Bei Bertrandt stottert der Motor nur kurz
Von Isabel Gomez, StuttgartDer Entwicklungsdienstleister für die Automobilindustrie Bertrandt ist eng mit Volkswagen verzahnt: Über die Tochter Porsche hält VW 29 % der Bertrandt-Anteile und im Geschäftsjahr 2014/15 erlöste Bertrandt mit zu VW gehörenden Unternehmen 388 von insgesamt 935 Mill. Euro Umsatz. Als Bertrandt Mitte August Zahlen für das dritte Quartal des am 30. September endenden Geschäftsjahres 2015/16 vorlegte, achteten die Analysten daher genau darauf, welche Auswirkungen der VW-Abgasskandal und die darauf folgende Neuaufstellung der Wolfsburger Entwicklungsabteilung sowie die Verschiebung von Kapazitätsabrufen auf die Geschäfte des Dienstleisters aus Ehningen hat.Der Umsatz war um 7,3 % gestiegen, das Betriebsergebnis war bei 62 Mill. Euro stabil, ebenso das Ergebnis nach Steuern bei 42 Mill. Euro. Allerdings war die operative Rendite mit 8,2 % für einige Beobachter enttäuschend. Jahrelang hatte Bertrandt ein Erlöswachstum von durchschnittlich 10 % und 10 % Umsatzrendite aufgewiesen. In den vergangenen Quartalen war die Kennziffer jedoch stets niedriger ausgefallen.Die Gründe dafür sind vielfältig. Da ist zum einen die erwähnte Verschiebung von Abrufen durch VW, die sich zuletzt auch bei anderen Zulieferern, die eng mit VW zusammenarbeiten, in den Bilanzen zeigte, etwa bei SHW aus Aalen. Zudem überprüft VW die Auftragsvergabe an externe Partner, was ebenfalls zu Verzögerungen führt. Bertrandt arbeitet mit VW-Unternehmen direkt bei der Entwicklung neuer Fahrzeugmodelle und Komponenten zusammen. Die Analysten von Lampe und Hauck & Aufhäuser sind sich einig, dass das VW-Problem ein vergängliches ist, zumal die Wolfsburger bis 2025 mehr als 25 neue, elektrisch betriebene Modelle auf den Markt bringen wollen und dafür einen Partner brauchen, der diese mitentwickelt.Zweiter Grund sind die Überkapazitäten im Zuliefermarkt generell, die auch Bertrandt als einen Grund für geringere Renditen angibt. Allerdings gibt es nur wenige Ingenieurbüros, die einen Komplettservice wie Bertrandt anbieten und sich darüber hinaus mit Angeboten aus dem Bereich Industrie 4.0 für die Luftfahrtindustrie oder die Medizintechnikbranche weitere Standbeine geschaffen haben, wie es Bertrandt derzeit tut. Die Analysten der DZ Bank verweisen in diesem Zusammenhang auf den Trend bei Autoherstellern, Themen, die extern vergeben werden, zu bündeln. Daraus resultiert ein Anstieg der Projektgröße und -laufzeit, der größeren Entwicklungsdienstleistern einen Vorteil gegenüber kleineren Wettbewerbern schafft.Mit Koch Engineering hat sich im Frühjahr bereits ein kleinerer, aber in der Industrie durchaus gut vernetzter Wettbewerber aus dem Großraum Stuttgart vom Markt verabschiedet und Insolvenz angemeldet. Koch hatte den harten Wettbewerb in der Industrie deutlich zu spüren bekommen – es seien Honorare im sechsstelligen Bereich nicht überwiesen worden, Mitarbeiter abgeworben und ein zugesagter Großauftrag zurückgezogen worden, äußerte sich Geschäftsführer Patrick Koch anschließend gegenüber Medien. Zu den Kunden gehörten Audi, Volkswagen, Bosch und Daimler. Gut möglich, dass Bertrandt direkt von dieser Pleite profitiert.Der dritte Grund für die in den letzten Quartalen gesunkene Rendite sind die hohen Investitionen, die Bertrandt in neue Werke und Anlagen getätigt hat. 186 Mill. Euro flossen in den vergangenen Jahren unter anderem in ein Batterietestzentrum, ein Testcenter in Mönsheim und zwei Akustikzentren in Ingolstadt und Sassenburg – Bertrandt erweitert dort, wo die Kunden sitzen, das wird durchaus honoriert. Im vergangenen Geschäftsjahr lagen die Investitionen bei 85 Mill. Euro, nach dem dritten Quartal 2015/16 waren es bereits 63,1 Mill. Euro. Bertrandt-Vorstandschef Dietmar Bichler zufolge werden die Investitionen Ende des Geschäftsjahres über Vorjahr liegen. Diese Anlagen hochzufahren dauert seine Zeit. Wenn Bertrandt die “Lernkurve bei neuen Großprojekten” durchschritten habe, werde das auch dazu beitragen, das mittelfristige Margenziel von 10 % wieder zu erreichen, so die LBBW.Das Erreichen dieser Marke dürfte auch dem Kurs der Bertrandt-Aktie Auftrieb verleihen, der binnen zwei Jahren nur um 0,5 % gestiegen ist. Im Vergleich mit dem Wettbewerber Edag, der im Dezember 2015 an die Börse ging, steht die Bertrandt-Aktie indes gut da: Während das Edag-Papier seither mehr als 30 % verlor, sind es bei Bertrandt nur knapp 12 %. Allerdings ist Edag mit einem laut Bloomberg-Daten im Schnitt einstelligen Kurs-Gewinn-Verhältnis günstiger bewertet als Bertrandt mit 16,2.Grundsätzlich ist das Umfeld für Bertrandt intakt: Motoren sollen immer sparsamer werden, durch den Dieselskandal rückt zudem die Elektromobilität in den Fokus, bei der sich Bertrandt gut aufgestellt sieht. Auch hält der Trend zur Modellvielfalt in der Branche an. Das Volumen, das deutsche Autohersteller jährlich für Forschung & Entwicklung ausgeben, liegt Bertrandt zufolge daher konstant bei über 30 Mrd. Euro. Rund 90 % der Umsätze macht Bertrandt mit der Automobilindustrie. Darüber hinaus sucht der Konzern neue Aufgaben in technologischen Schlüsselbranchen wie Medizin- und Elektrotechnik und entwickelt etwa Kabinen für die Luftfahrtindustrie. Auch das Angebot für Schienenfahrzeuge wurde im laufenden Jahr an den Standorten Berlin und Dresden ausgebaut.Den Ausbau kann sich Bertrandt nicht nur angesichts der strategischen Aktionäre Porsche und Boysen (15 %) leisten. Die Eigenkapitalquote lag zuletzt bei 47,1 %. Im Vergleich zum Vorjahr war sie gesunken, was an einem im November 2015 begebenen Schuldscheindarlehen von 200 Mill. Euro zur Investitionsfinanzierung lag. Ende 2015 verfügte Bertrandt zudem über eine Kreditlinie von 180 Mill. Euro, von der bis dahin 40 Mill. Euro genutzt worden waren. Von neun Analysten, die die Aktie beobachten, empfehlen sie sieben zum Kauf, zwei empfehlen, das Papier zu halten. Sie sehen im Schnitt ein jährliches Ertragspotenzial von 13 % und ein Kursziel von 113,44 Euro binnen 12 Monaten. Derzeit notiert die Aktie bei rund 97 Euro.