Bei ESG-Corporates die Risiken im Blick behalten
Seit letztem Montag ist der europäische Credit-Markt um eine weitere Facette reicher. Mit dem Handelsstart für den iTraxx MSCI ESG Screened Europe Index hat Markit ein nach ESG-Kriterien gefiltertes Pendant zum seit vielen Jahren für das im europäischen Investment-Grade(IG)-Credit-Universum bewährten CDS-Index gestartet. Ob sich das Produkt zur effektiven Risikosteuerung von nachhaltigen Unternehmensanleiheportfolien in der Praxis einsetzen lässt oder nur zur Renditeverbesserung von Geldmarktprodukten dient, darf aber getrost bezweifelt werden. Starke Abweichung möglichWie beim iTraxx Europe bleibt das Grundproblem nämlich erhalten: hohe Abweichungsrisiken zum Anlageuniversum und damit im Krisenfall zum Teil erhebliche Unterschiede in der Wertentwicklung. Da der CDS-Markt in der Regel früher auf adverse Entwicklungen reagiert, können Grundportfolio und Absicherungsinstrument zum Teil sogar gleichläufige Wertentwicklungen aufweisen und damit den Portfoliomanager in arge Bedrängnis bringen.Dennoch passt der Produktstart gut ins Bild. Nicht nur, weil nachhaltige Strategien zunehmend auch im Corporate-Bond-Markt heimisch werden und entsprechende Produkte im Cash-Bereich aufgelegt werden; ein Trend, der sich dank zuletzt stabilerer Performance fortsetzen wird. Im Backtest wird auch dem iTraxx ESG Index im Vergleich zum Standardkontrakt eine bessere Wertentwicklung attestiert. Ebenso zeigen auch die Ergebnisse einer Analyse der BayernInvest, dass Unternehmensanleihen mit hohen ESG-Ratings im Vergleich zu schlechteren ESG-Ratings im Rahmen der Coronakrise eine robustere Wertentwicklung aufweisen konnten, so dass auch wir hier mit einer verstärkten Nachfrage rechnen.Der Produktstart passt aber noch aus einem weiteren Grund gut in die aktuelle Marktlage. Generell dürfte die Suche nach effektiven Absicherungsinstrumenten, die im Bedarfsfall eingesetzt werden können, wieder stärker in den Fokus rücken. Schließlich müssen in der Regel doch auch erst die erforderlichen internen Prozesse durchlaufen werden, bevor ein neues Instrument eingesetzt werden kann. Nach den Verwerfungen im ersten Quartal, den massiven Spread-Ausweitungen und der schnell verflogenen Liquidität am Sekundärmarkt werden sich Investoren und Portfoliomanager aber wohl nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass noch immer signifikante Risiken schwelen. Zumal sich seit März die Risikoaufschläge für europäische Unternehmensanleihen schon wieder deutlich eingeengt haben und der Spielraum für adverse Entwicklungen somit geringer ist. Lagen Ende März die Aufschläge von IG-Anleihen noch bei etwa 200 BP, ist diese mittlere Kompensation für die eingegangenen Credit-Risiken bereits wieder um knapp 100 BP gesunken. Im Juni konnten sich die Risikoaufschläge trotz hoher Neuemissionsvolumen erneut um rund 20 BP einengen.Die wirtschaftliche Aufhellung, die mit dem Abflauen der Corona-Pandemie in Europa eingesetzt hat und sich in verbesserten Geschäfts- und Konsumaussichten ausdrückt, war zusammen mit den schwindelerregenden Summen, die die Notenbanken in die Kapitalmärkte gepumpt haben, der maßgebliche Treiber hinter der Bewegung. Dass die US-Notenbank mittlerweile ihrerseits ihre Anleihekäufe auf Unternehmensanleihen ausgeweitet hat, sorgte im Juni für zusätzliche Dynamik auch hierzulande. Zuletzt sind aber auch unterinvestierte private Investoren wieder in den Markt zurückgekehrt. Die Fund-Flow-Statistiken weisen für Euro-IG-Corporate-Bond-Fonds auf aggregierter Ebene für dieses Jahr wieder Nettomittelzuflüsse aus, nachdem viele Investoren auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie im März den Ausgang gesucht hatten. Überschaubare EinengungMittlerweile stellt sich aber die Frage, woher positive Impulse kommen sollen, um eine weitere Spread-Einengung in den nächsten Monaten zu forcieren. Die BayernInvest geht bis Jahresende folgerichtig nur von einer überschaubaren Spread-Einengung aus. Noch kompensieren die am Markt offerierten Risikoaufschläge zwar die inhärenten Ausfallrisiken, bezüglich der wirtschaftlichen Aussichten sind die Kapitalmärkte aber schon vorausgeeilt und haben eine schnelle Erholung eingepreist. Zumindest das Risiko einer ungünstigeren Geschäftslage scheint in der aktuellen Stimmungslage des Credit-Marktes weitgehend vernachlässigt zu werden. Dass die Corona-Pandemie außerhalb Europas weiterhin schwelt und somit auch hierzulande eine zweite Welle möglich ist, steht außer Frage. Die Herabstufungswelle der Ratingagenturen hat sich zuletzt zwar ebenfalls verlangsamt. Dennoch dürfte sich die Bonitätseinschätzung noch für einige Unternehmen verschlechtern, und Anleger werden sich somit mit dem ein oder anderen gefallenen Engel noch beschäftigen müssen. Die Portfolien graduell wieder defensiver auszurichten und frühzeitig die Vorbereitungen zu treffen, um für adverse Entwicklungen gewappnet zu sein, ist daher in jedem Fall sinnvoll. Hedge unverzichtbarIn diesem Sinne wäre es wünschenswert, wenn sich der iTraxx ESG Index zu einem liquiden und effektiven Absicherungsinstrument entwickeln würde. Ähnliches gilt im Übrigen auch für andere Instrumente des Risikomanagements im europäischen Credit-Markt, die bislang ein Schattendasein fristen: Börsengehandelte Optionen auf Fixed-Income-ETFs, die das problematische Basisrisiko zwischen Anlageuniversum und Derivat weitgehend eliminieren, sind hier ebenso zu nennen wie Short- bzw. inverse ETFs auf Unternehmensanleiheindizes. Während ETFs im Aktienbereich mittlerweile bereits eine Rolle als Risikomanagement-Tool eingenommen haben, können diese im Credit-Markt aufgrund mangelnder Liquidität und damit verbundener hoher Kosten bislang kaum zur Risikosteuerung zum Einsatz kommen. Nach den Erfahrungen der letzten Monate könnte ein teurer oder ein schlechter Hedge für einige Investoren aber trotzdem noch immer attraktiver erscheinen, als gar keine Hedgemöglichkeit zu haben, wenn diese am meisten benötigt wird. Bernhard Grünäugl, Leiter Investment Strategy und ESG Research, Bayern-Invest Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH