Ausblick

Bei Credits ist 2022 Wachsamkeit angezeigt

Einerseits sind die Auftragsbücher so voll wie die Kasse. Die Konjunkturprognosen zeigen Zuversicht für 2022. Andererseits haben die Risiken wieder deutlich zugenommen.

Bei Credits ist 2022 Wachsamkeit angezeigt

Von Gerhard Wolf*)

Kennen Sie das? „Stockender Verkehr auf der A…“ Abschnittsweise können Sie 80 bis 100 km/h fahren, aber mit wenig Abstand. Ganz plötzlich müssen Sie auf 30 km/h herunterbremsen. Aber es rollt. Ähnlich ergeht es gerade den Unternehmen im Industriebereich und den Investoren am Kapitalmarkt. Einerseits sind die Auftragsbücher so voll wie die Kasse. Die Konjunkturprognosen zeigen Zuversicht für 2022. Andererseits haben die Risiken wieder deutlich zugenommen.

Die Pandemie geht weiter. Eine Welle jagt die nächste. Dazu kommen steigende Inputkosten, Inflationssorgen, die anhaltenden Lieferkettenprobleme, die Halbleiterknappheit und Wachstumsprobleme in China. Gleichzeitig sind neue Herausforderungen zu stemmen, da in vielen Wirtschaftsbereichen der Umbau der Geschäftsmodelle zur Verbesserung der eigenen Umweltbilanz drängt.

Neue Unsicherheit

Ein Blick auf die Ausschläge der Credit Spreads zeigt die neu aufflammende Volatilität und Unsicherheit. Denn nach der weiteren Einengung der Bond Spreads im ersten Halbjahr und einer Seitwärtsentwicklung nach dem Sommer setzte Anfang September eine erneute Spreadeinengung um rund 10 Basispunkte (BP) auf 50 BP ein, aber im November entstand neuer Ausweitungsdruck auf mehr als 70 BP in der Spitze. Letztlich entsprach das Niveau kurz vor Weihnachten mit knapp 60 BP erneut dem Spread-Level von Ende August. In der aktuellen Situation daher einen positiven Blick nach vorne zu werfen, ist nicht einfach. Schaut man auf das nächste Jahr, so gibt es unseres Erachtens durchaus Zeichen der Hoffnung.

Die Unternehmen haben gelernt, mit Corona umzugehen. Hygienekonzepte, Testungen bis hin zu Firmenimpfungen ermöglichen weiterhin eine ordentliche Produktion. Die Probleme liegen in der Industrie woanders. Am meisten zu schaffen macht die Pandemie samt Mutationen dagegen den Dienstleistern sowie den Sektoren Konsum, Luftfahrt und Touristik, dort, wo es gerade erste Anzeichen der Besserung und Zuversicht gab.

Größte Herausforderung und kritischer Erfolgsfaktor im verarbeitenden Gewerbe ist die Stabilisierung der Lieferketten. Drei Viertel aller Industrieunternehmen in Deutschland klagten zuletzt über Engpässe und Probleme bei der Materialbeschaffung. Im April dieses Jahres waren es noch 45%, was damals schon im historischen Vergleich relativ hoch war. Die Materialknappheit betrifft nahezu alle Branchen. Seit Monaten am stärksten betroffen sind die Autoindustrie (88%), der Maschinenbau (86%) und die Elektroindustrie (85%). Gleichzeitig ist der Auftragsbestand sehr gut. Das wirkt sich auf die Preise aus. 56% der befragten Firmen wollen laut Ifo-Institut ihre Preise erhöhen.

Der Autosektor und der davon in gewissem Umfang auf der Absatzseite abhängige Stahlsektor dürften besonders exponiert bleiben. Wir erwarten eine nur schrittweise Verbesserung gegenüber dem Tiefpunkt bei Halbleitern im dritten Quartal 2021. Temporäre Produktionsausfälle sind 2022 im Autosektor weiterhin zu erwarten. Teilweise erfolgt eine Kompensation durch die Konzentration auf hochmargige Produkte. Gut für die Hersteller, was aber den Zulieferern nicht hilft.

Für die Industrie und den Bau erwarten wir eine sukzessive Verbesserung der Zuliefersituation. Mit einer Diversifikation der Zulieferkette und einer erhöhten Lagerhaltung soll das derzeit größte Geschäftsrisiko für 2022 limitiert werden. In diesem Fall ist fürs nächste Jahr aufgrund der angestauten Nachfrage und der niedrigen Lagerbestände mit einer guten Umsatzentwicklung zu rechnen.

Mit der steigenden Nachfrage bei gleichzeitig knappem Angebot kehrt ein lange nicht mehr erlebtes Problem zurück: Kosteninflation. Die Branchen Öl & Gas sowie Stahl & Mining profitieren grundsätzlich von hohen Energie- bzw. Rohstoffpreisen. Spürbare Preiskorrekturen sind aber ein Risikofaktor für 2022. Auf Healthcare & Pharma hat die Kosteninflation nur eine sehr geringe Auswirkung. Die zyklischen Branchen Auto, Industrie, Chemie und Bau dürften die Kosteninflation aufgrund der guten Auftragslage mit einem Zeitverzug weiterleiten. In Abhängigkeit der Marktposition und Durchlaufzeiten könnte aber ein zumindest temporärer Margendruck entstehen. Retail sowie Food & Beverages dürften die Kosteninflation ebenfalls in großem Umfang weitergeben können. Ein Showstopper dürfte dieses Thema für 2022 aber nicht werden.

Im Vergleich mit der Situation bei der Finanzkrise 2008/09 haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse, vor allem die Gewinne der Un­ternehmen deutlich schneller er­holt. Die positiven Überraschungen in den Finanzberichten der Unternehmen überwogen zuletzt. Hier scheint die Trendwende gelungen. Für 2022 erwarten wir bei Einzelunternehmen unserer Coverage im Durchschnitt ein Umsatzwachstum von 5,1%. Damit lässt die Wachstumsdynamik nach der Erholung 2021 zwar nach. Das Wachstum liegt aber immer noch deutlich über dem Vor-Corona-Jahr 2019 (da­mals 2,8%). Die Ebit-Marge dürfte 2022 nach unseren Schätzungen im Mittel nochmals leicht zulegen auf dann 12,8% (2021: 12,1%).

Nicht nur die Liquidität, auch die Refinanzierungsmöglichkeiten sind weiterhin gut. Zwar wurde 2021 mit knapp 440 Mrd. Euro etwas weniger als im Rekordjahr an Eurobonds emittiert. Aber steigende Bondfälligkeiten – 2022 sind dies 282 Mrd. Euro, 2023 dann erstmals über 300 Mrd. Euro, anziehende Investitionen und die in der Tendenz steigende Vorratshaltung lassen auch 2022 ein hohes Volumen an Neuemissionen erwarten. Wir rechnen erneut mit einer Bandbreite von 400 bis 450 Mrd. Euro. Der Anteil an ESG-Bonds wird unseres Erachtens weiter zunehmen. Nach 100 Mrd. Euro in diesem Jahr er­warten wir für 2022 eine Steigerung um 30%.

Angleichung der Sektoren

Die Differenzierung der einzelnen Sektoren hat sich stark verringert. Die Entwicklungen der Risikoaufschläge aller Branchen laufen stark parallel zueinander. Eine Differenzierung findet daher immer stärker über Laufzeiten und Bonitäten untereinander statt. Während Food & Beverages am meisten von längeren Laufzeiten beeinträchtigt würde, rechnen wir bei Autos mit einem höheren Renditepotenzial. Den höchsten Renditeaufschlag gegenüber dem Index bietet unseres Erachtens der Sektor Oil & Gas, auch weil hier höher rentierliche Hybride enthalten sind.

Zwar weisen die Spreads von zuletzt knapp 60 BP nur noch ein geringes Einengungspotenzial auf. Auch das Handeln der EZB in Sachen Tapering kann temporär be­lasten. Aber trotz vergleichsweise bescheidener Performanceaussichten bleiben Unternehmensanleihen immer noch das kleinere Übel in der Assetklasse der Credits. Und nach Überwindung eines möglicherweise harten Winters dürften die Un­ternehmen selbst auch wieder Gas geben können. Die Nachfrage ist da. Fundamental betrachtet ist also das Glas mindestens halb voll. Auf der Straße der Credit-Märkte gilt es je­doch, wachsam und aufmerksam zu fahren.

*) Gerhard Wolf ist Leiter der Gruppe Corporates im Research der Landesbank Baden-Württemberg.

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