Bonds bieten Chancen
Von Ulle Wörner*)
Die Anleihespreads des Sektorindex iBoxx Chemicals liegen regelmäßig unterhalb des Gesamtmarktes (iBoxx Non-Financials). Dies spiegelt einen hohen Anteil von Unternehmen mit guten Ratings und relativ defensiven Geschäftsmodellen wider. Einer der größten und regelmäßigsten Emittenten im Sektor ist dabei das französische Industriegasunternehmen Air Liquide. Trotz des tendenziell stabilen Geschäftsmodells konnte sich Air Liquide den Marktverwerfungen zu Beginn der Corona-Pandemie nicht entziehen und verzeichnete erhebliche Spreadausweitungen. Die Erholung ging allerdings ähnlich schnell vonstatten. Unterstützt durch solide Ergebnisse setzte sich dieser Trend fort, so dass die Spreads aktuell wieder auf niedrigen Niveaus liegen. Exemplarisch zeigt sich dies an der Entwicklung des Fünf-Jahres-CDS. Von ca. 22 Basispunkten (BP) Mitte Februar 2020 stieg dieser bis Mitte März auf nahezu 70 BP an und sank dann bis Ende April 2020 wieder auf das Ausgangsniveau. Seitdem verläuft die Entwicklung weitgehend seitwärts, aktuell liegt der CDS bei etwa 26 BP und damit nur noch leicht über dem Ursprungsniveau.
Durch die Übernahme des amerikanischen Wettbewerbers Airgas für 13,4 Mrd. Dollar im März 2016 war Air Liquide kurzzeitig der weltweit größte Industriegasehersteller, verlor diese Position aber durch den Zusammenschluss von Praxair und Linde wieder. Angesichts freier Cash-flows von rund 1 Mrd. Euro p.a., einer Kapitalerhöhung und des Verkaufs von Randaktivitäten wurde die im Zuge der Übernahme stark gestiegene Verschuldung innerhalb von gut vier Jahren von 20 auf 11 Mrd. Euro fast halbiert.
Besseres Ergebnis
Im Pandemiejahr 2020 bestätigte sich die Krisenfestigkeit des Geschäftsmodells. Während der Umsatz durch eine leicht negative organische Entwicklung sowie Währungs- und Portfoliobelastungen um 7% auf 20,5 Mrd. Euro sank, lag das Adjusted Ebit stabil bei 3,8 Mrd. Euro. Das Nettoergebnis und der operative Cash-flow wurden sogar um 9% bzw. 10% verbessert. Der Konzern profitiert dabei von der breit gestreuten Kundenstruktur. Während Industrieaktivitäten wie Stahl oder Chemie unter der konjunkturellen Abschwächung litten, wirkten Healthcare und Elektronik stabilisierend. Angesichts dieser Stabilität verfügt Air Liquide über ein gutes Durchschnittsrating von „A–“ und hat Chancen auf eine Ratingverbesserung.
Wie nahezu jedes Jahr geht Air Liquide, unterstützt durch kontinuierliche Effizienzsteigerungsmaßnahmen, auch für 2021 von einer Margensteigerung und einem währungsbereinigt verbesserten adjustierten Nettoergebnis aus. In Q1 2021 wurde trotz Belastungen durch den Kälteeinbruch an der US-Golfküste ein gutes organisches Wachstum von 3,8% erzielt. Insbesondere währungsbedingt sank der Quartalsumsatz allerdings dennoch um 0,7% auf 5,3 Mrd. Euro.
Wie für andere energieintensive Chemieunternehmen spielt für Air Liquide das Thema Nachhaltigkeit eine immer wichtigere Rolle. Dies zeigt sich in den im März 2021 vorgestellten neuen Nachhaltigkeitszielen. Zu diesen gehört das Erreichen der CO2-Neutralität bis 2050. Als Zwischenziel wird bis 2035 gegenüber 2020 eine Reduktion der CO2-Emissionen (Scope 1+2) um ein Drittel angestrebt. Beispielsweise sollen die direkten Emissionen durch eine zunehmende Produktion von CO2-armem Wasserstoff (u. a. Elektrolyse) gesenkt, der Energieverbrauch durch den Einsatz verbesserter Technologien reduziert und der Strombezug aus erneuerbaren Energien erhöht werden. Gerade im Wasserstoffgeschäft sieht Air Liquide große Wachstumschancen. Bis 2035 wird in diesem Bereich mindestens mit einer Umsatzverdreifachung auf über 6 Mrd. Euro gerechnet, wofür Investitionen von 8 Mrd. Euro anfallen dürften.
Auf der Finanzierungsseite spiegelt sich dieser Trend zunehmend wider. Bereits Ende 2019 wurde die Verzinsung des syndizierten Kredits von 2 Mrd. Euro teilweise an die Erfüllung diverser Nachhaltigkeitsziele gekoppelt. Im Mai 2021 begab Air Liquide nun als eines der ersten Unternehmen im Sektor erstmals einen Green Bond mit einem Volumen von 500 Mill. Euro, einer Laufzeit von zehn Jahren und einem Kupon von 0,375%. Außerdem wurde ein Sustainable-Finance-Rahmenwerk veröffentlicht, in dem die mögliche Mittelverwendung der Emissionserlöse spezifiziert wird. Mit den Zuflüssen aus der aktuellen Emission sollen insbesondere Projekte in den Bereichen Wasserstoff, Biogas und Sauerstoff finanziert werden. Auf Basis der ersten Preisindikation von 60 BP bot die Emission im Vergleich zu den ausstehenden Bonds und gegenüber der Peergroup einen deutlichen Pick-up.
Angesichts einer starken Nachfrage lag der Emissionsspread letztendlich bei 28 BP und damit auf bzw. leicht unter dem Niveau der ausstehenden Anleihen. Trotz des geringen Spreadniveaus war die Emission mehr als dreifach überzeichnet. Seit der Emission hat sich der Spread weiter eingeengt und liegt mit ca. 16 BP leicht unter dem Niveau der beiden im April bzw. Juni 2030 fälligen Bonds. Darin dürfte sich auch das noch sehr geringe Angebot von Green Bonds im Sektor widerspiegeln. Nach der erfolgreichen Emission strebt das Unternehmen an, zukünftig regelmäßig nachhaltige Anleihen zu begeben.
Insgesamt stehen bei Air Liquide derzeit Anleihen im Volumen von rund 11 Mrd. Euro aus, die im Wesentlichen in Euro und Dollar begeben wurden. Am Euro-Bondmarkt ist Air Liquide mit 16 festverzinslichen Bonds mit einem Gesamtvolumen von gut 7 Mrd. Euro und Laufzeiten bis zum Jahr 2031 vertreten. Die durchschnittliche Laufzeit liegt bei knapp fünf Jahren, der durchschnittliche Kupon bei rund 1,2%. Nach BASF ist Air Liquide mit einem Anteil von etwa 11% der zweitgrößte Emittent im iBoxx Chemicals. Regelmäßig sind die Emissionen erheblich überzeichnet. Besonders ausgeprägt war dies im März 2020, als Air Liquide zu Beginn der Corona-Pandemie zur Refinanzierung zweier im Juni 2020 fälliger Anleihen zwei Benchmark-Bonds mit fünf und zehn Jahren Laufzeit begab. Auf Basis der ersten Preisindikation boten die Neuemissionen im Vergleich zur Sekundärmarktkurve deutliche Pick-ups. Angesichts eines extrem hohen Orderbuchvolumens von nahezu 18 Mrd. Euro engten sich die Spreads aber von 170 auf 120 BP bzw. von 195 auf 140 BP ein, so dass keine Aufschläge verzeichnet wurden.
Aufgrund des stabilen Geschäftsmodells liegen die Spreads meist unter der relevanten Marktkurve. Gegenüber dem Konkurrenten Linde notieren die Air-Liquide-Bonds größtenteils mit leichten Aufschlägen. Während die Fälligkeiten bis zum Jahr 2028 aktuell negative Renditen aufweisen, werden im längeren Laufzeitenbereich rund 0,2% erreicht. Anlagechancen bieten sich hauptsächlich bei den langlaufenden Bonds. Außerdem werden in den nächsten zwölf Monaten drei Euro-Bonds mit einem Gesamtvolumen von 1,3 Mrd. Euro fällig, so dass sich im Rahmen der Refinanzierung vor allem für konservative Investoren neue Einstiegsgelegenheiten bieten können.
*) Ulle Wörner ist Senior Analyst für den Sektor Chemie bei der Landesbank Baden-Württemberg.