KREDITWÜRDIG

Automobilsektor steht vor Spurwechsel

Von Markus Roß *) Börsen-Zeitung, 18.10.2018 Schon in der Fahrschule wird gelehrt, einen Spurwechsel sorgfältig vorzubereiten und rechtzeitig anzuzeigen. Dabei sind ruckartige Fahrmanöver zu vermeiden, um die Kontrolle über das Fahrzeug zu...

Automobilsektor steht vor Spurwechsel

Von Markus Roß *)Schon in der Fahrschule wird gelehrt, einen Spurwechsel sorgfältig vorzubereiten und rechtzeitig anzuzeigen. Dabei sind ruckartige Fahrmanöver zu vermeiden, um die Kontrolle über das Fahrzeug zu behalten. Der Automobilsektor steht aktuell vor der Herausforderung, gleich mehrere Spurwechsel kontrolliert vorzunehmen: Im Mittelpunkt steht der Wandel in der Antriebstechnik von konventionellen Verbrennungsmotoren hin zur Elektromobilität. Dieser wird mit Blick auf die vielschichtige Emissionsthematik von weiteren Veränderungen begleitet. Handelsstreit als HindernisZum einen ist hier der offensichtlich von vielen Herstellern nicht rechtzeitig vorbereitete Übergang auf das neue EU-Zertifizierungsverfahren WLTP anzuführen. Zum anderen muss angesichts der verschärften Vorgaben eine Spur gefunden werden, welche die Reduzierung des CO2-Ausstoßes deutlich stärker in den Vordergrund rückt. Gleichzeitig stellt der sich immer weiter zuspitzende Handelsstreit für die Branche ein ernsthaftes Hindernis dar, das es zu umfahren gilt. Dies spiegelt auch die Entwicklung am Credit-Markt wider: Die zunehmenden Spannungen im Handelskonflikt führten insbesondere zum Beginn der zweiten Jahreshälfte zu deutlichen Spread-Ausweitungen bei Automobilwerten.Der Anteil der Dieseltechnologie an den europäischen Automobilabsätzen bleibt weiter abwärtsgerichtet. Trotz eines – relativ betrachtet – dynamischen Wachstums der Nachfrage nach alternativen Antrieben konnte dieses Segment nur unterdurchschnittlich von dem rückläufigen Marktanteil des Selbstzünders profitieren. Dagegen übernahmen zuletzt die Benziner klar die Führung im europäischen Absatzmix. In Anbetracht des CO2-Nachteils von Benzinern zu (vergleichbaren) Dieselfahrzeugen ist diese Mixverschiebung sicherlich als ein Grund für die schleppende Entwicklung bei der CO2-Reduktion zu sehen. Darüber hinaus ist allerdings auch das im Schnitt zunehmende Gewicht der Fahrzeuge als entscheidende Einflussgröße zu nennen, welches vor allem das Resultat des schier ungebrochenen SUV-Trends ist. Ambitionierte ZieleVor diesem Hintergrund stellt – ungeachtet der aktuellen Diskussion über die neuen Mittelfristvorgaben für die nächste Dekade – bereits die Erreichung der europäischen CO2-Zielvorgaben für 2020/21 viele Hersteller vor eine große Hürde. Ausgehend von dem 2017er EU-Durchschnittswert (118,5 g/km) ergibt sich ein Einsparbedarf von 23,5 g/km beziehungsweise eine Verringerung um nahezu 20 % bis 2021. Dies entspricht einer jährlichen durchschnittlichen Reduktionsrate von 5,4 %. Der historische Vergleich zeigt, wie ambitioniert diese Zielerreichung ist: Die durchschnittliche Reduktionsrate seit der Einführung der europaweiten CO2-Regulierung lag bei knapp unter 3 % (p. a.). In der Einzelperiodenbetrachtung war lediglich in dem diesbezüglich “besten” Jahr (2009) mit einer sequenziellen Verringerung um knapp 5 % eine Reduktionsrate zu beobachten, welche ähnlich hoch wie fortan jährlich notwendig ausfiel. Da nicht von einem deutlichen “Diesel-Comeback” auszugehen ist und eine weitere Optimierung der Verbrennungsmotoren vermutlich nicht ausreichen wird, müssen alternative Antriebe möglichst zeitnah einen prominenteren Anteil am Absatzmix erlangen. Unbekanntes TerrainWenngleich die Hersteller den notwendigen Spurwechsel hin zur Elektromobilität durch eine sichtbare Angebotsausweitung derzeit deutlich anzeigen, stellt der Elektropfad insbesondere mit Blick auf die Kundenakzeptanz ein noch weitgehend unbekanntes Terrain dar. Die Prognosen für die Entwicklung elektrifizierter Fahrzeuge variieren stark, allerdings ist den Erwartungen in der Regel eine ähnliche Phasenbetrachtung gemein. Demnach dürfte die kurzfristige Absatzentwicklung vorwiegend von staatlichen Kaufanreizen und Fördermaßnahmen geprägt sein und sich vorerst eher verhalten präsentieren. Mittelfristig wird von einer anziehenden Dynamik ausgegangen, welche durch die verschärften Emissionsvorgaben, eine erhöhte Modellverfügbarkeit, eine ausgebaute Ladeinfrastruktur sowie insbesondere eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit infolge sinkender Batteriekosten bestimmt wird.Vor allem China wird hier eine entscheidende Rolle zugesprochen. Die Regierung im Reich der Mitte hat durch die Einführung verbindlicher Quoten für alternative Antriebe (“New Energy Vehicles”) ab dem kommenden Jahr einen entscheidenden regulatorischen Impuls gesetzt. Für das zugrundeliegende Credit-System gilt ironischerweise die kalifornische Regulierung als Vorbild. Diese steht unter der Trump-Administration derzeit auf dem Prüfstand. Die US-Regierung plant ein Zurückdrehen und eine Vereinheitlichung der US-Emissionsstandards. Die diesbezüglichen Sonderrechte einiger Staaten sollen abgeschafft werden, was vermutlich in einem langwierigen Rechtsstreit münden und die Fortentwicklung der Elektromobilität in den USA hemmen dürfte. Wesentlicher RisikofaktorDie protektionistische Außenhandelspolitik der USA stellt einen wesentlichen Risikofaktor dar. Aus Branchensicht sind in diesem Zusammenhang insbesondere das nordamerikanische Freihandelsabkommen, die derzeitigen Spannungen mit der EU sowie der bereits fortgeschrittene Handelsstreit mit China von Bedeutung. Lediglich mit Blick auf die erzielte Einigung in den Nafta-Neuverhandlungen kann eine gewisse Entwarnung gegeben werden. Durch die neuen Regelungen, welche insbesondere auf die Automobilindustrie abzielen, dürften die etablierten nordamerikanischen Lieferketten weitgehend unverändert bleiben. Dagegen steht die Androhung von Strafzöllen auf deutsche Pkw-Einfuhren in die USA weiter im Raum und birgt insbesondere für die Premiummarken ein hohes Maß an Unsicherheit. Gleichzeitig dreht sich die Zollspirale mit China weiter – mit deutlichen Auswirkungen für den Sektor: Zum einen sind hier die als Gegenmaßnahmen verhängten Strafzölle auf US-Einfuhren nach China als wesentliches Hemmnis zu nennen. Zum anderen sorgt der Konflikt mit Blick auf die jüngst rückläufigen Absatzzahlen für eine zunehmende Unsicherheit bei den chinesischen Verbrauchern und gefährdet damit die Nachfrageentwicklung im weltweit größten Einzelmarkt. Berichtssaison im BlickAngesichts dieser Spannungsfelder sollten die derzeit erhöhten Risikoaufschläge im Automobilsektor nicht sonderlich überraschen. Die bevorstehende Berichtssaison dürfte weitere Einblicke liefern, welche Hersteller bei den vielseitigen Spurwechseln derzeit am ehesten die Kontrolle behalten. Positive Überraschungen dürften Mangelware sein, und eine markante Spread-Gegenbewegung ist u. E. vorerst nicht zu erwarten.—-*) Markus Roß ist Senior Credit Analyst bei der DZ Bank.