Bitcoin im Bann des Halvings

Mechanismus verknappt Angebot an Kryptowährung - Anleger spekulieren auf Kursexplosion

Bitcoin im Bann des Halvings

Das sogenannte Halving beim Bitcoin regt die Fantasie der Krypto-Investoren an. Sie erhoffen sich durch die Angebotsverknappung Kurssteigerungen – langfristig dürfte die Entwicklung der Nachfrage laut Experten aber die entscheidende Rolle für den Bitcoin spielen. Und diese hängt von mehreren Faktoren ab. Von Alex Wehnert, FrankfurtEs ist ein Ereignis, das bei den Teilnehmern am Markt für Kryptowährungen seit Monaten für Spekulationen sorgt: Voraussichtlich am 12. Mai findet das sogenannte Halving des Bitcoin statt. Dabei wird die Blockbelohnung, also der Betrag, den Miner für das Schürfen eines Blocks erhalten, auf 6,25 Bitcoins halbiert. Damit sinkt auch die Menge an neu produzierten Einheiten der Kryptowährung.”Die elektronisch erzeugte Knappheit ist das zentrale Fundament von Bitcoin”, sagt Philipp Sandner, der das Blockchain Center an der Frankfurt School of Finance leitet. Der Professor rechnet damit, dass der Kurs der Kryptowährung in den Monaten nach der Halbierung signifikant steigen wird. “Am Tag des Halvings selbst wird aber wohl noch keinerlei positiver Effekt zu sehen sein”, prognostiziert Sandner. Im Gegenteil seien sogar kurzfristige Preisstürze möglich, da um das Ereignis bereits im Vorfeld ein starker Hype herrsche und viele unerfahrenere Anleger aus Enttäuschung Bitcoins verkaufen könnten, wenn sich keine sofortige Wirkung auf den Kurs zeige. Zudem sei aktuell bereits viel des kurzfristigen Effekts der Halbierung im Kurs eingepreist – wie viel, sei aufgrund des vorherigen starken Verlustes im Zuge der Corona-Pandemie aber äußerst schwer zu prognostizieren.Denn an der äußerst wechselvollen Kursentwicklung in den ersten Monaten des Jahres zeigt sich, dass der Handel mit der populärsten Kryptowährung nicht völlig entkoppelt vom sonstigen Geschehen an den internationalen Finanzmärkten verläuft. War der Bitcoin am ersten Januar noch 7 168,36 Dollar wert, kletterte er bis zum 14. Februar auf 10 364,04 Dollar, rutschte daraufhin allerdings auf 4 841,67 Dollar ab.Einerseits sind laut Sandner immer noch sehr wenige Investoren im Detail über Kryptowährungen informiert und kommen deshalb bisher noch nicht auf die Idee, den Bitcoin als Mittel zur Wertsicherung zu kaufen. Andererseits zieht der Experte eine Parallele zwischen dem Bitcoin-Kurs und dem Goldpreis. Der zwischenzeitliche Absturz beider sei auf eine größere Liquiditätskrise und Panikverkäufe an den Finanzmärkten zurückzuführen. Heißt: Viele Anleger benötigten dringend Bargeld und verkauften deshalb Gold und Bitcoin – und weil sie gegenüber den Käufern in großer Mehrheit waren, unterboten sie sich gegenseitig beim Verkaufspreis. Dies führte zu einer Abwärtsspirale der Kurse.Allerdings zeige der Verlauf der Finanzkrise 2008 auch, dass Gold über die gesamte Länge der Depression durchaus als Krisenzuflucht für Vermögen gewirkt habe. “Genau diesem Muster könnte nun auch der Bitcoin folgen”, sagt Sandner. Eine signifikante Aufwertung der Kryptowährung prognostiziert der Experte allerdings frühestens für das dritte Quartal des laufenden Jahres. Letzter Bitcoin entsteht 2140Tatsächlich hat sich die Kryptowährung bereits stark von ihren Tiefs erholt: Gestern Abend notierte der Bitcoin auf 8826,92 Dollar – seit Jahresbeginn gerechnet hat er damit um 23,1 % zugelegt. Der gewichtigste Faktor für den Kurssprung dürfte vorerst allerdings die Antizipation des Halvings sein. Ein solches Ereignis findet nach jeweils 210 000 geschürften Blöcken statt, nach bisherigem Tempo also knapp alle vier Jahre. Die Gesamtmenge an Bitcoin ist vom Erfinder auf 21 Millionen Einheiten beschränkt, mehr als 18,3 Millionen davon zirkulieren bereits. Voraussichtlich wird der letzte Bitcoin also im Jahr 2140 geschürft werden. Die Verknappung des Angebots treibt Spekulationen, denn viele Teilnehmer am Kryptomarkt beziehen sich in ihren Erwartungen auf das sogenannte Stock-to-Flow-Modell.Dieses wird üblicherweise bei der Bewertung von Rohstoffen angewendet und setzt den Bestand (“Stock”) eines Wertes in Relation zur Produktionsmenge (“Flow”), bei Gold wird zumeist die jährliche Förderung ver-wendet. Der so errechnete Quotient bildet den Zeitraum ab, in dem der Bestand bei derzeitiger Produktionsmenge wieder erreicht würde. Je höher die Kennzahl, desto knapper und damit werthaltiger ist die Ressource laut Modell. Wird die Menge an neuen Bitcoins verknappt, erhöht sich der Quotient, aus Sicht vieler Marktteilnehmer wird der Bitcoin-Kauf in der Folge attraktiver.”Letztlich ist der auf Basis des Stock-to-Flow-Modells zustande kommende Preis aber ein Wunschwert”, sagt Sandner. Die BayernLB beispielsweise hat im Rahmen einer Ende September 2019 veröffentlichten Studie anhand des Stock-to-Flow-Modells berechnet, dass der Bitcoin Ende 2020 auf 90 000 Dollar notieren müsste – gegenüber gestern Abend würde sich der Wert der Kryptowährung damit mehr als verzehnfachen.Sandner rät aufgrund solcher Zahlen zur Vorsicht im Umgang mit dem Modell. Schließlich sei die Menge an verfügbaren Bitcoins und die Ausgaberate per Protokoll vordefiniert. Da dies für Investoren transparent sei, greife das Argument, dass Änderungen auf der Angebotsseite einen signifikanten Effekt auf den Preis hätten, nur bedingt. “Der Kurs wird meines Erachtens entscheidend von der Nachfrageseite beeinflusst”, sagt Sandner. Im Unterschied zum Gold sei der Bitcoin allerdings noch sehr unbekannt, die Analogie zwischen dem Edelmetall und der Kryptowährung hätten bisher nur wenige Anleger verstanden.Eine langfristige Preissteigerung ist also davon abhängig, ob das Wissen der Anleger über den Kryptomarkt steigt. Laut Sandner wird das Interesse am Bitcoin immer größer. Das belegt auch eine Suche auf Google Trends. Der Datendienst zeigt die Beliebtheit eines Suchbegriffes auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten an, die 100 Punkte markieren dabei die höchste im Betrachtungszeitraum gemessene Beliebtheit. Lag der globale Wert für den Suchbegriff “Bitcoin Halving” zu Jahresbeginn noch bei sieben Punkten, erreichte er im Zeitraum zwischen dem 19. und 25. April 54 Punkte. Für die jüngste Berichtswoche sind auf Trends zwar nur unvollständige Daten verfügbar, laut diesen hat die Beliebtheit des Suchbegriffes aktuell aber ihr Allzeithoch erreicht. Damit hat sich das Interesse gegenüber dem Höchstwert des Jahres 2016, in dem das vorherige Halving stattfand, offenbar mehr als verdreifacht.Im Vergleich zu anderen Kryptowährungen wie dem Litecoin oder Ripple ist der Bitcoin in der öffentlichen Wahrnehmung ohnehin schon extrem präsent. Die Popularität speist sich vor allem aus Preissprüngen wie dem im Jahr 2017, als der Bitcoin kurzfristig auf über 20 000 Dollar notierte. Stand April beläuft sich die Marktkapitalisierung des Bitcoin laut dem Informationsdienstleister Bloomberg auf 161,3 Mrd. Dollar. Alle anderen Kryptowährungen sind bei diesem Wert deutlich abgeschlagen: Die Marktkapitalisierung des Zweitplatzierten, Ethereum, beträgt nur 23,3 Mrd. Dollar, danach kommt lange nichts. Dass eine der jüngeren Kryptowährungen dem Primus den Rang abläuft, halten Experten für sehr unwahrscheinlich. Koexistenz mit LibraAuch die von Facebook geplante Digitalwährung Libra, die noch im laufenden Jahr auf den Markt kommen soll, stellt laut Sandner keine Konkurrenz für den Bitcoin dar. “Libra könnte eine generische Plattform für Währungen aller Art werden”, sagt der Blockchain-Forscher. Die Geldmenge der auf Libra abgebildeten Währungen sei flexibel, da sie von den Zentralbanken wie seit jeher verändert werden könne. Zielsetzung von Währungen sei es, stabile Preise zu erreichen. Der Bitcoin hingegen werde künftig aufgrund des stabilen Angebots als Wertaufbewahrungsmittel verstanden werden. Die populärste Kryptowährung und Facebooks Digitalangebot könnten daher komplementär funktionieren.