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Bondakteure stellen sich auf niedrige Inflation ein

Von Michael Klawitter *) Börsen-Zeitung, 12.5.2016 In einem Umfeld von niedrigem Wirtschaftswachstum und hohen freien Kapazitäten wird die Inflation in der Eurozone auf absehbare Zeit niedrig und deutlich unter 2 % bleiben. Aus Sicht der Bondmärkte...

Bondakteure stellen sich auf niedrige Inflation ein

Von Michael Klawitter *)In einem Umfeld von niedrigem Wirtschaftswachstum und hohen freien Kapazitäten wird die Inflation in der Eurozone auf absehbare Zeit niedrig und deutlich unter 2 % bleiben. Aus Sicht der Bondmärkte entscheidend ist jedoch, ob die aktuell vom Markt eingepreisten Deflationsrisiken realistisch sind. Hier sind Zweifel angebracht. Die langfristigen Inflationserwartungen in der Eurozone stehen mit etwa 1,47 % für die 5-Jahre-5-Jahre-Inflationsforwards deutlich unter der Zielmarke der Europäischen Zentralbank EZB (2 %). Sorgen über DeflationFür kürzere Zeiträume sind die Inflationserwartungen weitaus niedriger und deuten auf gewisse Deflationssorgen hin. So preisen die Inflationsforwards für die zwölf Monate zwischen Mai 2017 und Mai 2018 eine Jahresinflation von 0,73 % ein. Selbst in vier Jahren geht der Markt noch davon aus, dass die Jahresinflation in den daran anschließenden zwölf Monaten (Mai 2020 bis Mai 2021) knapp unter 1 % verharren wird. Während die Einjahresinflationserwartungen in der Vergangenheit durchaus volatil waren, unterstreicht die recht stetige Abwärtsbewegung der längeren Inflationsforwards während der vergangenen Jahre das geringe Vertrauen der Marktteilnehmer, dass die EZB mit ihren Anstrengungen, die Inflationsrate in Richtung Zielmarke anzuheben, Erfolg haben wird.Daraus abgeleitet sind die Erwartungen im Markt, dass die EZB ihre aktuelle ultraexpansive Geldpolitik auf absehbare Zeit fortsetzen oder sogar noch steigern wird. So reflektieren die 1-Jahre-1-Jahre-Eonia-Forwards mit – 0,44 % eine Wahrscheinlichkeit von etwa 15 %, dass die EZB während der nächsten zwölf Monate den Einlagensatz noch weiter absenken wird. Gleichzeitig wird ein Auslaufen bzw. Ende der Anleihekäufe der EZB ab März 2017 allgemein nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Starke AuswirkungenSollten sich diese Inflationserwartungen als zu niedrig erweisen und nach oben revidiert werden müssen, dürfte dies eine Diskussion innerhalb des EZB-Rats um die Halbwertszeit der ultraexpansiven Geldpolitik nach sich ziehen. Die Marktauswirkungen wären voraussichtlich immens, da Investoren vor allem aufgrund der Erwartungen an eine auf absehbare Zeit unverändert expansive EZB-Geldpolitik sowohl bei Duration (Kapitalbindungsdauer) als auch bei risikobehafteten Assets massive Long-Positionen eingegangen sind.Ein Grund für die niedrigen Inflationserwartungen ist die Energiepreisentwicklung der vergangenen Jahre. Auch wenn die Energiekomponente im harmonisierten Inflationsindex nur 10,8 % ausmacht, reicht dies aus, dass der massive Preisrückgang bei Öl seit Mitte 2014 die Jahresrate der Gesamtinflation seit Anfang 2015 im Durchschnitt um 0,75 Prozentpunkte (in der Spitze minus 1 Prozentpunkt) reduzierte. Aktuell liegt der Beitrag der Energiekomponente bei – 0,9 Prozentpunkten. Ölpreis legt zuSeit Mitte Februar hat der Trend der Energiepreise jedoch gedreht und Brent Crude in Euro hat vom Tief Mitte Januar 2016 um etwa 35 % zugelegt. Auch wenn sich dies aufgrund von Basiseffekten bisher noch nicht deutlich in der Jahresrate der Gesamtinflation widerspiegelte, wird dieser Zustand nicht anhalten. Sollten die Energiepreise (und der Euro-Dollar-Wechselkurs) für den Rest des Jahres auf dem aktuellen Niveau verharren, wird der Beitrag der Energiekomponente an der Jahresinflation von aktuell – 0,9 Prozentpunkten auf 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte zum Jahresende drehen. Bei einer stabilen Kerninflation von etwa 0,9 % bis 1 % sollte dies die Gesamtrate der Inflation von aktuell – 0,2 % auf etwa 1,1 % steigen lassen, wobei sich die Anstiege in der Inflationsrate vor allem ab Juni deutlich beschleunigen sollten. Falls der Ölpreis sogar weiter bis Richtung 60 Dollar steigt, wäre auch eine Jahresinflation von 1,7 % per Ende des Jahres in der Eurozone möglich. Deutliche ReaktionAuch wenn ein Anstieg der Spotinflation die langfristigen Inflationserwartungen nicht eins zu eins anheben wird, dürften die Inflationserwartungen bis fünf Jahre deutlich reagieren. Die bisher im Markt verankerten latenten Deflationssorgen sollten in den Hintergrund gedrängt werden. In einem Umfeld, in dem die EZB-Politik schon ultraexpansiv ist, dürfte auch die Notenbank ihre Kommunikation anpassen. Vor dem Hintergrund, dass die EZB ausschließlich ein Inflationsmandat hat, dürften die Tauben im EZB-Rat an Rückenwind verlieren. Die Diskussion um weitere Zinssenkungen sollte vom Tisch sein und zumindest der Markt dürfte beginnen, über die Dauer der EZB-Anleihekäufe zu diskutieren. Auch wenn es undenkbar ist, dass die EZB die Käufe ab März 2017 auf null zurückfahren wird, erscheint ein Szenario, in dem die Notenbanker die Anleihekäufe ab März 2017 reduzieren, zunehmend denkbar. Und dies würde die EZB voraussichtlich schon vorher – ab dem vierten Quartal – verbal vorbereiten. EZB unterstütztWelche starken Auswirkungen eine solche Tapering-Debatte auf den Markt haben kann, zeigte der deutliche Renditeanstieg im Mai 2013 bei US-Treasuries. Denn auch wenn die EZB weiterhin unterstützend bleiben wird (Zinsen etc.), dürfte es aus Marktsicht vor allem auf die Veränderung der Wahrnehmung ankommen. Dies gilt umso mehr, als der Markt aktuell äußerst long positioniert ist und Marktteilnehmer im Vertrauen auf die EZB zunehmend mehr Durations- und Kreditrisiken “an Bord” genommen haben. Die aktuell äußerst niedrigen Risikoprämien im Markt sind aber nur zu rechtfertigen, wenn die EZB sowie andere große Zentralbanken als Käufer von Risikopapieren dauerhaft im Markt aktiv sind. Damit ist die Wahrscheinlichkeit für einen zumindest temporären, deutlichen Stimmungsumschwung hoch, sobald die Spotinflation spürbar anzuziehen beginnt (ab Anfang des zweiten Halbjahres) und Zweifel an der Dauer der Anleihekäufe der EZB geschürt werden. Hohe NachfrageIn einem solchen Umfeld sollte sich die Kurve versteilern, wobei die Bewegung vor allem vom Laufzeitenspektrum zwischen vier und zwölf Jahren ausgehen sollte. Denn dies ist der Sektor, in dem die EZB mit Anleihekäufen am aktivsten ist und damit der am stärksten verzerrte Bereich. Dagegen sollte der Kurvenbereich unter zwei Jahren nach einer ersten Korrektur äußerst stabil verharren, da eine Straffung der Geldpolitik über höhere Zinsen in den kommenden 24 bis 36 Monaten weiterhin ein äußerst unwahrscheinliches Szenario bleibt. Am ultralangen Ende der Kurve sollte dagegen die stabile Nachfrage von Versicherungen und Pensionskassen den Renditeanstieg ebenfalls begrenzen und die Kurve könnte sich zwischen zehn und 30 Jahren sogar eher verflachen.—-*) Michael Klawitter ist Senior Economist bei der DekaBank.