Calls haben hohe Aussagekraft
In schriftlichen Unternehmensberichten ist die Kommunikation ausgefeilt und der Erkenntnisgewinn daher gering. Anders bei Telefonkonferenzen (Calls), in denen auch emotionale Worte vorkommen. Diese lassen sich mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und Big Data auswerten. Laut Michael Fraikin, Leiter Research bei Invesco, werden die Ergebnisse schon bald in Fonds berücksichtigt. Von Werner Rüppel, FrankfurtMichael Fraikin, der seit Juli 2015 die globale Analyse beim Invesco leitet, beschäftigt sich seit vielen Jahren bei dem Assetmanager mit quantitativen Anlagestrategien. Invesco verfolgt in diesem Sektor eine systematische, faktorbasierte Geldanlage. Insgesamt verwaltet der übrigens auch börsennotierte Assetmanager per Ende September 120 Mrd. Dollar für Kunden weltweit in faktorbasierten Anlagestrategien, davon entfielen 32 Mrd. Dollar auf quantitative Strategien.Fraikin beschäftigt sich ständig und eingehend damit, was an den Märkten funktioniert (und was nicht) und wie bestimmte Faktoren, die bei der Auswahl von Aktien zum Einsatz kommen, verbessert werden können. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung zeigt er auf, welche Möglichkeiten die künstliche Intelligenz zur Optimierung der Anlageentscheidungen bietet. Quartalsberichte nutzlos”Zwei Dinge, die das Assetmanagement verändern, sind künstliche Intelligenz und Big Data”, erläutert Fraikin. “Beide sind wie siamesische Zwillinge untrennbar miteinander verbunden.” Vor zwanzig Jahren habe es noch an der Rechnerleistung, um große Daten zu verarbeiten, sowie auch an den Daten gemangelt. Dies sei nun anders. Insofern könnten mit Hilfe von künstlicher Intelligenz Analysen getätigt werden. Ein Anwendungsbeispiel für Big Data, mit dem sich Invesco eingehend beschäftigt habe, sei Natural Language Processing (NLP) der Q&A (Fragen und Antworten) bei Quartalstelefonkonferenzen von Unternehmen. “Denn die klassische Unternehmenskommunikation, wie sie sich in Geschäfts- und Quartalsberichten sowie Unternehmenspräsentationen findet, ist ausgefeilt und vermeidet soweit als möglich unbeabsichtigte Informationsfreigabe”, erläutert Fraikin. “Insbesondere bei Large Caps können Sie mit den veröffentlichten Berichten nichts anfangen.” Der Markt habe die entsprechenden Informationen bereits antizipiert. “Für unsere Zwecke sind die Unternehmensberichte daher weitgehend nutzlos”, sagt Fraikin. Maschinenlesbare TranskripteAuf der Suche nach weniger vorbereiteter Kommunikation, nach spontanen Äußerungen sei man bei den Telefonkonferenzen zu den Quartalsberichten fündig geworden. Denn diese beinhalteten auch Analystenfragen, die vorab nicht bekannt seien. “Insbesondere die Antworten der Unternehmensführung sind aussagekräftig”, erläutert der Invesco-Researchchef. “Allerdings erfordert die Analyse eine linguistische Unterfütterung.” Sonst sei das Ganze wahrscheinlich nur “Data Mining”. Auch würden sich die Ergebnisse nicht bequem erschließen lassen.Die Transkripte der Telefonkonferenzen stünden für etwa 1 200 US-Unternehmen und global für etwa 2 500 Unternehmen zur Verfügung. “Die Transkripte sind in Text umgesetzt und maschinenlesbar formatiert”, erklärt Fraikin. “Zudem sind Unternehmen, Personen und Funktionen identifiziert.” Darüber hinaus sei eine lange Historie gegeben.Das Research von Invesco habe sich intensiv mit NLP befasst. “Es gibt zwar Standardwerkzeuge für Texte”, sagt Fraikin. “Das war uns aber nicht genug.” Deshalb habe man zusammen mit zwei Linguistik-Professoren vorhandene Wörterbücher erweitert und somit quasi ein eigenes Wörterbuch gebaut.Bestimmte Wörter wie “certain” oder “obvious” seien positiv belegt, während Wörter wie “possibly” oder “maybe” eher Unsicherheit ausstrahlten. Unternehmenslenker, die sich ihrer Sache sicher sind, würden eher Wörter mit positivem Sentiment verwenden als solche mit negativem. Natürlich gelte es, etwaige Fallstricke zu berücksichtigen, wie zum Beispiel Standard-Redewendungen richtig einzuordnen. Besonders wichtig sei hier die Erweiterung um emotionale Wörter gewesen, die in geschriebenen Texten eher selten seien, aber in Telefonkonferenzen deutlich öfter vorkämen.”Im Grunde sind die NLP-Ergebnisse mit Indizien für die künftige Performance eines Titels”, sagt Fraikin. “Sie geben nämlich wertvolle Hinweise darauf, ob die Analysten ihre Schätzungen relativ zur Branche mehr nach oben oder nach unten anpassen werden.”Das Ganze würde natürlich nicht funktionieren, wenn sich das Sprechverhalten in den Calls dauernd verändern würde, sprich die Kommunikation der Firmenlenker nicht konstant sei. Dies sei aber nicht der Fall. Laut Fraikin hat sich das Sprechverhalten in den Calls in den letzten 15 Jahren nicht verändert. Lediglich seien die Telefonkonferenzen länger geworden. Auch die Anzahl der verwendeten positiven und negativen Worte sei relativ konstant. Lediglich in den Jahren 2008 und 2009 seien infolge der Finanzkrise mehr negative Wörter verwendet worden. Einsatz steht bevor”Für die USA werden wir die NLP-Ergebnisse bis Jahresende in unsere Aktienauswahl miteinfließen lassen”, sagt Fraikin. “Für den Rest der Welt sind wir dabei, dies auch in absehbarer Zeit aufzusetzen.” Dabei ist Fraikin sehr zuversichtlich, dass die NLP-Analyse auch für Großbritannien und Australien Mehrwert liefern wird. Für den Rest der Welt müsse man sehen. Eventuell müsse man auch noch länderspezifische Charakteristika berücksichtigen.Doch wie können die Sprachauswertungen dann in die Allokation von Fonds einfließen? “Für uns sind die Ergebnisse eine Spielart des Faktors Momentum”, erklärt Fraikin. “Wir betrachten das ähnlich wie ein Ergebnismomentum.” Natürlich sei das immer im Branchenvergleich zu sehen. “Wir werten die NLP-Ergebnisse aus, indem wir numerische Werte vergeben.” Durch diesen Baustein gewinne der Faktor Momentum an Aussagekraft.Insgesamt ist Fraikin allerdings eher reserviert gegenüber einigen Ergebnissen, die beim Einsatz von künstlicher Intelligenz für Investmentstrategien präsentiert werden. “Viele Erfolgsstories sind im Grunde der Tatsache geschuldet, dass die Messlatte sehr niedrig gehängt wird”, meint Fraikin. “Denn es ist schwierig, besser als eine ausgefeilte Faktorstrategie zu sein.” Auch sei es sicherlich keine gute Idee, das Management eines Fonds allein einer großen Horde von Mathematikern zu überlassen. Das Optimum für Anlageentscheidungen könne hingegen durch das Zusammenwirken von Mensch und Maschine erreicht werden.