Carbon Capture – Allheilmittel fürs Klima?
Investoren nehmen die Klimapläne von Unternehmen heutzutage sehr genau unter die Lupe. Vor allem Energieunternehmen sehen sich mit weitreichenden Forderungen der Anleger konfrontiert, ihre Geschäftsmodelle konsequenter auf die Energiewende auszurichten. Als Reaktion darauf investieren viele der Firmen verstärkt in Technologien zur Kohlendioxidabscheidung, um ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren und letztlich Netto-Null-Ziele zu erreichen – allerdings, ohne zugleich die Öl- und Gasproduktion substanziell verringern zu müssen.
Abscheidung von CO2
Bei dieser Technologie, die auch unter dem englischsprachigen Kürzel CCUS bekannt ist (Carbon Capture, Usage and Storage) zusammenfassen, handelt es sich zunächst um eine Reihe von Technologien zur Abscheidung von Kohlendioxid (CO2) aus emissionsintensiven Aktivitäten wie der Stromerzeugung und Industrieanlagen, die entweder fossile Brennstoffe verbrennen oder Biomasse als Brennstoff verwenden. Das abgeschiedene CO2 wird dann komprimiert und zur Verwendung in verschiedenen Anwendungen transportiert oder aber unterirdisch gelagert.
Der US-Ölkonzern ExxonMobil, der sich vor kurzem verpflichtet hat, bis 2050 Netto-null-Emissionen zu erreichen, erklärte beispielsweise, dass die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung ein wesentlicher Bestandteil seiner Strategie ist. Im Jahr 2021 legte das Unternehmen einen Vorschlag für ein umfangreiches Programm zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung im Umfang von 100 Mrd. Dollar vor, das im texanischen Houston angesiedelt ist und auch Offshore-Salzlagerstätten im Golf von Mexiko umfasst.
Elon Musk CEO von Tesla und Gründer des Raumfahrtunternehmens SpaceX, ist ebenfalls an Lösungen zur Kohlenstoffabscheidung beteiligt. Im Februar 2021 riefen er und die Musk Foundation den mit 100 Mill. Dollar dotierten Carbon Removal XPrize ins Leben, um die Entwicklung von Technologien zur Kohlenstoffabscheidung zu fördern.
Trotz der Schlagzeilen über und der Investitionen in CCUS ist der tatsächliche Nutzen umstritten. Befürworter behaupten: Mit verbesserten Technologien und in größerem Umfang könnte CCUS potenziell mehr als 90% der CO2-Emissionen von Industrieanlagen und Kraftwerken abscheiden. Darüber hinaus können im Zuge der Kohlenstoffabscheidung gleichzeitig Schadstoffe wie Stickstoff- und Schwefeloxide entfernt werden, die besonders schädlich für die Gesundheit von Menschen, aber auch von Wäldern und Vegetation sind.
Produktive Nutzung
Hinzu kommt, dass einige Unternehmen abgeschiedenes CO2 bei ihren Produktionsprozessen, zum Beispiel bei der Ölförderung, der Raffinierung von Kraftstoffen oder der Herstellung von Baumaterialien produktiv nutzen können. Und für das ungenutzte CO2 stünde immer noch die Möglichkeit zur Verfügung, es in unterirdischen geologischen Formationen zu lagern. Dieses Szenario würde zwar noch Weiterentwicklungen der Technologie erfordern, aber es würde vor allem den Öl- und Gasproduzenten ermöglichen, ihre Emissionen zu verringern, ohne ihre Geschäftsmodelle grundlegend zu ändern.
Hier liegt der Knackpunkt der Argumente der Kritiker: Investitionen in CCUS könnten letztlich die Abhängigkeit der Welt von fossilen Brennstoffen verlängern und von den Bemühungen um eine Umstellung auf erneuerbare Alternativen ablenken. Hinzu kommt, dass die CCUS-Technologie sich noch im Anfangsstadium befindet und ihre Skalierbarkeit nicht erwiesen ist.
Teure Filterung
So sind derzeit weltweit nur 21 große CCUS-Anlagen in Betrieb. Das Schweizer Unternehmen Climeworks betreibt eine der weltweit größten Anlagen zur Kohlenstoffabscheidung. Seine Orca-Anlage in Island ist die erste CCUS-Anlage, die CO2 direkt aus der Luft filtert und dauerhaft unterirdisch speichert. Allerdings kostet die Entfernung einer einzigen Tonne Kohlenstoffdioxid in der Orca-Anlage aktuell zwischen 600 und 800 Dollar. Zum Vergleich: Der Marktpreis für Emissionsrechte über eine Tonne CO2 liegt in Europa derzeit bei deutlich unter 100 US-Dollar.
Die CCUS-Technologie ist aber nicht nur unerschwinglich teuer, sondern müsste auch in sehr kurzer Zeit sehr hoch skaliert werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Um die globale Erwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen, müssen nach Schätzungen der Vereinten Nationen bis zum Jahr 2050 jährlich 10 Mrd. Tonnen Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernt werden.
Zugleich sind die potenziellen negativen Umweltauswirkungen von Kohlenstofftransport und -speicherung noch gar nicht ausreichend erforscht. So könnte beispielsweise die Speicherung von CO2 im Untergrund und in natürlichen Gesteinsformationen die Artenvielfalt beeinträchtigen.
Enormes Potenzial
CCUS hat zweifelsohne enormes Potenzial. Allein die Möglichkeit, der Atmosphäre Schadstoffe und Treibhausgase zu entnehmen, ist ein riesiger technologischer Fortschritt. Solange die globale Energieinfrastruktur noch nicht bereit ist, komplett auf fossile Brennstoffe zu verzichten und auf Erneuerbare umzusteigen, können solche Technologien einen relevanten Beitrag leisten, die negativen Auswirkungen abzumildern.
Ein Allheilmittel ist CCUS deswegen keineswegs. Und auch kein Ersatz für die konsequente Transformation zu CO2-freier Energieerzeugung. Hinzu kommen erhebliche Risiken auf der Kostenseite, aber auch mit Blick auf unerwünschte ökologische Nebenwirkungen der Technologie. Der aktuelle Hype ist deswegen nicht gerechtfertigt – vor allem nicht, wenn es um die Zukunftsfähigkeit der Energieriesen und bestimmter energieintensiver Unternehmen geht. Wenn wir uns Aktien ansehen und einschätzen, ob sie die Energiewende entschlossen genug angehen, dann haben wir eine klare Meinung: Investitionen in CCUS sind ein Nice-to-have, Investitionen in alternative Energien, Übergangskraftstoffe oder auch Energieeffizienz bleiben ein Must-have.