"Broker Nummer 1 für Deutschland"
Das Aktien-Research der Commerzbank setzt auf eine Spezialisierung auf den deutschen Aktienmarkt. Mehrwert sollen unter anderem Investment-Ideen liefern, welche die Konkurrenz nicht bietet. Der Anspruch ist ehrgeizig: Deutschlands führender Broker zu sein.Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtUm im zunehmend schwierigen und wettbewerbsintensiven Research-Geschäft bestehen zu können, wird es immer wichtiger, sich vom Wettbewerb abzuheben. Bei dieser Übung scheint die Aktien-Research-Mannschaft der Commerzbank einiges richtig zu machen. Denn seit vielen Jahren hagelt es geradezu Auszeichnungen bei wichtigen Umfragen unter Investoren wie vor allem dem Extel Survey.Für Christoph Dolleschal, der seit sieben Jahren den Bereich Equity Research des Instituts leitet, ist Teamwork entscheidend. “Der Teamgedanke ist uns sehr wichtig. Wir müssen einen drauflegen, wenn wir mit den global aufgestellten Häusern mithalten wollen, die über mehr Ressourcen verfügen.” Dabei hilft sicherlich, dass die Fluktuation in der 22 Köpfe umfassenden, sektoral aufgestellten Mannschaft relativ gering ist. Ihr Produkt nennt die Research-Abteilung “Deutschland+”. “Wir wollen der Broker Nummer 1 für Deutschland sein. Für ein europaweites Research haben wir keine Ressourcen.” Dabei helfe die Tatsache, dass die Commerzbank der größte Mittelstands- und Exportfinanzierer Deutschlands sei.Abgedeckt werden die HDax-Unternehmen sowie ausgewählte Small Caps. Hinzu kommen ausländische Peers, soweit sie für inländische Branchen wie beispielsweise die Automobil-, Technologie-, Medien- und Telekom-, Chemie-, Finanz- und Life-Science-Sektoren relevant sind. Dazu zählen etwa Peugeot und Fiat oder die Metro-Wettbewerber Carrefour und Ahold. Die europäische Coverage soll Dolleschal zufolge das deutsche Universum noch mehr herausheben. Kein definiertes ESG-ProduktNachhaltigkeits- bzw. ESG-Research (Environmental, Social, Governance) spielt in der Arbeit von Dolleschals Team keine besondere Rolle. “Wir haben kein definiertes ESG-Research-Produkt. Das ist ein Thema, das bei den institutionellen Investoren nicht mehr so gefragt ist. Unsere Kunden machen ihre diesbezügliche Vorselektion eher selbst.”Bei einigen Wettbewerbern gebe es quantitative ESG-Systeme. Die Investoren beschäftigten sich noch mit dem Thema, aber nicht mit den standardisierten Methoden, mit denen eine fragwürdige Verallgemeinerung einhergehe. “Wir haben aber erfahrene Analysten”, ergänzte Ingo Schachel, der seit zehn Jahren für die Commerzbank arbeitet und seit dem zurückliegenden Jahr stellvertretender Research-Leiter ist. “Sie kennen die deutschen Unternehmen und können Investoren beraten, auch mit Bezug zu ESG-Themen. Zu unseren Kunden zählen hoch spezialisierte Investoren, die sich ihre eigene Meinung bilden und in puncto Nachhaltigkeit kaum noch Unterstützung durch die Sell Side brauchen. Spezialthemen, mit denen wir uns für unsere Kunden intensiv beschäftigen, sind derzeit eher Industrie 4.0 oder der deutsche Wohnimmobilienmarkt.” Interessierten Privatanlegern stellt die Commerzbank Nachhaltigkeitsbewertungen von Oekom Research zur Verfügung.”Dadurch, dass wir ein relativ kleines Team sind, können wir schnell reagieren und ein Thema aufgreifen”, sagt Dolleschal. “Als etwa der Ölpreis unter 35 Dollar fiel, konnten wir schnell zu dem Thema eine Investment-Idee für Aktien als Anlageklasse erstellen. Ein weiteres Beispiel sind die Brexit-Folgen für die Unternehmen.” Dabei komme es zu einer sinnvollen Kombination von Bottom-up und Top-down. Das Aktien-Research des Instituts arbeitet bei solchen großen Themen mit anderen Research-Bereichen zusammen, das heißt mit Strategen, Volkswirten sowie mit Währungs-, Zins- und Rohstoffanalysten. Insgesamt beschäftigt das Institut zurzeit rund 100 Analysten. Viele Regeln noch unklarDie kommenden Unbundling-Vorschriften der europäischen Finanzinstrumente-Richtlinie Mifid II stellen die Research-Branche vor schwere Herausforderungen. Mit Unbundling ist die Entkoppelung der Bezahlung von Handelstransaktionen und Research gemeint. “Es ist in vielerlei Hinsicht noch unklar, wie die Unbundling-Regeln im Einzelnen lauten werden”, so Dolleschal. “Es gibt noch viele offene Punkte, die vom Regulierer noch nicht bekannt gegeben worden sind.In Kraft treten sollen die neuen Vorschriften am 1. Januar 2018. Das hört sich nach viel Zeit an, es wird aber allmählich eng. Wenn man nicht weiß, wie die Regeln aussehen, ergeben sich insbesondere für die Anpassungen auf der IT-Seite Probleme. IT-Projekte sind aber zeitaufwendig. Je länger der Regulierer wartet, desto schwieriger wird die rechtzeitige Anpassung von IT und Workflows.” Dolleschal würde sich auch wünschen, dass die Regulierer intensiver mit Banken und Assetmanagern sprechen und sich mehr mit der praktischen Seite auseinandersetzen. Auf der Aktienseite könne Unbundling funktionieren, aber auf der Fixed-Income-Seite sei es deutlich schwieriger. Hier sei die Geld-Brief-Spanne entscheidend. “Wie man die unbundeln soll, weiß noch niemand.”Dolleschal geht davon aus, dass sich Mifid II negativ auf das Aktiengeschäft auswirken wird. Das verfügbare Budget der Assetmanager werde sinken. Einen Anhaltspunkt für das Ausmaß biete die UK Retail Distribution Review des Jahres 2006, deren Hintergrund vergleichbar sei. Danach sei die Anzahl der Investment-Berater in Großbritannien von etwa 40 000 auf 30 000 gesunken. Die Erträge seien ebenso wie der Markt um 25 % geschrumpft. So sei auch durch Mifid II ein Ertragsrückgang um ein Viertel durchaus vorstellbar. Es sei absehbar, dass es zum Ausscheiden von Wettbewerbern oder zu einem weiteren Konsolidierungsschub in der Research-Branche kommen werde. Einzelne Research-Modelle würden wiederum durch die Veränderungen befördert. Die neue Regulierung sei nicht per se schlecht, so Dolleschal. “Sie zwingt uns zu überprüfen, wo wir gut sind.” Wenn der Kunde künftig für Research eigens bezahle, erhöhe sich die Notwendigkeit, Mehrwert zu bieten, noch weiter. “Tiefgehende Kenntnis””Wir differenzieren uns dadurch, dass wir eine sehr tiefgehende Kenntnis des deutschen Marktes haben. Es wird sehr darauf ankommen, Investment-Ideen zu bieten, die andere nicht haben.” “Maintenance-Research” wie Vorausschau auf und Kommentierung der Quartalsergebnisse sowie schnelle Reaktionen auf wichtige Ereignisse seien notwendig, aber kaum echtes Research. “Wir schätzen, dass 95 % der globalen Research-Produktion ungelesen im Papierkorb landen.”Aus der Masse könne man vor allem mit Qualität herausstechen. Wichtig sei nicht nur der Research-Bericht, sondern auch die gesamte Kommunikation des Analysten. “Ein guter Bericht sollte maximal drei Punkte aufgreifen, die in der Tiefe analysiert werden. Er sollte gute Anlageideen bringen, die neu sind. Was ich nicht schätze, sind große Berichte, die 100 oder mehr Seiten stark sind. Gefragt sind einige wichtige Punkte, der Bericht muss gut und in überschaubarer Zeit konsumierbar sein”, so Dolleschal.Früher seien gerade deutsche Analysten mit der Einstellung zu Werke gegangen, dass eine Studie eine wissenschaftliche Arbeit sei. “Von den Angelsachsen haben wir gelernt, dass Research-Berichte kurz, prägnant und unterhaltsam sein müssen.” Ein Analyst muss nach den Vorstellungen Dolleschals interessant schreiben und seine Inhalte auf den Punkt bringen können. Er muss mit dem Management eines Unternehmens kritisch umgehen können und gleichzeitig von ihm akzeptiert sein. Unternehmensbesuche seien wichtig, um ein persönliches Gefühl für Führung und Betrieb zu entwickeln. “Modelle durchspielen kann jeder. Der Analyst muss zwar die Bewertungsthematiken kennen und wissen, wo sich in den Bilanzen Fallstricke verbergen können.” Wichtiger seien jedoch jahrelange Erfahrung und Menschenkenntnisse. Er müsse erkennen können, ob das, was das Management sage, Sinn ergebe und ob es dies auch umsetzen könne. Recherche vor Ort”Wichtig ist auch, die Produktionsprozesse eines Unternehmens und die der ganzen Industrie zu kennen”, sagt Ingo Schachel. Analysten müssten die Werke der Unternehmen aufsuchen, um zu verstehen, wie sie laufen und ob sie effizienter seien als bei den Wettbewerbern. Bei Konsumunternehmen müssten viele Zulieferer und Distributoren aufgesucht werden. Die Marketing-Strategien müssten beleuchtet und auch Gespräche mit Managern aus der zweiten Reihe geführt werden.Dass der Computer den Menschen im Research ersetzen könnte, hält Dolleschal für unwahrscheinlich. “Die Maschine ist letztlich dumm.” In regelbasierten Spielen wie Schach habe der Mensch gegen den Computer zwar keine Chance mehr. Der Computer könne aber nicht emotional vorgehen. Märkte seien jedoch auch emotional getrieben. “Wichtig ist zudem die Kreativität”, so Schachel. Computer könnten zwar bekannte Kunststile oder eben Investment-Stile imitieren. Investment-Stile funktionierten, im Gegensatz zu Kunststilen, aber nur eine begrenzte Zeit, bis sie ausgereizt und kontraproduktiv geworden sind. Dann müsse etwas Neues kreiert werden.”Maschinen helfen uns, große Mengen von Daten zu verarbeiten”, so Dolleschal. “Am Ende müssen aber aus den Daten die richtigen Schlüsse gezogen werden. Die Maschine wird immer nach den gleichen Regeln handeln. Die Entscheidungsprozesse des Menschen sind komplexer. Daher werden menschliche, subjektive Komponenten immer Bestand haben. Es wird immer einen Markt für veredelte Informationen, hochwertiges Research geben.”—-Bisher erschienen:- “Research hat einen hohen Wert” (28. Juli 2016)- Leitartikel “Research-Branche unter Druck” (28. Juli 2016)- Oddo Seydler: Vom Parkett auf die Bühne Europas (2. August)