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Börsengänge erfordern Reformen der Dax-Familie

Von Stefan Schaaf, Frankfurt Börsen-Zeitung, 12.11.2015 Wirtschaft ist nichts für Nostalgiker. Das gilt auch für Aktienindizes, die den langfristigen Strukturwandel einer Volkswirtschaft abbilden. In der Dax-Familie wird sich dieser Wandel in den...

Börsengänge erfordern Reformen der Dax-Familie

Von Stefan Schaaf, FrankfurtWirtschaft ist nichts für Nostalgiker. Das gilt auch für Aktienindizes, die den langfristigen Strukturwandel einer Volkswirtschaft abbilden. In der Dax-Familie wird sich dieser Wandel in den kommenden Jahren beschleunigen, zum einen wegen der zahlreichen Börsengänge in jüngster Zeit, aber auch wegen der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft. Investoren werden sich darauf einstellen müssen, häufiger umzuschichten, was Kosten verursachen und Rufe nach Reformen der Indizes verstärken wird.Der Dax ist im Hinblick auf seine Mitglieder eine dreigeteilte Veranstaltung: Oben stehen die globalen Titanen wie Bayer, Siemens oder BASF. Unter einem soliden Mittelfeld mit Linde oder Continental findet sich die Abstiegszone – und die wird immer größer. Denn immer mehr Unternehmen im Nebenwerte-Index MDax, aber auch im Technologieindex TecDax, erreichen inzwischen eine Marktkapitalisierung, die an die der kleinen Dax-Werte heranreicht (alle Angaben zu Index-Gewichten beziehen sich auf Daten der Deutschen Börse von Ende Oktober). Im Bereich von 4 bis 6 Mrd. Euro Börsenwert wird es immer enger: Hier tummeln sich insgesamt 15 Unternehmen, darunter die drei Dax-Werte Lufthansa, RWE und K+S. Auch im Segment von 7 bis 10 Mrd. Euro Marktkapitalisierung herrscht Gedränge, acht Unternehmen sind hier verzeichnet, darunter der potenzielle Dax-Aufsteiger ProSiebenSat.1, aber auch Brenntag, Deutsche Wohnen und Symrise, alle drei ebenfalls aus dem MDax.Nun setzen sich die Indizes nicht nur nach der Marktkapitalisierung des Streubesitzes zusammen. Das Regularium stellt auch auf den Börsenumsatz ab, damit in Frankfurt relativ illiquide Aktien wie die von Airbus nicht in Dax kommen können. Zudem verhindern Schwellenwerte den übereilten Abstieg, wenn bei einem Unternehmen mal zwei Quartale schlecht laufen. Doch langfristige Trends werden durch die Regularien anlegerfreundlich lediglich abgebremst, aber nicht verhindert. So kann sich der Strukturwandel auch in den Indizes niederschlagen, ohne dass es zu hektischen Ein- und Ausstiegen kommt.Doch die Zahl der Auf- und Abstiege wird sich dennoch erhöhen, schon allein wegen der Welle an Börsengängen in jüngster Zeit. So stehen dem Kleinwerteindex SDax im Dezember wohl drei Änderungen ins Haus, es könnten aber auch fünf werden. Grund dafür ist, dass derzeit kaum Wachstumsfirmen an die Börse kommen, sondern vielmehr etablierte und entsprechend große Unternehmen, die auch direkt in die Auswahlindizes drängen. Gutes Beispiel ist die Bayer-Kunststofftochter Covestro, die nach Daten der DZ Bank rund 1,75 Mrd. Euro Marktkapitalisierung hat und sich damit im Bereich von Nordex (TecDax) und Deutsche Euroshop (MDax) bewegt. Allerdings sind erst 31 % der Aktien im Streubesitz. Dieser wird wachsen, je mehr Bayer sich zurückzieht. Bei 100 % Streubesitz würde die Marktkapitalisierung 4,6 Mrd. Euro betragen, womit der Wert von K+S erreicht wäre, dem aktuell schwächsten Dax-Wert. Ähnliches wie für Covestro lässt sich für die Börsenneulinge Hapag-Lloyd, Schaeffler oder Scout24 sagen. Hinzu kommen bereits notierte Firmen wie Evonik (Streubesitz: 26 %) oder Zalando (47,7 %), deren Großaktionäre sich mittel- bis langfristig zurückziehen dürften. Zalando wächst zudem stark. Das heißt, ein steigender Free Float wird voraussichtlich mit langfristig steigenden Kursen einhergehen. Berlin hat also wieder Chancen auf einen Dax-Konzern. Digitale HerausfordererAus der digitalen Wirtschaft klopfen auf längere Sicht weitere Firmen an die Dax-Tür. Dies gilt insbesondere für United Internet und den Zahlungsabwickler Wirecard, der bei der Marktkapitalisierung bereits K+S überholt hat. Ein Dax mit Zalando, United Internet, Wirecard und vielleicht sogar Scout24 wäre ein Beweis dafür, dass die Digitalisierung der deutschen Volkswirtschaft gelingt.Anlegern dürfte die Aussicht auf eine wachsende Zahl an Indexveränderungen hingegen nicht zusagen, zum einen weil damit Kosten verbunden sind und zweitens sich ständig verändernde Indizes den Performance-Vergleich von Portfolien erschweren. Dies gilt insbesondere für passive Indexfonds, aber auch für aktiv geleitete Fonds mit engem Benchmark-Bezug. Verändert sich beispielsweise der Charakter des Dax von einem von der globalen Konjunktur abhängigen Industrieindex zu einem stärker auf den Binnenkonsum und Dienstleistungssektor ausgerichteten Barometer, so funktionieren historische Korrelationen nicht mehr und die Kursentwicklung in bestimmten Marktphasen ist nicht mehr vergleichbar.All diese Trends erhöhen den Reformbedarf für die Indizes der Dax-Familie. Ziel sollte es sein, Investoren einen über längere Zeit konstanten Index anzubieten. Eine Möglichkeit wäre ein Dax 100, wie ihn etwa Index-Expertin Silke Schlünsen von Oddo Seydler im Gespräch mit der Börsen-Zeitung favorisiert hat. Dies würde Anleger vor häufigen Wechseln in der Zusammensetzung schützen und einem Hauptziel der Deutschen Börse für die Dax-Familie dienen: Kontinuität. Konkurrenzdruck kommt hierbei auch vom Index MSCI Germany, der breiter als der Dax ist und sich bei internationalen Investoren wie auch ETF-Anbietern wachsender Beliebtheit für Anlagen in deutschen Aktien erfreut. Allerdings besteht auch bei Kleinwerten Reformbedarf. Denn die vielen Börsengänge in jüngster Zeit verdrängen einerseits traditionsreiche Namen aus dem SDax, verhindern aber auch den Aufstieg von Start-ups. Ein Dax 250 könnte hier helfen. Für Nostalgie ist bei der effizienten Gestaltung von Aktienindizes kein Platz.