufzeiten zumeist positive Erträge in der Total-Return-Betrachtung ermöglicht. Während die entsprechenden Aktienkurse seit Anfang 2018 um 10 bis 30 % gefallen sind, erwirtschaftete der Auto-Branchenindex des iBoxx Corporate Index in diesem Zeitraum trotz aller Rückschläge einen Total Return von wenigstens 3 %. Dennoch hat der Automobilsektor im Branchenvergleich das Rennen der vorigen 2,5 Jahre verloren. Der Durchschnitt aller Index-Mitglieder hat in dem Zeitraum 5 % verdient und Telekoms sogar knapp 8 %. Selbst die Versorger haben die Autos mit einem Total Return von beinahe 7 % deklassiert. Absturz im FrühjahrDer Ausverkauf von Corporates Ende 2018 aus Sorge um ein Ende der EZB-Käufe hatte der ehemals bereits schwächelnden Autobranche am Rentenmarkt stark zugesetzt. Weitaus stärker fiel aber der Absturz in diesem Frühjahr aus. Automobile litten besonders stark unter dem weltweiten Shutdown, so dass sich die Risikoaufschläge für ihre Unternehmensanleihen überproportional ausgeweitet haben. So hat sich beispielsweise der Spread für BMW am CDS-Markt von 40 Basispunkte (BP) auf 160 BP und für Daimler von 50 BP auf über 200 BP vervierfacht, VW-Spreads stiegen von 70 BP auf 260 BP. Noch härter traf es FCA (Fiat). Der Konzern wird von den Ratingagenturen im Non-Investment-Grade-Bereich geführt, und aus Sorge um die Finanzierbarkeit stieg der Spread von 100 BP auf 600 BP an.Mit der Hoffnung auf die Wiedereröffnung der Märkte setzte eine Erholung ein, die sich im Mai beschleunigte. Während einige Branchen es inzwischen wieder nahezu auf das Vorcoronaniveau herangeschafft haben, liegt der Automobilsektor deutlich abgeschlagen hinter dem Gesamtmarkt zurück. Immerhin haben sich die Verkaufszahlen im Sommer weiter erholt. Es wird jedoch für die Hersteller kaum möglich sein, die große Lücke aus dem Frühjahr wieder aufzufüllen. Der Verband Deutscher Automobilhersteller rechnet für das 2020 in Deutschland und Europa mit einem Absatzeinbruch um fast ein Viertel, weltweit immerhin noch um 17 %. Neben Corona sind die Verbraucher zusätzlich stark durch den Umbruch in der E-Mobilität verunsichert und scheuen sich vor großen Investitionen in eine Technik, die möglicherweise in wenigen Jahren als überholt gilt. Eine deutliche Hilfe beim Absatz stellen die hohen staatlichen Prämien beispielsweise in Deutschland und Frankreich dar. Doch da diese zumeist an E-Technik gebunden sind, drohen einige Hersteller hier den Anschluss zu verpassen. Die Nachfrage ist vorhanden, doch die Produktionskapazitäten sind hierfür auch bei den großen deutschen Herstellern noch nicht ausreichend aufgebaut worden. VW rechnet momentan damit, erst im Jahr 2023 bei Umsatz und Gewinn das Vorcoronaniveau wieder erreichen zu können. Der Autosektor dürfte somit auch am Anleihemarkt noch eine Weile zu den Nachzüglern gehören. Aber an den Märkten werden vornehmlich Erwartungen gehandelt und weniger bereits erzielte Ergebnisse. Autos bieten noch reichlich Aufholpotenzial. *) Carsten Lüdemann und Andreas Scheuerle sind im Makro-Research der DekaBank tätig.