Bondrenditeanstieg läuft bereits aus
Die Fed-Furcht hat die Bondrenditen nach oben getrieben. Viele im Markt rechnen mit weiteren Steigerungen. Bondexperte Ralf Preusser von Bank of America Merrill Lynch in London hält dagegen: Er sieht die Renditen schon wieder fallen.Von Kai Johannsen, FrankfurtDie Renditen der Staatsanleihen diesseits und jenseits des Atlantiks haben in den vergangenen Tagen und Wochen deutlich zugelegt. Dahinter steht – so wird zumeist argumentiert – in erster Linie die Furcht der Investoren vor einer schnellen Drosselung der Bondkäufe seitens der US-Notenbank Fed und die Erwartung, dass die US-Währungshüter Mitte kommenden Jahres endgültig und komplett aus dem Quantitative Easing, d.h. den Bondkäufen, aussteigen werden. Am Markt ziehen die Renditen deshalb bereits an, viele Akteure rechnen mit weiteren Renditeanstiegen. Ralf Preusser, Managing Director und Head of European Rates Research bei Bank of America Merrill Lynch in London, gibt sich im Gespräch mit der Börsen-Zeitung in dieser Hinsicht eher gelassen. Für ihn ist der größte Teil der Wegstrecke bereits zurückgelegt. Er sieht die Renditen wieder fallen.100 Basispunkte (BP) hat die zehnjährige US-Treasury-Rendite seit Anfang Mai zugelegt. 20 BP führt er auf die besseren Arbeitsmarktdaten im Mai zurück, jeweils 20 BP auf die Tapering-Diskussion im Mai und Juni. Der Rest dieses Renditeanstiegs wird für Preusser durch markttechnische Faktoren vorangetrieben. Zwei Drittel des Renditeplus würden somit durch fundamentale Faktoren erklärt, ein Drittel durch Hedging-Aktivitäten, die sich wie folgt auf den Markt auswirken: Ein Investor hat beispielsweise Investment-GradeCredit-Namen oder auch High Yielder im Portfolio, die er selbst nicht verkaufen möchte oder kann, weil die Marktverfassung oder die Liquiditätslage es nicht zulassen. Der Investor möchte sich aber gegen einen Renditeanstieg absichern. Er kann dieses Ziel durch Futures-Verkäufe oder Verkäufe von Treasuries realisieren. Das ist laut Preusser ein üblicher Weg, den viele Anleger gehen.Diese Hedging-Flows haben zu den deutlichen Renditesteigerungen beigetragen. “Das war nicht nur die Fed-Diskussion. Aber die Neubewertung, die am Markt in Sachen Fed-Kurs vorgenommen wird, wird damit deutlich übertrieben.” Die erste Zinserhöhung in den USA wird nun bereits für 2014 eingepreist. Anfang Mai, vor dem Beginn der Aufwärtsbewegung, wurde am Markt der erste Zinsschritt der Fed noch für Oktober 2015 erwartet. Viele am Markt rechnen damit, dass in den USA eine Arbeitslosenquote von 6,5 % früher erreicht wird, als noch vor ein paar Monaten angenommen wurde. Laut Preusser preist der Markt derzeit nicht nur die erste Zinserhöhung ein. Darüber hinaus geht es um die Frage, welches Ankaufvolumen an Bonds auf den Markt im Rahmen von QE3 noch zukommt. “Es wird zunehmend schwieriger, die erste Zinserhöhung nun zu einem noch früheren Zeitpunkt als 2014 einzupreisen. Damit geht es in erster Linie noch um die QE3-Aspekte”, sagt er. Preusser zufolge könnte sich die gesamte Tapering-Diskussion auch wieder nach hinten verschieben. Das lässt vermutlich sogar nicht mehr lange auf sich warten. Denn die beschlossenen Budgetkürzungen in den USA werden im Juli und August greifen und damit auch Auswirkungen auf die Realwirtschaft zeigen. “Im öffentlichen Dienst müssen 680 000 Beschäftigte ab Juli jede Woche einen Tag zu Hause bleiben, und zwar ohne Gehalt. Das ist nichts anderes als eine Gehaltskürzung um 20 %. Das wird im Juli und August Spuren beim Konsum und beim Konsumentenvertrauen hinterlassen. Das wird aller Voraussicht nach die Tapering-Diskussion wieder nach hinten verschieben”, sagt er. Obergrenze bei 2,5 ProzentDie Zehnjahresrendite in den USA sieht Preusser denn auch nicht mehr weit steigen. Bei 2,5 % setzt er die Obergrenze. Es bleibe aber ein Risikofaktor für dieses Szenario. Gerade im Credit-Bereich seien umfangreiche Fondsabflüsse zu konstatieren. Abgezogen würden die Anlegergelder zum Beispiel auch aus Emerging-Markets-Bond-Fonds. Zum Teil würden Endinvestoren signifikant Positionen abbauen. “Aufgrund dieses Geldabflusses ist es für den Markt schwierig, sich zu stabilisieren”, sagt der Experte.Aber nicht nur in den USA ziehen die Renditen an. Im Fahrwasser des US-Markts geht es auch bei den Bundesanleihen mit den Renditen nach oben und darüber hinaus bei den Anleihen aus der Eurozonenperipherie. Preusser weist allerdings darauf hin, dass sich dieser Renditeanstieg bei den Bundesanleihen in einem Umfeld vollzieht, in dem die Wachstumserwartungen am Markt nach unten revidiert werden. Hinzu komme, dass auch die Inflationserwartungen der Europäischen Zentralbank (EZB) weit unter den Zielen der Währungshüter lägen. Der Zinsanstieg passe demzufolge nicht zu diesem Umfeld. Preusser weist auch darauf hin, dass im Mai und Juni noch darüber diskutiert worden sei, welche weiteren Schritte die EZB wohl unternehmen könnte, um die Peripheriemärkte weiter zu stützen, und nun werde bereits über Zinserhöhungen gesprochen. “Derzeit preist der Markt ein, dass mit Sicht auf drei Jahre zwei Zinserhöhungen stattfinden, die komplette Überschussliquidität aus den Märkten abgezogen wird und darüber hinaus sämtliche Tenderoperationen zurückgeführt sind. Das ist vielleicht etwas zu viel des Guten”, sagt er. Konsenserwartungen in der Eurozone zu Inflation und Wachstum werden momentan etwa weiter nach unten revidiert.Die Bundesanleihen reagieren in etwa mit einem Beta-Wert von 0,5 auf Renditeveränderungen des US-Treasury-Marktes. Das bedeutet: Steigt die Rendite am US-Markt um 100 BP an, kommt es hierzulande zu einer Aufwärtsbewegung der Bundrendite um 50 BP. Das Bild sei dabei aber etwas differenzierter zu betrachten. Das kurze Laufzeitenende sei viel stärker abverkauft worden als das mittlere oder lange Laufzeitende. Bei den kürzeren Fristigkeiten kam es demzufolge zu stärkeren Renditesteigerungen.Angezogen haben die Renditen auch in der Eurozonenperipherie, insbesondere in Spanien und Italien. “Dieser Anstieg der Zinsen führt zu der Situation, in der wieder darüber diskutiert wird, ob die betroffenen Länder wie Spanien oder Italien nachhaltig ihre Schulden bedienen können”, sagt er. Man sei zwar noch ein Stückchen davon entfernt, dass die Situation als bedrohlich eingestuft werden könnte, aber Preusser macht darauf aufmerksam, dass die Renditen in Italien derzeit wieder auf den Niveaus angekommen seien, die zu Jahresbeginn zu beobachten waren. Die Performance des gesamten ersten Halbjahres ist damit praktisch aufgezehrt. “Und die Länder haben nun mit gestiegenen Zinsen ein größeres Problem. Denn die Investoren fragen sich nun natürlich, ob sie wieder in den Markt einsteigen sollen oder nicht.” Hinzu komme, dass die Wachstumszahlen nicht nach oben weisen. Der Renditeanstieg sei also nicht von positiven fundamentalen Daten getrieben worden. “Ein derartiger Anstieg der Zinsen, der hierzulande weitgehend nur auf die Fed-Furcht zurückgeführt wird, ist schädlich für diese Länder”, fügt Preusser hinzu. “Nicht gerechtfertigt”Das Verhältnis von zehnjährigen US-Treasuries und den Bundesanleihen gleicher Laufzeit ordnet er folgendermaßen ein: “Eine einfache Wachstumserwartung/Bondrenditen-Systematik zugrunde gelegt, wäre das langfristige nominale Wachstum in den USA bei etwa 4,75 %. Das wäre dann auch der Fair Value für die zehnjährigen Treasuries, wenn wir es mit einer normalen Rezession und keinem QE zu tun hätten. Für Europa leitet sich eine Wachstumserwartung von 3,25 % ab. Die Zinsen in Europa, d.h. die Bundrendite, müsste demzufolge 150 BP unter den US-Sätzen liegen. Sie war aber nur 50 BP darunter”, sagt er. Das Verhältnis müsste sich damit weiter adjustieren. Werden die US-Treasuries weiter abverkauft, dürfte es demzufolge in Europa bei den Bundesanleihen nicht zu ebenso starken Renditeanstiegen wie am US-Treasury-Markt kommen, damit sich das Verhältnis, d.h. der Renditeabstand, entsprechend einstellt. “Ein stärkerer Renditeanstieg bei den Bundesanleihen wäre aufgrund der Wachstumserwartungen nicht gerechtfertigt”, fügt er hinzu. Bei der zehnjährigen Bundesanleihe sieht er die Rendite noch maximal bis auf um die 2 % steigen.Der Markt wird seiner Ansicht nach dann aber wieder die Gegenbewegung sehen. Denn die EZB wird sich gegen die Markterwartungen von Zinserhöhungen stellen. Sie wird die Eurozonenperipherie vor höheren Zinsen schützen, und zwar wegen der ansonsten nicht mehr gegebenen Tragfähigkeit der Schulden. Nach dieser am Markt nun gesehenen Renditebewegung wird die EZB Preusser zufolge auch ihre Inflationsprognose nach unten anpassen. “Bei einem Renditeanstieg von fast 75 BP, den wir jetzt gesehen haben, sollte die Inflationsprognose ceteris paribus von um die 1,3 % unserer Einschätzung nach auf um die 1 % nach unten gesetzt werden.” Das eröffnet den Bundrenditen wiederum Spielraum nach unten. “Unsere Jahresendprognose für die zehnjährige Bundrendite von 1,5 % halten wir nach wie vor aufrecht. Das ist zwar etwas über den historischen Tiefs, aber auch nicht allzu weit davon entfernt”, sagt er.