Bange Blicke auf China-Anleihen

Serie von Zahlungsausfällen belastet Corporate Bonds - Rückzugsgefechte bei Anlegern und Emittenten

Bange Blicke auf China-Anleihen

An Chinas Bondmärkten ist die Stimmung gereizt. Angesichts einer jüngsten Serie von Zahlungsausfällen bei Corporate Bonds und eines hohen Volumens anstehender Tilgungen im weiteren Jahresverlauf macht sich Verunsicherung bei den Anlegern breit. In einigen Sektoren ziehen die Spreads stark an, ein großer Knall, wie man ihn an Chinas Aktienmarkt erlebt hat, ist allerdings kaum zu befürchten.Von Norbert Hellmann, SchanghaiVon Chinas Bondmarkt heißt es gerne, er stecke noch in den Kinderschuhen. Nach einem rasanten Emissionswachstum in den letzten Jahren könnte man eher von einem aus allen Nähten platzenden und launischer werdenden Teenager sprechen. Die hormonellen Schübe scheinen sich im Segment der Unternehmensanleihen zu manifestieren, die mittlerweile bereits knapp ein Drittel des auf ein Volumen von 54 Bill. Yuan (7,3 Bill. Euro) angeschwollenen Marktes beanspruchen.Die institutionellen Anleger im Reich der Mitte sind wacher für drohende Risiken geworden. Seit dem Frühjahr beobachtet man einen generellen Renditeauftrieb, wachsende Spreads bei hochverzinslichen Anleihen und höhere Reposätze, die für eine nervöse Marktverfassung sprechen. Das lange währende Spielchen der sogenannten Carry Trades funktioniert damit nicht mehr so richtig. Dabei wussten die Investoren bisher einen Reibach im chinesischen Bondmarkt zu machen, indem sie sich zu relativ niedrigen Zinsen refinanzierten und in hochverzinsliche Anleihen gingen, deren Ausfallswahrscheinlichkeit dank einer impliziten staatlichen Auffanggarantie gering schien.Nach einem raschen Anstieg der Verschuldungsraten ist nun mehr Druck im Kessel. Die Gesamtverschuldung im Bezug zum BIP schnellte in einem ersten Schub zwischen Mitte 2008 und 2010 von 160 % auf gut 200 % in die Höhe und hat seit 2014 wieder kräftiger zugelegt. Dahinter steht nicht zuletzt eine kräftige Bondemissionswelle. Mittlerweile liegt man nach einer jüngsten Einschätzung des Institute of International Finance (IIF) bei 295 %, einem Niveau, bei dem im internationalen Vergleich in jedem Fall Alarmglocken zu schrillen beginnen (siehe Grafik). Weltrekord beim LeverageProblematisch ist dabei weder die Verschuldungsquote auf der zentralstaatlichen Ebene noch bei privaten Haushalten, sondern die des Unternehmenssektors mit pyramidonalen 175 % und einer möglichen Dunkelziffer als Zugabe. Nach Angaben des IIF stellt dies einen Weltrekord dar. Der Leverage der chinesischen Nichtfinanzunternehmen liegt nun etwa doppelt so hoch wie im Durchschnitt auf reiferen Industrieländermärkten bei etwa 87 %.Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich die Spannungen am chinesischen Bondmarkt in erster Linie bei Corporate Bonds manifestieren. Seit Frühjahrsbeginn hat es ein gutes Dutzend von Zahlungsausfällen gegeben. Die Palette der nicht bedienten Anleihen reicht vom Wurstfabrikanten über den Elektrokomponentenbauer bis zum Zementunternehmen und im Energie- und Rohstoffsektor vom Kohlegrubenbetreiber über den Stahlkocher bis zum Solarpaneelhersteller. Für reichlich Unruhe sorgt auch der staatliche Riese China Railway Materials, der heimische Bonds mit dem Hinweis auf “Rückzahlungsaspekte” vom Handel aussetzen ließ. Schweres TilgungsprogrammFür China stellt dies bereits eine ungewöhnliche Häufung von sogenannten “Credit Events” dar, und an den Märkten stellt man sich die Frage, ob es sich hier um einen vorübergehenden Liquiditätsdruck in einigen Sektoren oder aber die berühmte Spitze des Eisbergs handelt. Für Bedenken sorgt in jedem Fall ein hohes Volumen an auslaufenden Anleihen, die getilgt und refinanziert gehören. Der Mai gilt als ein besonders kritischer Monat, aber auch der Gesamtbetrag an bis zum Jahresende ausstehenden Tilgungen von noch rund 3,6 Bill. Yuan oder knapp 500 Mrd. Euro liegt deutlich höher als in den vergangenen Jahren. Dabei sorgen die erhöhte Volatilität im Markt und wachsende Risikoaufschläge dafür, dass zahlreiche potenzielle Emittenten Rückzieher machen und geplante Anleihen streichen.Im Umfeld von Chinas Partei und Regierung scheint sich ein Zwiespalt über die Notwendigkeit einer fortgesetzten verschuldungsbefeuerten Stimulierung der Konjunkturkräfte und einer gezielten Eindämmung des Leverage im Dienste der Finanzstabilität aufgetan zu haben. Es riecht nach einem Moratorium in Sachen geldpolitischer Lockerung und einer Bereinigungsoffensive bei unproduktiven Staatsbetrieben, die von der Regierung selbst als “Zombie-Firmen”, sprich wandelnde Tote bezeichnet werden. Gleichzeitig hat sich Peking mittlerweile der Sichtweise verschrieben, dass man mit einem alten Tabu brechen muss. Künftig sollen auch der staatlichen Sphäre zurechenbare Bondemittenten von einem Default oder auch Totalausfall der Anleihen betroffen sein können, ohne dass die üblichen Rettungsmanöver greifen.Dies ist freilich eher Theorie. In der Praxis sieht die Chose bislang noch recht harmlos aus. Im bisherigen Jahresverlauf zählt man insgesamt 27 “Credit Events” und 22 echte Zahlungsausfälle, bei denen ein Gesamtbetrag von 17,7 Mrd. Yuan (2,4 Mrd. Euro) im Feuer steht. Dies bedeutet einen Anteil am gesamten Volumen ausstehender Anleihen und Commercial Papers von 0,03 %. Bezogen auf das Volumen der in diesem Jahr fälligen Anleihen landet man ebenfalls bei einer noch minimalen Ausfallrate von 0,15 %.Abgesehen davon sieht es nicht danach aus, dass die Investoren bei den gegenwärtigen Problemfällen völlig leer ausgehen werden. Bei fünf der 22 betroffenen Unternehmen sind Anteilseigner oder kommunale Träger der Gesellschaften eingesprungen und haben für eine Kuponbedienung wie auch Tilgung gesorgt. In zwei weiteren Fällen wurden die Zinszahlungen wieder aufgenommen, und bei den übrigen 15 Adressen laufen noch Verhandlungen über eine Bereinigung der Situation. Auffanggarantie im FokusDass die Anleger dennoch nervöser geworden sind, liegt in erster Linie daran, dass etwa die Hälfte der mit einem Credit Event konfrontierten Firmen in irgendeiner Form einen staatlichen Hintergrund haben und entsprechend bange Fragen gestellt werden, ob die chinesische Regierung tatsächlich den Totalausfall einer Anleihe oder gar eine Insolvenz und Zerschlagung betroffener Firmen zulassen würde. Dann freilich wackelt die implizite Auffanggarantie und es müsste eine weiterführende Preisanpassung erfolgen, um das tatsächliche sektor- und adressenspezifische Credit Risk stärker zu reflektieren.Im Prinzip wäre dies eine wünschenswerte Entwicklung, um verzerrte Anreizeffekte (Moral Hazard) für die Begebung von Corporate Bonds und eine entsprechende Fehlallokation von Marktkapital zu vermeiden. Allerdings dürfte es noch ein weiter Weg sein, bis der chinesische Bondmarkt einen entsprechenden Reifeprozess vollzieht. Erratische Anpassungsschübe und auch Panikreaktionen sind damit zwar nicht ausgeschlossen, eine Lawine von Zahlungsausfällen aber wird Peking trotz aller Lippenbekenntnisse nie und nimmer zulassen.