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Brexit-Auswirkungen auf Verbriefungsmärkte

Von Ann-Kristin Möglich und Ralf Raebel *) Börsen-Zeitung, 17.3.2016 Am 23. Juni werden die Briten über ihren Verbleib in der EU entscheiden. Laut den jüngsten Umfrageergebnissen wird es wohl auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hinauslaufen. Damit müssen...

Brexit-Auswirkungen auf Verbriefungsmärkte

Von Ann-Kristin Möglich und Ralf Raebel *)Am 23. Juni werden die Briten über ihren Verbleib in der EU entscheiden. Laut den jüngsten Umfrageergebnissen wird es wohl auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hinauslaufen. Damit müssen sich auch Investoren zwangsläufig mit den Konsequenzen eines Brexit auseinandersetzen. Wir taxieren die Eintrittswahrscheinlichkeit derzeit auf 40 %. Ein Brexit hätte auch für die Verbriefungsmärkte maßgebliche Folgen.Sollten die Briten für einen EU-Austritt votieren, würde dieser formal nach Art. 50 (1) EU-Vertrag umgesetzt. Ein dann zu vereinbarendes Austrittsabkommen regelt insbesondere die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU. Aufgrund der engen ökonomischen Verflechtungen ist nicht nur die Frage, ob es zu einem Austritt kommt, sondern auch der Umstand, wie diese Abspaltung ausgestaltet wird, entscheidend für die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Vereinigte Königreich wie auch auf Europa. Das Spektrum der möglichen Ausgestaltung reicht von einem Drittstaatenstatus bis hin zu einer EWR-Mitgliedschaft. Je “weicher” dieser Übergang ausgestaltet wird, desto geringer sind die ökonomischen Nachteile des Austritts für beide Seiten. Unabhängig vom künftigen UK-Status entstehen durch den Brexit aufgrund des Wegfalls von EU-Regularien Lücken im britischen Rechtssystem. Vor dem Hintergrund einer umfänglichen EU-ABS-Regulierung sind diese für Verbriefungen erheblich. Diese Lücken müssen von der britischen Regierung im Nachgang geschlossen werden. Politische GefahrenDie politischen und wirtschaftlichen Folgen eines Brexit wären sowohl für Großbritannien als auch für die EU tiefgreifend. Als politische Gefahr für Großbritannien sei hier nur beispielhaft ein mögliches Wiederaufflammen der schottischen Abspaltungsbewegung aufgrund einer präferierten EU-Mitgliedschaft erwähnt, mit der potenziellen Folge eines Zerfalls des Vereinigten Königreichs. Ähnliche politische Gefahren drohen potenziell auch der EU, z. B. bei einem Zerwürfnis über die anteilige Mehrbelastung einzelner Mitgliedsländer aufgrund des Wegfalls des britischen Nettofinanzbeitrags. Die anti-europäischen Tendenzen erhalten vor allem dann Auftrieb, wenn sich Großbritannien wirtschaftlich positiver nach einer Abkopplung entwickeln sollte als der Rest der EU. Andererseits könnte es auch zu einer stärkeren politischen Integration der verbleibenden EU-27 kommen, nachdem Großbritannien hierfür als Störfaktor weggefallen ist.Hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen für Großbritannien kommen verschiedene Brexit-Analysen zu divergierenden Ergebnissen. Die Spanne der Netto-Vorteilhaftigkeit einer EU-Mitgliedschaft liegt nach einer Auswertung der Bank of England zwischen – 1,6 % und bis zu + 9,5 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Das jeweilige Ergebnis ist insbesondere abhängig von dem unterstellten Szenario hinsichtlich der zukünftigen Beziehung zwischen der EU und UK sowie der fiskalischen Verwendung des ersparten Nettofinanzbeitrags. Hierbei ist zwischen einer “echten” wirtschaftlichen Abschwächung und lediglich “Wohlfahrtsverlusten” zu unterscheiden. Ein nur unterhalb des Potenzialwachstums liegender BIP-Anstieg hat nicht die gleichen negativen Auswirkungen wie ein makroökonomischer Einbruch. Nur Letzterer ist aber im Sinne einer Worst-Case-Betrachtung auch für die Collateral-Performance britischer Verbriefungen von Relevanz.Um einen Eindruck über die Robustheit der verschiedenen Assetklassen gegenüber einem makroökonomischen Schock infolge eines Brexit zu gewinnen, haben wir uns die Collateral-Performance britischer Verbriefungen in den Krisenjahren ab 2007 angesehen. Demnach sind beispielsweise britische Kreditkartenverbriefungen trotz eines erheblichen Anstiegs der Charge-off-Rate sehr gut durch die Krise gekommen, da dies durch eine Steigerung der Bruttorenditen von den Kreditkartenbetreibern teilweise überkompensiert werden konnte. Auch bei Prime RMBS (Residential Mortgage Backed Securities) erhöhten sich die Verzugs- und Verlustraten, von niedrigen Niveaus kommend, deutlich. Jedoch war die Kreditbesicherung hinreichend hoch, so dass die Senior-Tranchen im Durchschnitt zu keiner Zeit gefährdet waren. Eine analoge Entwicklung zeigten mit leichten Abstrichen zu Prime auch die Buy-to-let (BTL) RMBS. Diese Assetklassen können also als vergleichsweise sichere Häfen im britischen ABS-Universum angesehen werden. Demgegenüber war der Anstieg der schwerwiegenden Verzugsrate wie auch der Vollstreckungsrate bei Non-Conforming (NC) RMBS mit mehr als einer Verdopplung dramatisch. Ebenfalls stark betroffen war das CMBS-Segment (Commercial Mortgage Backed Securities) mit einem erheblichen Anstieg der Darlehen im Special Servicing. Die beiden zuletzt genannten Assetklassen wären nach unserer Einschätzung auch im Falle eines Brexit am stärksten negativ betroffen. Spreads weiten sich ausSeit Ankündigung des Referendums mussten britische Papiere zum Teil deutliche Spread-Ausweitungen hinnehmen, wobei die relative Performance von Prime RMBS deutlich schlechter war. Die Kursentwicklung verläuft konträr zur fundamentalen Stärke der Assetklassen. Der Widerspruch erklärt sich nach unserer Einschätzung durch den unterschiedlichen Internationalisierungsgrad der Investoren. Dieser dürfte bei Prime RMBS deutlich höher liegen. Aufgrund der Verunsicherung trennen sich internationale Investoren vor dem Referendum verstärkt von ihren britischen Papieren, weshalb die Prime-Ausschläge höher ausfallen.Aufgrund der intensiven wirtschaftlichen Verflechtung sind auch die Rückwirkungen eines Brexit auf die EU enorm. Die fundamentale Entwicklung Resteuropas wird ebenfalls vom weiteren politisch-ökonomischen Geschehen geprägt. Daher haben auch kontinentaleuropäische Verbriefungen unter der gestiegenen Unsicherheit und einer erhöhten Volatilität, wenn auch weniger als ihre britischen Pendants, gelitten. Eine Flucht aus britischen in kontinentaleuropäische Verbriefungen im Glauben, hier auf der sicheren bzw. wirtschaftlich prosperierend(er)en Seite zu sein, ergibt sich nach unseren Erkenntnissen jedenfalls nicht zwingend. Kaufgelegenheiten nutzenWir gehen trotz einer signifikanten Brexit-Wahrscheinlichkeit letztlich von einem Verbleib Großbritanniens in der EU aus. Daher empfehlen wir weniger risikoscheuen Investoren, die Kursschwankungen als Kaufgelegenheit, z. B. für UK Prime und BTL RMBS oder auch Kreditkartenverbriefungen zu nutzen. Mit diesen robusten Assetklassen sind Investoren auch im Fall eines Leave-Votums aus fundamentaler Sicht gut aufgehoben, wenngleich hier ein Wechselkursrisiko (das auch Chance sein kann) verbleibt. Hingegen erscheint uns ein Einstieg bei NC RMBS und CMBS aufgrund des höheren Risikos im Falle eines Brexit derzeit vergleichsweise wenig attraktiv.—-*) Ann-Kristin Möglich und Ralf Raebel sind ABS-Analysten bei der DZ Bank.