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Brexit treibt Anleger in sichere Rententitel

Von Ulrich Kater und Joachim Schallmayer *) Börsen-Zeitung, 4.8.2016 Der große Knall nach dem Brexit ist ausgeblieben, lediglich die ersten Reaktionen sind von Verunsicherung und heftigen Kursbewegungen gekennzeichnet gewesen. Dass global...

Brexit treibt Anleger in sichere Rententitel

Von Ulrich Katerund Joachim Schallmayer *)Der große Knall nach dem Brexit ist ausgeblieben, lediglich die ersten Reaktionen sind von Verunsicherung und heftigen Kursbewegungen gekennzeichnet gewesen. Dass global ausgerichtete Unternehmen deutlich weniger unter einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zu leiden haben als binnenwirtschaftliche Unternehmen, ist nachvollziehbar. Dennoch, dass der britische Aktienmarkt (FTSE 100) heute deutlich höher als vor dem Referendum steht, verwundert dann schon ein wenig.Eine andere Umkehrbewegung fand bei europäischen Staatsanleihen statt. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Votums gab es kurzzeitig eine Ausweitung der Renditeabstände zu Bundesanleihen, die in den folgenden Tagen jedoch wieder umgekehrt wurde und neue Renditetiefstände für europäische Staatsanleihen mit sich brachte. Von politischer Risikoprämie keine Spur. Andere Bewegungen hatten dagegen durchaus Bestand. Das britische Pfund wertete deutlich ab, und diese Abwertung blieb auch in den Folgewochen unverändert stark bestehen. Gleiches gilt für britische Staatsanleihen, welche über alle Laufzeiten hinweg spürbare Renditerückgänge zu verzeichnen haben. Starke BelastungAuch der Immobilienmarkt bleibt stark belastet. Hier zeichnet sich allenfalls ab, dass die Kombination aus Immobilienpreisabschlägen und gefallener Währung offensichtlich Niveaus erreicht, welche bereits schon wieder erste Investoren anlocken. Transaktionen kommen in Gang, was in den kommenden Wochen zu einer verbesserten Liquidität und damit einer Beruhigung im Immobilienbereich führen sollte. Richtet man den Blick über UK hinweg auf Europa, die USA oder andere Regionen weltweit, so verlaufen die Reaktionen in einem ähnlichen Muster wie die in UK selbst. Die Aktienmärkte können sich nach einer ersten Phase der Ungewissheit schnell stabilisieren, während sich die Rentenmärkte auf niedrigeren Renditeniveaus als vor dem Austrittsreferendum einpendeln.Neben einem gewissen Abhärtungseffekt der Marktteilnehmer gegenüber den politischen Unvollkommenheiten des europäischen Finanzmarktes ist es insbesondere die Geldpolitik, die die europäischen Kapitalmärkte fest im Griff hält. Der Markt vertraut unverändert darauf, dass die Notenbanken ihren in den vergangenen Jahren global eingeschlagenen Weg massiver geldpolitischer Unterstützung auf absehbare Zeit weiter fortsetzen werden. Zwar beurteilt der Kapitalmarkt die Wirkung der Geldpolitik zunehmend kritisch. Die Theorie, dass durch eine Ausweitung der geldpolitischen Maßnahmen positive Impulse auf die Realwirtschaft ausgeübt werden können, verliert immer mehr Anhänger. Schließlich verfolgen die Notenbanken schon lange genug ihr geldpolitisches Experiment mit begrenztem realwirtschaftlichen Erfolg. Die erhoffte Transmission kommt nicht richtig in Gang, die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes bleibt gering und das Investitionsklima bleibt schlecht.In Bezug auf die Finanzmärkte dürfen die eingesetzten geldpolitischen Maßnahmen allerdings nicht unterschätzt werden. Die Wirkung dort ist enorm und wird das Kapitalmarktumfeld auch die kommenden Jahre prägen. Anleger können sich der geballten Feuerkraft der Notenbanken nicht entziehen, und die direkt am Markt investierten Volumina sind preisbestimmend. Bei aller berechtigten Skepsis, was die Wirkung auf makroökonomischer Ebene anbelangt, die Wirkung auf Marktebene sollte nicht angezweifelt werden. Solange die Notenbanken glaubhaft signalisieren können, dass sie die Preisfindung an den Kapitalmärkten fest in ihrem Griff haben und auch weiterhin bereit sind, die notwendigen Mittel dafür einzusetzen, werden sich Anleger diesem Druck kaum entziehen können. Dies erklärt auch, warum Marktteilnehmer anhaltend und durch den Brexit nochmals verstärkt in stark überbewerteten Rentenanlagen Zuflucht suchten.Allerdings sollten die Erwartungen an die geldpolitischen Impulse nicht zu sehr gesteigert werden. Dies zeigt auch die Ankündigung der Bank of Japan in der vergangenen Woche, die zwar die Ankaufvolumina von Aktien nochmals verdoppelt, die am Rentenmarkt aber unverändert belässt. Die Zukunft ist vielmehr in einer Kombination aus Geldpolitik und Finanzpolitik zu suchen. So wird auch die neuerliche Runde geldpolitischer Impulse in Japan von einem neuen Ausgabeprogramm des japanischen Staates begleitet. Investitionen gehen zurückKreditfinanzierte Ausgabenprogramme versprechen Lösungsbeiträge in vielen Problembereichen: Sie schaffen gesamtwirtschaftliche Nachfrage, die über höhere Wachstumssignale die Hoffnung von selbsttragenden Aufschwüngen in sich birgt. Sie finanzieren mit staatlichen Investitionen gerade denjenigen Bereich, der als besonders unterentwickelt in der derzeitigen wirtschaftlichen Phase gilt und der für künftiges Wachstum als unerlässlich angesehen wird. Staatliche Investitionen, insbesondere Infrastrukturinvestitionen, sind nicht nur in Europa in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen.Ein Nebeneffekt solcher kreditfinanzierter Infrastrukturprogramme ist eine ansteigende Verschuldung. Nach den Vertretern dieser keynesianischen Wirtschaftspolitik ist dies jedoch kein Problem in einer Welt mit ultraniedrigen Zinsen, denn die Tragfähigkeit der Staatsschuld bemisst sich danach, ob das Wachstum der Wirtschaft höher als der reale Zins ist. In den Augen keynesianischer Wirtschaftspolitiker wird die Staatsverschuldung vollkommen unproblematisch, wenn die Notenbank sich zum Ankauf von Staatsanleihen verpflichtet. Einige Makroökonomen gehen so weit, zu postulieren, dass der Staat praktisch unbegrenzte Verschuldungsmöglichkeiten besitzt, solange er sich in einer Währung verschulden kann, die er selbst produziert.Die keynesianische Logik funktioniert jedoch nur in einer Welt, in der wirtschaftspolitische Impulse Initialzündungen für selbsttragendes Wachstum sind. Wo dies nicht gegeben ist, gerät die Politik leicht in die Gefahr einer Interventionsspirale: Je nach Ausmaß der erreichten Staatsschuldenquoten ergibt sich ein Zwang zur Aufrechterhaltung eines ultraniedrigen Zinsniveaus durch die Notenbank, da ansonsten die Bedienung der Staatsschulden die Schuldenquote außer Kontrolle geraten lassen kann.In diesem Szenario können einige Assetklassen durchaus weiter performen. Die Aussicht auf expansive geldpolitische Maßnahmen für einen unbestimmten Zeithorizont lässt Vermögenspreise insgesamt weiter steigen. Im Anleihebereich wird dies auch in den längeren Laufzeitensegmenten bei Staats- und Unternehmensanleihen das Zinsniveau niedrig halten. Dies alles lässt die Hemmschwelle zum Einsatz der Finanzpolitik-Option sinken. Und so ist nicht ausgeschlossen, dass auch Europa auf diesem gefährlichen Weg in die Welt der politikdominierten Wirtschaft weiter vorangeht.—-*) Ulrich Kater und Joachim Schallmayer, Makro Research der DekaBank.