GASTBEITRAG

Bei ESG die Anleger in den Mittelpunkt rücken

Börsen-Zeitung, 9.10.2020 Investitionen in nachhaltige Geldanlagen haben in Deutschland im vergangenen Jahr signifikant zugelegt. Mitunter herrscht jedoch Unsicherheit aufgrund der Vielfalt an Nachhaltigkeitsdefinitionen und Produkten. Ließe sich...

Bei ESG die Anleger in den Mittelpunkt rücken

Investitionen in nachhaltige Geldanlagen haben in Deutschland im vergangenen Jahr signifikant zugelegt. Mitunter herrscht jedoch Unsicherheit aufgrund der Vielfalt an Nachhaltigkeitsdefinitionen und Produkten. Ließe sich die Kommunikation von ESG-Standards verbessern?Gemäß Zahlen des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) stieg der Anteil nachhaltiger Geldanlagen in Deutschland im Jahr 2019 um über 20 % auf knapp 270 Mrd. Euro. Die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage unter 2 900 Mitgliedern des CFA Institute legen nahe, dass in Europa fast jeder zweite professionelle Investor Klimakriterien in seine Investments einbezieht. Umweltaspekte sowie soziale und auf eine verantwortungsvolle Unternehmensführung bezogene Kriterien (ESG) werden sowohl aus politischen als auch aus Nachfragegründen nachweislich bedeutsamer für die Kapitalanlage. Welche vertrauenswürdigen Produkte die Bezeichnung “nachhaltig” tatsächlich verdienen, dazu besteht – angesichts einer (verwirrenden) Heterogenität an Konzepten und Zertifizierungen – vielerorts dagegen Aufklärungspotenzial. Woran es mangeltDie Europäische Aufsichtsbehörden arbeiten derzeit an ESG-Standards beziehungsweise deren Offenlegung und Harmonisierung. Eine Konsultationsphase zur Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) endete letzten Monat. Das Feedback der Marktteilnehmer zum Klassifizierungssystem (sogenannte Taxonomie) bezieht sich vornehmlich auf Fragen nach Maß und Praktikabilität der Regulierung sowie auf Aspekte der Materialität (Risikorelevanz und Effekte von ESG-Kriterien auf die finanzielle Performance eines Unternehmens). Das CFA Institute spricht sich zudem dafür aus, die Investorenseite, also die Sicht der Anleger und deren Bedürfnisse, bei der Gestaltung der ESG-Taxonomie bestmöglich zu adressieren.Der Principles for Responsible Investment-Initiative der UN, die ins Leben gerufen wurde, um Grundsätze für verantwortliches Investment Management zu entwickeln, sind bislang mehr als 2 500 institutionelle Investoren beigetreten, die ein Vermögen in Höhe von mehr als 75 Bill. Euro verwalten. Auf der Klimakonferenz in Paris im Jahr 2015 hat sich die UN auf 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals) verständigt. Diese Ansatzpunkte betreffen die Realwirtschaft in ihren wirtschaftlichen Aktivitäten. Sie betreffen jedoch auch die Finanzindustrie. Beinahe die Hälfte (47 %) der Teilnehmer unserer Umfrage berichtet, dass die Berücksichtigung von Klimakriterien zunehmend von der Kundenseite eingefordert wird. Neben dieser Nachfrageseite gibt es eine politische Dimension: Ein übergeordnetes Ziel ist es, Finanzströme und Klimaziele, also Hinwendung zu emissionsarmen und weg von kohlenstoffintensiven Aktivitäten, bei der Gestaltung der Globalisierung besser in Einklang zu bringen. Während wir einer erzwungenen Umlenkung skeptisch gegenüberstehen, so ist es die ureigene Rolle der Finanzindustrie, Kapital effizient in produktive Verwendungen für Realwirtschaft und Gesamtgesellschaft zu führen. Um dabei Nachhaltigkeits- und Klimakriterien zu berücksichtigen, bedarf es einer ausreichenden Datenlage sowie einer wirksamen Kommunikation zwischen Anbietern und Anlegern.Investoren setzen an das Thema Nachhaltigkeit bei den unternehmerischen Aktivitäten ihrer Investments unterschiedliche Kriterien an. Ebenso unterschiedlich sind ihre Motive bei den ESG-bezogenen Investments selbst. Entlang typischer Fragestellungen und Nachfragemerkmale, die sich im Dialog aus Anbietern, Beratern und Anleger ergeben, sollte aus Sicht des CFA Institute abgeleitet und definiert werden, welche Informationen über Ziele, Anlagepolitik und Einschränkungen – und in welcher Form – effektiv bereitzustellen sind. So geht es einigen Investoren dezidiert um Risiko-Ertrags-Kennzahlen oder bestimmte Erwartungen, die sie an einzelne ESG-nahe Sektoren oder wirtschaftliche Trends knüpfen. Andere Anleger erhoffen sich über bestimmte Ausschlusskriterien einen Abgleich mit der Berücksichtigung ihrer eigenen – etwa ethischen – Überzeugungen oder positive Wirkungen auf übergeordnete ökologische oder soziale Themen. Wiederum andere Investoren müssen bestimmte Anlagerestriktionen ihrer Organisationen berücksichtigen. Konsultation bis 19. OktoberDas CFA Institute bringt daher einige Empfehlungen in den Diskurs ein und begrüßt Feedback und Kommentare der Börsen-Zeitung-Leser im Rahmen einer offenen Konsultation (www.cfainstitute.org/en/ethics-standards/codes/esg-standards) bis zum 19. Oktober 2020. Dabei soll es nicht um ein weiteres Rating oder Gütesiegel für Unternehmen und Emittenten gehen. Vielmehr soll Vermögensverwaltern und Investmentmanagement-Häusern eine Orientierung geboten werden, wie sie Strategien und Fonds erklärbar und vergleichbar sowie ESG-bezogene Anlagemerkmale klar kommunizierbar machen.Davon sollte der Endinvestor profitieren, da diese Form der Offenlegung den Anspruch verfolgt, auch einer unabhängigen Überprüfung Dritter standzuhalten. Chris Fidler, Senior Director, Global Industry Standards, CFA Institute und Susan Spinner, Geschäftsführender Vorstand, CFA Society Germany