TECHNISCHE ANALYSE

Brexit ganz ohne Emotionen betrachtet

Von Karen Jones *) Börsen-Zeitung, 9.10.2019 Können Charts dazu beitragen, einen klareren Überblick über die Devisenmärkte und dort die Situation des britischen Pfundes zu bekommen, das derzeit von der Unsicherheit wegen des Brexits geprägt ist?...

Brexit ganz ohne Emotionen betrachtet

Von Karen Jones *)Können Charts dazu beitragen, einen klareren Überblick über die Devisenmärkte und dort die Situation des britischen Pfundes zu bekommen, das derzeit von der Unsicherheit wegen des Brexits geprägt ist? Der Euro/Pfund-Chart zeigt Phasen mit hoher Volatilität, wobei sich das Währungspaar in den vergangenen Jahren (besonders seit dem Brexit-Referendum im Sommer 2016) in einer breiten Seitwärtspendelbewegung um die 200-Wochen-Linie bewegt. In Phasen hoher Volatilitäten – im Regelfall in Perioden mit hoher Verunsicherung – kehren die Märkte oftmals zu ihren langfristigen gleitenden Durchschnitten zurück. Dies konnte z. B. auch beim Euro/Dollar-Chart während der Lehman-Krise 2008 beobachtet werden.Charts bieten gerade in herausfordernden Marktphasen den Vorteil, dass sie wichtige Schlüsselmarken, langfristige Trends und gleitende Durchschnitte zur Orientierung aufzeigen. Seit dem Brexit-Referendum hat sich das Währungspaar Euro/Pfund weitestgehend in einer sehr breiten Seitwärtspendelbewegung aufgehalten, die von dem Höchststand von Ende Oktober 2016 bei 0,9403 Euro (Widerstand) und dem Tief vom Dezember desselben Jahres bei 0,8305 Pfund (Unterstützung) begrenzt wird. Intakter Hausse-TrendAus übergeordneter technischer Sicht ist diese dreijährige, erweiterte Seitwärtspendelbewegung aber nur Teil des sehr langfristigen, weiterhin intakten Hausse-Trends. Dieses Währungspaar befindet sich insgesamt schon seit 1971 – und damit seit dem Ende des Bretton-Woods-Systems – in einer Aufwärtsbewegung. Jetzt stellen sich vor dem Hintergrund der zentralen Veränderung Brexit die wichtigsten (technischen) Fragen: Welche Qualität hat dieser langfristige, 48-jährige Trend, setzt er sich fort, oder laufen wir in eine (technische) Umkehrformation hinein. Was Euro/Pfund aus charttechnischer Sicht betrifft, ist die Frage einfach zu beantworten. Der (Hausse-)- Trend zeigt weiter nach oben, was einen langfristig weiter steigenden Euro andeutet. Die Definition eines Aufwärtstrends besagt, dass steigende Hoch- und Tiefpunkte vorliegen müssen. Euro/Pfund erfüllt weiterhin diese Definition, da der Kurs aktuell über dem Tief vom Mai 2019 bei 0,8465 Pfund notiert. Damals gab es ein klares Kaufsignal, da nicht nur der gleitende 55- Wochen-Durchschnitt, sondern auch die 38,2 -prozentige Korrektur der gesamten Aufwärtsbewegung seit 2015 gehalten hat. Das sollte für das vierte Quartal 2019 und 2020 auf eine moderate Aufwärtsbewegung in Richtung des Hochs (technisches Etappenziel) bei 0,9403 Pfund hindeuten, das 2016 kurz nach dem Referendum verzeichnet wurde. Gelingt der Sprung über diesen Widerstand, würde das Hoch von 2008 bei 0,9803 Pfund zum nächsten Kursziel. Dementsprechend beinhaltet unser Euro/Pfund-Ausblick für die nächsten drei bis sechs Monate eine Kursstärke bis mindestens 0,9400 Pfund. Diese technische Aussage bleibt so lange bestehen, wie dieses Währungspaar über 0,8465 Pfund handelt. Rutscht Euro/Pfund auf Wochenschlusskursbasis darunter, liegt eine veränderte technische Lage vor. In dem Fall bieten die Charts wieder eine ansprechende Orientierungsmöglichkeit. Der sehr langfristige Aufwärtstrend von 1981 bis 2019, der aktuell bei ca. 0,7500 Pfund liegt, wäre die nächste massive Unterstützungszone.Je älter Trendlinien sind, desto wichtiger werden sie. Was können wir anhand der Trendlinien über die Entwicklung von Euro/Dollar sagen? Euro/Dollar befindet sich seit 2008 und dem All Time High bei 1,6040 in einem Abwärtstrend (zurzeit bei ca. 1,2100 Dollar). Hierbei wurde nach der letzten US-Präsidentenwahl Anfang 2017 das bisherige Tief bei 1,0340 Dollar gesetzt. Das ist ein Rückgang um beeindruckende 35 %. Trotz einer starken Zwischenerholung (Anfang 2017 bis Anfang 2018) bis auf 1,2560 Dollar konnte der Markt den zehnjährigen zentralen Abwärtstrend und die 200-Monats-Durchschnittslinie nicht überwinden.Seitdem befindet sich der Euro in einer Abwärtsbewegung (in Form eines Abwärtstrendkanals) mit der oberen Abwärtstrendkanallinie bei 1,1338 Dollar. Für das vierte Quartal 2019 deutet sich eine Fortsetzung dieser Abwärtsbewegung an, wobei als nächste (mittelfristige) Unterstützung für Euro/Dollar jetzt der sehr langfristige Aufwärtstrend (1985 bis 2019; Trendlinie um 1,0700 Dollar) in den Fokus rückt. In diesem Bereich liegen auch andere technische Unterstützungen. Erstens die untere Abwärtstrendkanallinie im Bereich um 1,0800 Dollar. Zweitens die 78,6-prozentige Fibonacci-Korrektur der Kursbewegung von 2016 bis 2018 bei 1,0814 Dollar. Und drittens eine 13-Tom-DeMark-Zählung (TD) auf dem Wochenchart mit TD-Support bei 1,0782 Dollar. Aufgrund dieser technischen Aspekte sollte sich der Euro im ersten Quartal 2020 stabilisieren bzw. eine Erholung in Richtung 1,1300 Dollar etablieren. Dies signalisiert bei dem technischen “Zweikampf” zwischen der 34-jährigen Unterstützungszone und dem mittlerweile elfjährigen Abwärtstrend aktuell einen Vorteil für diese Unterstützungszone. Was passiert, wenn der Rückgang im Euro nicht dort endet? Der Bruch eines so lange bestehenden Aufwärtstrends wäre eindeutig ein negativer Faktor und würde eine weitere Schwäche in Richtung des Tiefs bei 1,0340 Dollar (Januar 2017) andeuten. *) Karen Jones ist Leiterin der Abteilung FICC Technical Analysis Research der Commerzbank und Fellow der britischen Society of Technical Analysts (STA).