Kreditwürdig

Automobil-Credits aus der ESG-Perspektive

Der Anteil von nachhaltigen Euro-Neuemissionen aus dem Sektor hat in den vergangenen Jahren sichtbar zugenommen.

Automobil-Credits aus der ESG-Perspektive

Kreditwürdig

Automobil-Credits aus der ESG-Perspektive

Von Markus Roß*)

Der Autosektor steht als „Klimasünder“ nicht selten im Zentrum von ESG-Debatten. Auch im Rahmen der Bonitätsanalyse von Automobilkonzernen finden Nachhaltigkeitsthemen zunehmend Beachtung. Angesichts des offensichtlichen Facettenreichtums besteht die Herausforderung darin, den Blick auf das Wesentliche zu richten.

Aus der Sicht eines Credit-Investors scheint es zunächst sinnvoll, potenzielle ESG-spezifische Risiken zu identifizieren und einzugrenzen. Wenngleich dies nicht immer trennscharf gelingt, lässt sich für die Automobilindustrie – auch im Vergleich zu vielen anderen Branchen – eindeutig eine Dominanz von umweltbezogenen Faktoren festhalten.

Das „E“ steht im Mittelpunkt

Verschärfte regulatorische Anforderungen wie das für 2035 in der EU vorgesehene „Verbrenner-Aus“ er-fordern einen enormen Investitionsaufwand, um die Modellpalette sukzessive auf emissionsfreie Antriebstechniken umzustellen. Gleichzeitig besteht aufgrund der anfänglich nur geringen Skalierung das Risiko von Profitabilitätseinbußen. Niedrigere Markteintrittsbarrieren sprechen zudem für einen erhöhten Wettbewerb durch neue Anbieter – wie derzeit vor allem in China zu bestaunen ist.

Neben der Neuausrichtung des Produktangebots sind weitere umweltbezogene Anforderungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Sektors – vom Ressourceneinsatz, über die eigene Fertigung bis hin zum (Batterie-)Recycling – mit finanziellen Anstrengungen seitens der Hersteller verbunden.

Soziale Risiken dürften zunehmen

Soziale Faktoren sind oftmals eng verknüpft mit umweltspezifischen Elementen. Bezogen auf den Autosektor könnte sich durch den technologischen Wandel mittel- bis langfristig ein verändertes Mobilitätsbewusstsein ergeben, welches das Eigentumsmodell bei Automobilen infrage stellt. Gleichzeitig geht mit dem Wandel in der Antriebstechnik auch die Notwendigkeit von Restrukturierungsmaßnahmen und damit ein erhöhtes Risiko von Arbeitnehmerkonflikten einher.

Erhöhte Haftungsrisiken

Mit einer zunehmenden Lieferkettenverantwortung gilt es überdies, Verstöße gegen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zu vermeiden. Zudem besteht grundsätzlich ein Reputationsrisiko infolge von Produktqualitätsproblemen. Vorausschauend dürfte zudem das Trendfeld autonomes Fahren zu erhöhten Haftungs- und Cyberrisiken für den Sektor führen. Während umweltbezogene und soziale Faktoren in den meisten Fällen industrieweit gelten, sind Governance-Aspekte in der Regel unternehmensspezifischer Natur. Gleichzeitig entstehen „E“- und „S“-Themen oftmals als Folge von Governance-Mängeln. Etwaige Risiken können unter anderem aus komplexen Eigentümerstrukturen, einem unzureichenden Risikomanagement sowie dem Versagen von Kontroll- und Aufsichtsfunktionen resultieren. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der VW-Dieselskandal.

Vorstufen gewinnen an Bedeutung

Die ESG-Berichterstattung gibt einen Einblick in die Maßnahmen, mit denen die Unternehmen den genannten Risiken begegnen. Hier spielt ebenfalls die Dimension „E“ die Hauptrolle. Die entsprechenden CO₂-Reduktionsziele werden in der Regel für verschiedene Emissionskategorien angegeben, die sich häufig an den Wertschöpfungsstufen orientieren. Direkte Vergleiche über die Ambitionsniveaus sind angesichts der divergierenden Basisjahre, der relativen Zielformulierungen und der uneinheitlichen Emissionsdefinitionen nur schwer möglich. Insgesamt trauen sich die Konzerne jedoch zu, den durch die eigene Fertigung (direkt und indirekt) anfallenden Ausstoß (Scope 1 & 2) bereits in den kommenden Jahren spürbar zu verringern. Das soll insbesondere durch den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien gelingen.

Scope 3 größere Herausforderung

Dagegen bringt die Minderung der indirekten Emissionen in den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen (Scope 3) weitaus größere Herausforderungen mit sich. Gleichzeitig stellten diese jedoch in der Gesamtrechnung den Löwenanteil des CO₂-Ausstoßes dar. Neben der bereits sichtbar vorangetriebenen Elektrifizierung des Modellportfolios sind von den Unternehmen künftig vor allem verstärkte Anstrengungen entlang der Lieferketten gefragt. Diese liegen jedoch in der Regel außerhalb des direkten Verfügungsbereichs und erfordern daher einen hohen Monitoring-Aufwand. Ausschließlich für die Lieferkette formulierte CO₂-Reduktionsziele sind im ESG-Reporting der Unternehmen bisher eher Mangelware.

„Grüne“ Auto-Bonds im Trend

Einen noch recht jungen Baustein in der (ESG-)Berichterstattung stellt der Ausweis der durch die EU-Taxonomie abgedeckten ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten eines Unternehmens dar. Im Rahmen des unterlegten Prüfungsprozesses besteht für den Automobilsektor jedoch noch Anpassungs- und Klärungsbedarf, um eine bessere Vergleichbarkeit der berichteten Daten herzustellen.

Trotzdem kann die EU-Taxonomie als Hilfsmittel zur Identifikation von nachhaltigen Aktivitäten für die Unternehmensfinanzierung dienen. Die meisten Automobilhersteller haben bereits entsprechende Frameworks für die Emission von „grünen“ Anleihen ausgearbeitet. Neben Produktions- und F&E-bezogenen Assets fanden sich hier zuletzt auch zunehmend Finanzierungstätigkeiten von E-Fahrzeugen als zulässige Verwendungsrichtung der Bonderlöse wieder.

Mehr nachhaltige Neuemissionen

Der Anteil von nachhaltigen Euro-Neuemissionen aus dem Sektor hat in den vergangenen Jahren sichtbar zugenommen und lag 2023 bei rund 25%. Wenngleich damit immer noch konventionelle Papiere dominieren, stellt dies einen im Vergleich zu den meisten anderen Branchen hohen Wert dar. Allerdings war die Emissionstätigkeit bisher stark von einzelnen Emittenten (insbesondere VW) geprägt.

Vielfältige Bewertungsansätze

Zurück auf der Emittentenebene zeigt allein der Blick auf die unterschiedlichen Herangehensweisen der Ratingagenturen, dass eine ESG-Beurteilung – nicht nur im Automobilsektor – immer auch Ansichtssache ist.

Die Bandbreite reicht von einer qualitativen Gesamteinschätzung, über die ausschließliche Einordnung besonders relevanter ESG-Elemente bis hin zu datengestützten Modellen. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass es nicht den absolut nachhaltigen Emittenten gibt. Angesichts der Vielschichtigkeit der Thematik scheint eine relative Betrachtung, deren Ergebnisse auch von der Schwerpunkt- und Zielsetzung abhängen, zielführender.

*) Markus Roß ist CIIA/CEFA, Senior Corporate Bond Analyst bei der DZ Bank.