Berechtigte Tapering-Sorgen
Von Martin Hochstein*)
„Falls wir eine weitere Verbesserung (am Arbeitsmarkt) sehen und glauben, dass diese nachhaltig ist, könnten wir in den kommenden geldpolitischen Sitzungen eine Reduzierung unserer Anleihenkäufe beschließen.“ Die Ankündigung einer möglichen Verlangsamung der geldpolitischen Unterstützungsmaßnahmen durch den damaligen Fed-Vorsitzenden Ben Bernanke schickte im Mai 2013 Schockwellen durch die globalen Finanzmärkte. Der hieraus resultierende, sprunghafte Anstieg der langfristigen US-Staatsanleiherenditen führte vor dem Hintergrund steigender Volatilitäten auch an den globalen Aktien- und Unternehmensanleihemärkten zu spürbaren Korrekturen. Der Dollar zeigte in dieser Periode zwei Gesichter: Eine Aufwertung gegenüber Emerging-Market- und Rohstoffwährungen kontrastierte mit einer Abwertung gegenüber anderen Reservewährungen wie Euro, Yen und Schweizer Franken. Auch mit Blick auf die negativen Erfahrungen dieser Episode versucht die Federal Reserve aktuell, eine Wiederholung des sogenannten „Taper Tantrum“ unter allen Umständen zu vermeiden. Die Mitte Juni begonnene Diskussion über eine Modifizierung des Anleihekaufprogramms soll für die Öffentlichkeit transparent und nachvollziehbar geführt und der Einstieg in den Ausstieg aus den aktuellen Anleihekäufen (neudeutsch: Tapering) mit ausreichender Vorlaufzeit angekündigt werden.
Zwar haben die Finanzmärkte bislang weitgehend gelassen auf das drohende Abebben des geldpolitischen Stimulus in den USA reagiert, auf Sicht der kommenden Monate bleiben die hiermit verbundenen Risiken aber virulent. Insofern lohnt sich für Investoren und Devisenmarktteilnehmer der Blick auf mögliche Rückschlüsse, die sich aus den Ereignissen von 2013 für das aktuelle Umfeld ziehen lassen.
Erstens, mangelhafte Kommunikation. Im Kern wurden die Finanzmarktturbulenzen vor acht Jahren durch eine Aneinanderreihung kommunikativer Fehler der US-Notenbank ausgelöst. In der Frühphase der Normalisierungsdiskussion gelang es nicht, das Tapering als schrittweise Reduzierung einer weiterhin expansiven Geldpolitik darzustellen.
Vielmehr interpretierten die Finanzmärkte dies als Auftakt einer restriktiveren Geldpolitik und preisten deutliche Leitzinserhöhungen auf Sicht der folgenden zwei Jahre ein. Vor einem ähnlichen Dilemma könnte auch der derzeitige Fed-Chef Jerome Powell stehen. Bereits auf der Juni-Sitzung der Fed wurden die Diskussionen über die Zukunft der Anleihekäufe von ersten Signalen möglicher Leitzinserhöhungen spätestens im Jahr 2023 überlagert.
Zweitens, reaktivere geldpolitische Ausrichtung. Mit dem Übergang zu einem durchschnittlichen Inflationsziel bestätigte die Federal Reserve im August 2020 ihre Bereitschaft, künftig ein temporäres und moderates Überschießen der Güter- und Dienstleistungspreise zuzulassen. Vor dem Hintergrund derzeit stark steigender Inflationsraten, die von der Fed als nur vorübergehendes Phänomen angesehen werden, sind auch die Risiken von Politikfehlern gestiegen. Sollte der Preisanstieg nachhaltiger als erwartet ausfallen, wäre eine reaktive Geldpolitik letztlich zu deutlich stärkeren Bremsmanövern gezwungen, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf Konjunktur und Assetmärkte.
Drittens, monetäre Entzugserscheinungen. Trotz des im Vergleich zu 2013 geringeren Überraschungspotenzials könnte ein Abebben des monetären Stimulus aktuell ähnliche Konsequenzen haben. Im Zuge der beispiellosen geld- und fiskalpolitischen Hilfsmaßnahmen zur Überwindung der Covid-19-Rezession ist die Liquiditäts- und Stimulusabhängigkeit der Finanzmärkte weiter gestiegen. Ein graduelles Auslaufen dieser Maßnahmen als erster Schritt in Richtung Normalisierung könnte auf Anlegerseite zu einem Realitätscheck und einer defensiveren Ausrichtung führen.
Viertens, höhere Anfälligkeit. Im Gegensatz zur damaligen Tapering-Episode befinden sich insbesondere die Aktienmärkte derzeit auf deutlich ambitionierteren Bewertungsniveaus. So weisen US-Aktien ein zyklus-adjustiertes Kurs-Gewinn-Verhältnis auf, das lediglich in der Hochphase der Technologieblase zur Jahrtausendwende übertroffen wurde. Vor diesem Hintergrund dürften Schocks in den kommenden Monaten deutlich schwerer zu verkraften sein. Insgesamt steht die US-Notenbank somit im zweiten Halbjahr vor einem Drahtseilakt, um die ersten Schritte in Richtung Ausstieg aus der Krisenpolitik unfallfrei einzuleiten.
Unterschiedliche Impulse
Aus all dem könnten sich für die Währungsmärkte im Allgemeinen und den Dollar im Besonderen unterschiedliche Impulse ergeben. Bei einem erfolgreichen Beginn der monetären Normalisierung und dem Ausbleiben eines erneuten „Taper Tantrum“ dürfte der Greenback vor dem Hintergrund der bestehenden langfristigen Überbewertung, struktureller Anfälligkeiten (US-Zwillingsdefizit), einer auslaufenden konjunkturellen Sonderstellung der USA und einer niedrigen Risikoaversion an den Finanzmärkten auf Sicht der nächsten Monate tendenziell abwerten. Bei einem disruptiven und volatilen Normalisierungsprozess wäre hingegen mit einem festeren Dollar insbesondere gegenüber vielen Schwellenländerwährungen zu rechnen. Als Haupttreiber hierfür könnten sich analog zu 2013 das Einpreisen signifikanter Fed-Leitzinserhöhungen und ein zu starker bzw. schneller Anstieg der langfristigen US-Realrenditen herausstellen. Im Falle einer nachhaltigen Ausweitung der Zinsdifferenzen dürften andere Reservewährungen allerdings nur temporär von einer Flucht in die Qualität profitieren.
*) Martin Hochstein ist Senior Investment Strategist bei Allianz Global Investors.