Börsen-Nachzügler Hongkong kommt endlich in Fahrt
Börsen-Nachzügler Hongkong kommt endlich in Fahrt
Stramme Aktienrally im Mai führt aus dem Jammertal – Tech-Aktien machen wieder Freude – Bewertungsniveau wirkt noch einladend
An Chinas Börsen macht sich ein gestärktes Anlegersentiment breit. Im Hongkonger Markt ist regelrechte Bullenstimmung angesagt. Die im April losgetretene Rally zeigt längeren Atem, denn es gibt noch reichlich Bewertungsrückstände aufzuholen. Hoffnung machen diesbezüglich insbesondere chinesische Tech-Werte.
Von Norbert Hellmann, Schanghai
An der Hongkonger Börse hat sich der bekanntermaßen als harzig geltende Mai zum Wonnemonat gemausert. Chinesische Aktien profitieren von einer Stärkung des Investorenvertrauens. Es fußt nicht zuletzt auf wirtschaftspolitischen Stimulus-Aktionen der chinesischen Regierung. Sie vermitteln den Eindruck, dass der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft nach solidem Auftakt im ersten Quartal anders als im vergangenen Jahr nicht rasch wieder die Puste ausgeht.
Hang Seng dreht auf
Insbesondere an der Hongkonger Börse, wo der Leitindex Hang Seng im vergangenen Jahr auf Tuchfühlung zum Niveau der globalen Finanzkrise gegangen war, spürt man gewaltiges Momentum. In Verbindung mit wieder anziehenden Unternehmensgewinnen in China gelten Hongkonger Aktien als besonders gut positioniert, um eine erhoffte zyklische Wende in China voll einzufangen. Binnen der letzten fünf Wochen konnte der Leitindex Hang Seng bei deutlich gesteigerten Handelsvolumina um glatt 16% zulegen. Damit hebt sich der Hongkonger Markt auch positiv gegenüber dem Blue-Chip-Index CSI 300 für die Festlandbörsen ab. Im selben Zeitraum wurde dort ein wesentlich bescheideneres Plus von gut 3% verbucht.
Geduldsprobe überstanden
Nach drei aufeinanderfolgenden Jahren mit negativer Performance und extrem schwachen Bewertungsrelationen hatten die Experten für 2024 von vornherein eine kräftige Erholungsbewegung auf dem Zettel. Es war allerdings Geduld vonnöten. Chinas Festlandaktien konnten von Februar an durch eine massive staatliche Stützungskampagne wieder aus einer schweren Delle befreit werden. Der Hongkonger Markt profitierte nur in geringem Maße von der Aktion. Noch bis zur Aprilmitte erwies man sich als Performance-Schlusslicht unter den asiatischen Handelsplätzen. Dann aber ging die Post ab.
Trumpfkarte Hongkong-Dollar
Die Hausse in Hongkong ist von einer Renaissance chinesischer Tech-Riesen wie Alibaba, Baidu, Meituan und allen voran Tencent begünstigt worden. Außerdem scheinen Festlandinvestoren über die sogenannte Südschiene des Handelsverknüpfungssystems Stock Connect besonders kräftig auf dem Hongkonger Markt zuzuschlagen. Dies hat nicht zuletzt auch mit einem Wechselkurskalkül zu tun.
Der Hongkong-Dollar ist durch seine Quasi-Festkursanbindung an den US-Dollar als praktisch einzige asiatische Währung von der kräftigen Aufwertung des Greenback isoliert geblieben. Damit haben auch verringerte Aussichten auf eine rasche Zinssenkung in den USA den Hongkonger Markt kaum beeindruckt.
Für Festlandinvestoren ist dies erst recht ein Anlass, sogenannte H-Aktien, also in Hongkong gelistete chinesische Unternehmenswerte, zu favorisieren. Im bisherigen Jahresverlauf haben sich die durchschnittlichen Engagements via Stock Connect gegenüber der Vorjahresperiode fast verdoppelt. Der chinesische Yuan nämlich steht weiterhin gegenüber dem Dollar unter Druck und hat im Kalenderjahr nochmals 2% abgegeben.
Yuan-Volatilität verunsichert
Die Zentralbank ist im Zuge der schleppenden Kreditnachfrage in China dazu angehalten, die geldpolitischen Zügel so locker wie möglich zu lassen, und liebäugelt mit Zinssenkungen. Zuletzt gab es sogar Spekulationen darüber, dass der Währungshüter beim Referenzkurs des Yuan zum Dollar eine kategorische Abwertung forcieren könnte, um Chinas Exportperspektiven weiter anzuschieben. In jedem Fall trägt die erhöhte Yuan-Volatilität zur Attraktivität der im HK-Dollar notierenden H-Aktien bei.
Zahmes KGV
Auch nach der jüngsten Rally stellt sich das Bewertungsniveau noch immer sehr einladend dar. Für den Hang Seng sieht man gegenwärtig ein Kurs-Gewinn-Verhältnis vom durchschnittlich 9,9-Fachen der erwarteten Gewinne. Damit ist noch ein deutlicher Abstand zum KGV für den CSI 300 bei zuletzt 14,3 gewahrt. Verglichen mit dem S&P-500-Index an der Wall Street, dessen durchschnittliches KGV beim 23,3-Fachen liegt, wirkt die Bewertung in Hongkong erst recht zahm.
Billige Tech-Aktien
Der Blick auf die KGV-Verhältnisse lässt auch chinesische Tech-Aktien noch äußerst billig wirken. Im Frühjahr vergangen Jahres lag das KGV in 12-Monats-Sicht für die im Hang-Seng Tech-Index vertretenen chinesischen Sektor-Werte mit rund 23 ungefähr gleichauf mit den US-Papieren im Nasdaq 100. Dann aber öffnete sich die Schere gewaltig, weil die chinesischen Titel zu Beginn des Jahres auf ein Niveau von etwa 13 abrutschten. Nun haben sich chinesische Tech-Aktien wieder auf ein KGV von rund 18 berappelt, liegen damit aber noch weit unter der Bewertungsmarke im Nasdag 100 von mehr als 25.
Ausländer kommen zurück
Ob Tech-Fantasie ausreicht, um ausländische Investoren bei der Stange zu halten, steht auf einem anderen Blatt. Seit Wochen registriert man durchweg wieder positive Zuflüsse seitens ausländischer Konten. Nachdem China in Portfolio-Strategien für Asien insbesondere gegenüber Japan und Indien stark zurückgefallen war, neigen globale Investmentbanken, darunter Goldman Sachs, J.P. Morgan und UBS, wieder zur Empfehlung „übergewichten“ für China-Aktien.
Konsumschwäche macht skeptisch
Aufgrund der Bewertungsrelationen wird der Hongkong-Rally durchaus ein längerer Atem zugetraut. Hinsichtlich Chinas Konjunkturperspektiven und der Stabilisierung des Immobilienmarktes ist man aufgrund des noch dürftigen Konsumtrends allerdings noch vorsichtig gestimmt. Die „Beweislage“ zu Chinas Konjunkturerholung wirkt noch zu ungenügend, um auch bei ausländischen Investoren einen Begeisterungsfunken zu zünden.