DEVISENWOCHE

Brexit oder kein Exit - Pfund leidet so oder so

Von David Hollis *) Börsen-Zeitung, 5.4.2016 So viel kann bereits gesagt werden: Im Vorfeld der britischen Abstimmung über einen Verbleib in der Europäischen Union (EU), die für den 23. Juni terminiert ist, wird die Entwicklung des Pfundes vor...

Brexit oder kein Exit - Pfund leidet so oder so

Von David Hollis *)So viel kann bereits gesagt werden: Im Vorfeld der britischen Abstimmung über einen Verbleib in der Europäischen Union (EU), die für den 23. Juni terminiert ist, wird die Entwicklung des Pfundes vor allem von der Politik bestimmt werden. Wirtschaftliche Aspekte haben das Nachsehen. Vor diesem Hintergrund ist interessant, welche Lehren aus früheren Referenden gezogen werden können.Als im Juni 1975 – also zweieinhalb Jahre nach dem Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) – erstmals ein britisches Referendum zum Verbleib abgehalten wurde, war die politische Situation nicht grundsätzlich anders als heute. Damals wie heute war die Regierungspartei gespalten, und in beiden Fällen wurden vom Regierungschef Verhandlungen mit Europa aufgenommen. Obwohl die damals erzielten Konzessionen begrenzt waren, drehte die Stimmung zugunsten des Ja-Lagers. Schließlich stimmte eine deutliche Mehrheit von zwei Dritteln für einen Verbleib in der EWG.In einigen wichtigen Facetten stellt sich die Situation heute aber anders dar. Zwar konnte auch der aktuelle Regierungschef David Cameron der EU einige Zugeständnisse abringen. Diese reichten jedoch nicht aus, um die Reihen der konservativen Partei hinter ihm zu schließen. Vielmehr führt mit dem Londoner Bürgermeister Boris Johnson ein prominenter Konservativer das Lager der Austrittsbefürworter an. Ein anders gelagerter, aber ebenfalls wichtiger Unterschied ist, dass die Alternative zum Verbleib in der EU diesmal Neuland ist; eine derartige Desintegration stellt einen Sprung ins Ungewisse dar. 1975 bestand die Alternative dagegen in einer Rückkehr zu einem relativ bekannten Status.Wie wird sich die britische Währung nun im aktuellen Umfeld schlagen? Zunächst auch hier ein Blick zurück: In den 12 Monaten vor dem 1975er Referendum fiel das Pfund um 9 % gegenüber der D-Mark und um 3 % gegenüber dem US-Dollar. Der Großteil dieser Entwicklung fand dabei in den letzten drei bis sechs Monaten statt. Auch der zwischenzeitliche Stimmungsumschwung von EWG-Austritt zu EWG-Verbleib, der die Aktien- und Anleihemärkte stützte, konnte den Abwärtstrend nicht stoppen. Vielmehr hielt die Abwertung auch nach dem positiven Votum an: Zwölf Monate nach dem Referendum hatte das Pfund insgesamt 16 bzw. 24 % gegenüber D-Mark bzw. US-Dollar verloren. Diese Entwicklung war im Übrigen nicht unähnlich der in Norwegen im Umfeld des dortigen EU-Referendums von 1994.Ähnlich wie vor 40 Jahren ist die britische Währung auch diesmal im Vorfeld des Referendums unter Druck geraten. Seit Juni 2015 hat das Pfund um etwa 10 % gegenüber dem US-Dollar abgewertet. Zugegebenermaßen hat hierzu die unterschiedliche geldpolitische Ausrichtung von Bank von England und Federal Reserve beigetragen. Nichtsdestoweniger deutet die historische Erfahrung auf die Möglichkeit einer fortdauernden Pfund-Schwäche hin, selbst wenn die Befürworter eines EU-Verbleibs die Oberhand gewinnen sollten.Kurz- bis mittelfristig beeinflusst eine Reihe an Faktoren die Entwicklung des nominalen Wechselkurses: Differenz der Kurzfristzinsen, Stimmung und Positionierung institutioneller Investoren, Risikoappetit, die relative Wirtschaftsstärke, Fiskal- und Geldpolitik und die Leistungsbilanz. Unsere Analysen zeigen darüber hinaus, dass Änderungen der geldpolitischen Ausrichtung einen guten Frühindikator für Wechselkursvolatilität darstellen. Die Annahme einer stärkeren geldpolitischen Straffung in den USA als in Großbritannien lässt daher auf eine steigende Volatilität des Dollar-Pfund-Wechselkurses schließen. Dies gilt unabhängig vom Szenario eines EU-Referendums.Welche längerfristigen Auswirkungen hätte nun ein EU-Austritt? Unserer Annahme nach hätte dies negative Folgen für die Produktivität, da sich Großbritannien aus dem internationalen Wettbewerb zurückziehen würde. Der Arbeitskräftezuzug aus Kontinentaleuropa würde sich zumindest abschwächen, möglicherweise sogar umkehren. Zu einer derartigen realen Abwertung (im Zuge einer Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit) käme aber vermutlich auch eine nominale Abwertung des britischen Pfunds. Denn sollte die Trendwachstumsrate in Großbritannien infolge eines Produktivitätsrückgangs fallen und unter die der EU sinken, könnten ausländische Investoren ihre Investments in Großbritannien verringern. Dies würde das ohnehin chronische Leistungsbilanzdefizit Großbritanniens weiter vergrößern und entsprechenden Druck auf die Währung ausüben.Auf der anderen Seite – und ähnlich wie 1975 – wird aber womöglich auch ein Verbleib in der EU der britischen Währung keine hinreichende Unterstützung bieten können. Denn allein durch das Ansetzen und die Durchführung des Referendums haben sich aus Sicht internationaler Anleger die Risiken für Sterling-denominierte Investments erhöht. Daher lautet das Fazit: Brexit oder kein Exit – das Pfund leidet so oder so.—-*) David Hollis ist Senior-Portfoliomanager und Investmentstratege bei Allianz Global Investors.