Baisse und Sektoren
Technische Analyse
Baisse und Sektoren
Von Robert Rethfeld*)
Verlauf, Korrekturtiefe und Dauer sind wesentliche Aspekte einer Baisse. Der Dow Jones Industrial Average markierte sein Allzeithoch am 4. Januar 2022. Er notiert 10% darunter. Seinen maximalen Verlust erfuhr der Dow Ende September 2022 mit einem Minus von 22%. Ein Bärenmarkt, in dem die 20-%-Marke lediglich an vier Tagen unterschritten wurde, lässt sich in Bezug auf den bisherigen Verlauf als mild bezeichnen.
1946–1949 vergleichbar
Vergleichbar ist der Verlauf mit der inflationsbehafteten Periode 1946 bis 1949 (grüne Linie). Auch damals fiel der Dow nominal kaum unter die 20-%-Marke. Nach drei Jahren begann ein neuer Bullenmarkt. Würde sich dies wiederholen, würde im Januar 2025 eine neue Hausse beginnen. Das ist der Zeitraum direkt nach der nächsten US-Präsidentschaftswahl. In diesem Szenario würde der Dow nochmals 10% verlieren, aber sein Tief vom 30.09.2022 erfolgreich testen.
2000–2003 unwahrscheinlich
Eine andere Möglichkeit wäre ein ähnlicher Verlauf wie 2000 bis 2003. Dieses Muster würde ein Bärenmarkt-Tief im Herbst 2024 mit einem weiteren Verlust von 25% mit sich bringen. Wiederholungen von zeitnahen Mustern sehen wir jedoch kritisch. Es gibt schlichtweg keine Beispiele dafür, dass sich jüngere Bärenmarkt-Muster ähneln. Auf der Zeitebene lässt sich feststellen, dass wichtige Tiefpunkte häufig nach 21 bis 24 Monaten auftreten. In dieser Phase würde sich der aktuelle Verlauf jetzt befinden.
Zudem gilt, dass inflationsgetriebene Bärenmärkte wie Ende der 1940er Jahre und Ende der 1970er/Anfang der 1980er häufig besser abschneiden als diejenigen, die mit einer Deflation (z. B. 1929, 2007) verbunden sind. Die Bärenmärkte 1929 ff. oder 2000 ff. zogen sich über fast drei Jahre hin. Sie erreichten damit eine Rekordlänge, derjenige von 1929 auch eine Rekordtiefe (−89,2%, nicht im Chart).
Aufgrund der Erfahrung der Marktteilnehmer mit der New-Economy-Blase (−38% im Dow), der Finanzkrise (−54%) und der Coronapanik (−37%) könnte die Ansicht vorherrschen, dass eine Baisse beständig von großen Abwärtsbewegungen geprägt sein muss. Richtig ist, dass die Bärenmarkt-Verlaufsmuster über höchst unterschiedliche Korrekturtiefen verfügen. Die Dauer ist sich ähnlicher als die Korrekturtiefe.
Große Finanzkrisen selten
Große, systemische Krisen wie die Finanzkrise von 2007 bis 2009 sind kein Dauerstand, sondern seltene Ereignisse. Solche Krisen treten zweimal, möglicherweise dreimal pro Jahrhundert auf. Würde man den Zusammenbruch der New Economy mit einem Verlust des Nasdaq von 90% ebenfalls in den Rang einer systemischen Krise heben, so hätten die Märkte in der ersten Dekade bereits zwei Großereignisse abgearbeitet. Die dauerhafte Erwartung systemischer Krisen wird der Realität nicht gerecht.
Mit einem Q3-Wachstum von 5,4% (GDP Now) scheint eine Rezession nicht in unmittelbarer Nähe zu liegen. Auch der Abbau der Inversion der Zinsstrukturkurve als vielbeachtetes Anzeichen eines Rezessionsbeginns kann sich nur dann fortsetzen, wenn a) die Fed die Zinsen senkt oder b) die Renditen am langen Ende deutlich weiter steigen.
Wir beschreiben nachfolgend, welche Hinweise die Sektorenanalyse liefern kann. Wir haben uns die relative Performance von S&P-500-Sektoren zum S&P 500 um Rezessionen herum näher angeschaut. Relative Gewinner in Rezessionen sind Versorger, Basiskonsumgüter und das Gesundheitswesen.
Defensiver Run bleibt bisher aus
Diese Sektoren fungieren in Rezessionen als sichere Häfen, Fonds schichten dorthin um. Aktuell sehen wir in keinem dieser drei Sektoren eine überzeugende Bodenbildung oder einen V-förmigen Ansatz. Versuche ja, aber ein „direkter Run“ in diese Sektoren: nein. Es gilt darauf zu achten, ob diese Sektoren stärker werden.
Relative Verlierer in einer Rezession sind Energie, Finanzwerte und der Industriesektor. Die zyklischen Konsumgüter fallen vor dem Beginn einer Rezession. In der Rezession selbst versuchen sie sich zu stabilisieren und steigen aus der Rezession heraus an. Ähnliches gilt für die Tech-Werte. Nach dem Platzen der New-Economy-Blase im Jahr 2000 war die relative Performance in der 2001er Rezession schwach. Aber die relativen Verluste in der Finanzkrise waren gering, und in der kurzen Rezession von 2020 zeigten die Tech-Werte deutliche relative Stärke.
Grundstoffe als Signalgeber
Die Grundstoffe sind ein besonderer Sektor, der frühzeitig einen unteren Wendepunkt signalisiert und somit als Frühindikator auf das Ende einer Rezession hinweist. Man denke in diesem Zusammenhang auch an Frühindikatoren wie Kupfer oder Aluminium.
Es gilt, in den kommenden Wochen darauf zu achten, ob die Kombination einer relativen Schwäche des Energiesektors mit einer beginnenden relativen Stärke von Gesundheitswesen, Versorgern und Basiskonsumgütern auftritt. Wäre dies so, läge aus Sektorensicht ein Hinweis auf rezessive Tendenzen vor.
*) Robert Rethfeld ist Herausgeber des handelstäglichen Börsenbriefs Wellenreiter-Invest.